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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.

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sondern als Reizmittel des Fortschritts für Schüler zur Sprache kommt
und mit allen Akademieen verbunden ist, namentlich aber in Frankreich
fast noch eine wichtigere Rolle spielt, als der Unterricht (vergl. Kugler
Ueber die Anstalten und Einrichtungen zur Förderung der bild. Künste
u. s. w. S. 14. 15). Daß dieses Mittel ein gutes, daß der Ehrgeiz
ein berechtigter Hebel ist, soll natürlich auch hier nicht geläugnet werden,
und namentlich sind die Preise als zweckmäßig anzuerkennen, welche in
Abreichung der Mittel zu Studienreisen bestehen (academie de France
in Rom); überhaupt wirkt dieses Unterstützungssystem und die Akademie
selbst als Staasanstalt schon durch die hierin ausgesprochene Thatsache,
daß die Kunst eine Angelegeheit des Staats ist und wir haben zu §. 508, 2.
nachzuholen, daß für die Erhebung der Kunst zu dieser Bedeutung in
Frankreich mehr geschieht, als irgendwo. Das Concurrenzwesen muß aber
Maaß einhalten; gesteigert zu dem Umfang und der Herrschaft, wie in
Frankreich, zieht es den Schüler ab vom stillen Wachsthum der Kräfte
und führt ihn zu sehr nach außen, spannt sein ganzes Absehen auf
den Erfolg. -- Was die Künste betrifft, die ihr geistigeres Leben in der
Zeitform äußern, so folgt die Musik noch dem akademischen System, theils
in Verbindung mit den Akademieen, deren Hauptgegenstand die bildende
Kunst ist, theils in besondern Anstalten, den Conservatorien; die Dichtkunst
läßt ihrem Wesen nach nicht auch nur den Versuch einer solchen Schul-
Anstalt zu und die italienischen Akademieen für Sprache und Dichtkunst,
die deutschen Dichter-Orden im siebzehnten Jahrhundert nach ihrem Vor-
bild (namentlich dem der crusca) gebildet, die fruchtbringende Gesellschaft
oder der Palmenorden, die Gesellschaft der Pegnizschäfer oder der gekrönte
Blumenorden u. s. w. konnten nicht Schulen für künftige Dichter sein
wollen, sondern waren Innungen für Reinbewahrung der Sprache und
für gegenseitige Förderung Solcher, die sich für gemachte Dichter hielten;
sie haben Verdienste um die Sprache, waren übrigens Spielereien. Am
meisten analog dem Akademieen-Wesen war die Dictatur über alle auf-
strebenden Talente, wie sie die conventionelle Poesie in Frankreich durch
die sog. Classiker, in Deutschland namentlich durch Gottsched ausübte.
In gewissem Sinne aber ist für den Dichter das, was für den bildenden
Künstler die akademische Erziehung ist, die allgemeine höhere Schulbildung:
durch sie lernt er die großen Muster-Werke der Poesie kennen und ver-
stehen, durch sie empfängt er die technische Vorübung für höhere Sprachform
und Rhythmus. -- Aehnlich, wie in der Erziehung des bildenden Künstlers,
stellt sich dagegen die Sache in der Bildung des Schauspielers. Die neuere Zeit
hat es mit sich gebracht, daß man die Erziehung auch in dieser Kunstform
dem Zufälligen, was in der früheren Heranbildung des Zöglings inmitten
der Truppe und durch die Persönlichkeit des Prinzipals lag, zu entnehmen

ſondern als Reizmittel des Fortſchritts für Schüler zur Sprache kommt
und mit allen Akademieen verbunden iſt, namentlich aber in Frankreich
faſt noch eine wichtigere Rolle ſpielt, als der Unterricht (vergl. Kugler
Ueber die Anſtalten und Einrichtungen zur Förderung der bild. Künſte
u. ſ. w. S. 14. 15). Daß dieſes Mittel ein gutes, daß der Ehrgeiz
ein berechtigter Hebel iſt, ſoll natürlich auch hier nicht geläugnet werden,
und namentlich ſind die Preiſe als zweckmäßig anzuerkennen, welche in
Abreichung der Mittel zu Studienreiſen beſtehen (académie de France
in Rom); überhaupt wirkt dieſes Unterſtützungsſyſtem und die Akademie
ſelbſt als Staasanſtalt ſchon durch die hierin ausgeſprochene Thatſache,
daß die Kunſt eine Angelegeheit des Staats iſt und wir haben zu §. 508, 2.
nachzuholen, daß für die Erhebung der Kunſt zu dieſer Bedeutung in
Frankreich mehr geſchieht, als irgendwo. Das Concurrenzweſen muß aber
Maaß einhalten; geſteigert zu dem Umfang und der Herrſchaft, wie in
Frankreich, zieht es den Schüler ab vom ſtillen Wachsthum der Kräfte
und führt ihn zu ſehr nach außen, ſpannt ſein ganzes Abſehen auf
den Erfolg. — Was die Künſte betrifft, die ihr geiſtigeres Leben in der
Zeitform äußern, ſo folgt die Muſik noch dem akademiſchen Syſtem, theils
in Verbindung mit den Akademieen, deren Hauptgegenſtand die bildende
Kunſt iſt, theils in beſondern Anſtalten, den Conſervatorien; die Dichtkunſt
läßt ihrem Weſen nach nicht auch nur den Verſuch einer ſolchen Schul-
Anſtalt zu und die italieniſchen Akademieen für Sprache und Dichtkunſt,
die deutſchen Dichter-Orden im ſiebzehnten Jahrhundert nach ihrem Vor-
bild (namentlich dem der crusca) gebildet, die fruchtbringende Geſellſchaft
oder der Palmenorden, die Geſellſchaft der Pegnizſchäfer oder der gekrönte
Blumenorden u. ſ. w. konnten nicht Schulen für künftige Dichter ſein
wollen, ſondern waren Innungen für Reinbewahrung der Sprache und
für gegenſeitige Förderung Solcher, die ſich für gemachte Dichter hielten;
ſie haben Verdienſte um die Sprache, waren übrigens Spielereien. Am
meiſten analog dem Akademieen-Weſen war die Dictatur über alle auf-
ſtrebenden Talente, wie ſie die conventionelle Poeſie in Frankreich durch
die ſog. Claſſiker, in Deutſchland namentlich durch Gottſched ausübte.
In gewiſſem Sinne aber iſt für den Dichter das, was für den bildenden
Künſtler die akademiſche Erziehung iſt, die allgemeine höhere Schulbildung:
durch ſie lernt er die großen Muſter-Werke der Poeſie kennen und ver-
ſtehen, durch ſie empfängt er die techniſche Vorübung für höhere Sprachform
und Rhythmus. — Aehnlich, wie in der Erziehung des bildenden Künſtlers,
ſtellt ſich dagegen die Sache in der Bildung des Schauſpielers. Die neuere Zeit
hat es mit ſich gebracht, daß man die Erziehung auch in dieſer Kunſtform
dem Zufälligen, was in der früheren Heranbildung des Zöglings inmitten
der Truppe und durch die Perſönlichkeit des Prinzipals lag, zu entnehmen

