Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.
einer gegebenen Technik reproductiv hineinfühlt; dieses ist jedoch von dem Talent Es ist hier von Stufen die Rede, die in der Wirklichkeit als ge-
einer gegebenen Technik reproductiv hineinfühlt; dieſes iſt jedoch von dem Talent Es iſt hier von Stufen die Rede, die in der Wirklichkeit als ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#fr"><pb facs="#f0129" n="117"/> einer gegebenen Technik reproductiv hineinfühlt; dieſes iſt jedoch von dem Talent<lb/> überhaupt als einer iſolirten Gabe der Technik der innerlich bildenden Phantaſie<lb/> (§. 409) verſchieden. Die ſo von ihrem innern Bande relativ getrennte Technik<lb/> erzeugt aber auch eine Erſcheinung, worin die bloße Virtuoſität ihre Schranke<lb/> zu überſpringen verſucht und dem fragmentariſchen Genie (§. 410) analog auftritt.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Es iſt hier von Stufen die Rede, die in der Wirklichkeit als ge-<lb/> ſonderte Erſcheinungen auftreten, von Graden der Durchdringung der<lb/> Technik mit dem künſtleriſchen Schöpfergeiſte, in welchen der Grundbegriff,<lb/> wie ihn §. 524 aufſtellt, ſich auseinanderlegt, Momente jenes Ganzen<lb/> als einſeitige Formen voranſchickt, um jedes derſelben vollſtändig zu ent-<lb/> falten, dann aber das Einſeitige zu überwinden und ihm gegenüber in<lb/> ſeiner Fülle hervorzutreten. Die unterſte Form muß eine ſolche ſein,<lb/> worin die Gewalt der Technik über das Material ſich in der höchſten<lb/> Sicherheit, ihrem ganzen Glanze zu erkennen gibt, aber auch nur ſie,<lb/> getrennt von dem ſchaffenden Geiſte. Dieſe Trennung gehört weſentlich<lb/> zu dem Begriffe der Virtuoſität; man legt dieſen Namen nicht der tech-<lb/> niſchen Reife des Genius bei, der zugleich ſchöpferiſch wirkt; der Virtuos<lb/> iſt nicht productiver Künſtler. Da es aber keine Kunſttechnik gibt, die<lb/> nicht beſeelt iſt von innen heraus durch die ſchaffende Phantaſie, ſo tritt<lb/> hier eine Schwierigkeit ein, die ſich am leichteſten allerdings aufhellt,<lb/> wenn man von der Muſik als einer Kunſt ausgeht, in welcher die<lb/> Compoſition und die techniſche Ausführung ſo auseinanderfällt, daß der<lb/> erfindende Künſtler nicht nothwendig auch in der Ausführung es zur<lb/> Vollkommenheit gebracht haben muß, daher er dann <hi rendition="#g">hier</hi>, wenn dieß<lb/> der Fall iſt, <hi rendition="#g">auch</hi> Virtuos heißen kann. Wirklich gehört der Ausdruck<lb/> Virtuoſität urſprünglich der muſikaliſchen Welt an. Der muſikaliſche<lb/> Virtuos nun hat nicht nur ein Inſtrument oder das Organ der eigenen<lb/> Stimme ſo völlig in ſeiner künſtleriſchen Gewalt, daß er ihm jeden Ton<lb/> und Ausdruck, deſſen es fähig iſt, mit einer Fertigkeit entlockt, in welcher<lb/> die letzte Spur der Mühe verſchwindet, ſondern er hat auch die reproductive<lb/> Fähigkeit, ſich ganz in die Stimmung der Compoſition zu verſetzen und<lb/> ſie in ſeinem Vortrag durch alle ihre einzelnen Momente und Bewegungen<lb/> hindurch zum vollen Ausdruck zu bringen. Schaffen hätte er das muſikaliſche<lb/> Kunſtwerk nicht gekonnt; der Virtuos als ſolcher componirt zwar wohl<lb/> auch, aber nicht ein freies künſtleriſches Ganzes, ſondern regelloſere Er-<lb/> gießungen, die ihm nur die Unterlage geben, um ſeine techniſche Fertigkeit<lb/> zu entwickeln, namentlich variirt er zu dieſem Zweck gegebene Compoſitionen,<lb/> aber eigentlich hervorbringender Künſtler iſt er nicht. Er verhält ſich alſo,<lb/> was den inneren Geiſt des Kunſtwerks betrifft, anempfindend. Ebendieß<lb/> haben wir in §. 490 von dem Talent überhaupt ausgeſagt. Der Virtuos<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [117/0129]
einer gegebenen Technik reproductiv hineinfühlt; dieſes iſt jedoch von dem Talent
überhaupt als einer iſolirten Gabe der Technik der innerlich bildenden Phantaſie
(§. 409) verſchieden. Die ſo von ihrem innern Bande relativ getrennte Technik
erzeugt aber auch eine Erſcheinung, worin die bloße Virtuoſität ihre Schranke
zu überſpringen verſucht und dem fragmentariſchen Genie (§. 410) analog auftritt.
Es iſt hier von Stufen die Rede, die in der Wirklichkeit als ge-
ſonderte Erſcheinungen auftreten, von Graden der Durchdringung der
Technik mit dem künſtleriſchen Schöpfergeiſte, in welchen der Grundbegriff,
wie ihn §. 524 aufſtellt, ſich auseinanderlegt, Momente jenes Ganzen
als einſeitige Formen voranſchickt, um jedes derſelben vollſtändig zu ent-
falten, dann aber das Einſeitige zu überwinden und ihm gegenüber in
ſeiner Fülle hervorzutreten. Die unterſte Form muß eine ſolche ſein,
worin die Gewalt der Technik über das Material ſich in der höchſten
Sicherheit, ihrem ganzen Glanze zu erkennen gibt, aber auch nur ſie,
getrennt von dem ſchaffenden Geiſte. Dieſe Trennung gehört weſentlich
zu dem Begriffe der Virtuoſität; man legt dieſen Namen nicht der tech-
niſchen Reife des Genius bei, der zugleich ſchöpferiſch wirkt; der Virtuos
iſt nicht productiver Künſtler. Da es aber keine Kunſttechnik gibt, die
nicht beſeelt iſt von innen heraus durch die ſchaffende Phantaſie, ſo tritt
hier eine Schwierigkeit ein, die ſich am leichteſten allerdings aufhellt,
wenn man von der Muſik als einer Kunſt ausgeht, in welcher die
Compoſition und die techniſche Ausführung ſo auseinanderfällt, daß der
erfindende Künſtler nicht nothwendig auch in der Ausführung es zur
Vollkommenheit gebracht haben muß, daher er dann hier, wenn dieß
der Fall iſt, auch Virtuos heißen kann. Wirklich gehört der Ausdruck
Virtuoſität urſprünglich der muſikaliſchen Welt an. Der muſikaliſche
Virtuos nun hat nicht nur ein Inſtrument oder das Organ der eigenen
Stimme ſo völlig in ſeiner künſtleriſchen Gewalt, daß er ihm jeden Ton
und Ausdruck, deſſen es fähig iſt, mit einer Fertigkeit entlockt, in welcher
die letzte Spur der Mühe verſchwindet, ſondern er hat auch die reproductive
Fähigkeit, ſich ganz in die Stimmung der Compoſition zu verſetzen und
ſie in ſeinem Vortrag durch alle ihre einzelnen Momente und Bewegungen
hindurch zum vollen Ausdruck zu bringen. Schaffen hätte er das muſikaliſche
Kunſtwerk nicht gekonnt; der Virtuos als ſolcher componirt zwar wohl
auch, aber nicht ein freies künſtleriſches Ganzes, ſondern regelloſere Er-
gießungen, die ihm nur die Unterlage geben, um ſeine techniſche Fertigkeit
zu entwickeln, namentlich variirt er zu dieſem Zweck gegebene Compoſitionen,
aber eigentlich hervorbringender Künſtler iſt er nicht. Er verhält ſich alſo,
was den inneren Geiſt des Kunſtwerks betrifft, anempfindend. Ebendieß
haben wir in §. 490 von dem Talent überhaupt ausgeſagt. Der Virtuos
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