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[109/0121] ſondern als Reizmittel des Fortſchritts für Schüler zur Sprache kommt und mit allen Akademieen verbunden iſt, namentlich aber in Frankreich faſt noch eine wichtigere Rolle ſpielt, als der Unterricht (vergl. Kugler Ueber die Anſtalten und Einrichtungen zur Förderung der bild. Künſte u. ſ. w. S. 14. 15). Daß dieſes Mittel ein gutes, daß der Ehrgeiz ein berechtigter Hebel iſt, ſoll natürlich auch hier nicht geläugnet werden, und namentlich ſind die Preiſe als zweckmäßig anzuerkennen, welche in Abreichung der Mittel zu Studienreiſen beſtehen (académie de France in Rom); überhaupt wirkt dieſes Unterſtützungsſyſtem und die Akademie ſelbſt als Staasanſtalt ſchon durch die hierin ausgeſprochene Thatſache, daß die Kunſt eine Angelegeheit des Staats iſt und wir haben zu §. 508, 2. nachzuholen, daß für die Erhebung der Kunſt zu dieſer Bedeutung in Frankreich mehr geſchieht, als irgendwo. Das Concurrenzweſen muß aber Maaß einhalten; geſteigert zu dem Umfang und der Herrſchaft, wie in Frankreich, zieht es den Schüler ab vom ſtillen Wachsthum der Kräfte und führt ihn zu ſehr nach außen, ſpannt ſein ganzes Abſehen auf den Erfolg. — Was die Künſte betrifft, die ihr geiſtigeres Leben in der Zeitform äußern, ſo folgt die Muſik noch dem akademiſchen Syſtem, theils in Verbindung mit den Akademieen, deren Hauptgegenſtand die bildende Kunſt iſt, theils in beſondern Anſtalten, den Conſervatorien; die Dichtkunſt läßt ihrem Weſen nach nicht auch nur den Verſuch einer ſolchen Schul- Anſtalt zu und die italieniſchen Akademieen für Sprache und Dichtkunſt, die deutſchen Dichter-Orden im ſiebzehnten Jahrhundert nach ihrem Vor- bild (namentlich dem der crusca) gebildet, die fruchtbringende Geſellſchaft oder der Palmenorden, die Geſellſchaft der Pegnizſchäfer oder der gekrönte Blumenorden u. ſ. w. konnten nicht Schulen für künftige Dichter ſein wollen, ſondern waren Innungen für Reinbewahrung der Sprache und für gegenſeitige Förderung Solcher, die ſich für gemachte Dichter hielten; ſie haben Verdienſte um die Sprache, waren übrigens Spielereien. Am meiſten analog dem Akademieen-Weſen war die Dictatur über alle auf- ſtrebenden Talente, wie ſie die conventionelle Poeſie in Frankreich durch die ſog. Claſſiker, in Deutſchland namentlich durch Gottſched ausübte. In gewiſſem Sinne aber iſt für den Dichter das, was für den bildenden Künſtler die akademiſche Erziehung iſt, die allgemeine höhere Schulbildung: durch ſie lernt er die großen Muſter-Werke der Poeſie kennen und ver- ſtehen, durch ſie empfängt er die techniſche Vorübung für höhere Sprachform und Rhythmus. — Aehnlich, wie in der Erziehung des bildenden Künſtlers, ſtellt ſich dagegen die Sache in der Bildung des Schauſpielers. Die neuere Zeit hat es mit ſich gebracht, daß man die Erziehung auch in dieſer Kunſtform dem Zufälligen, was in der früheren Heranbildung des Zöglings inmitten der Truppe und durch die Perſönlichkeit des Prinzipals lag, zu entnehmen

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/121>, abgerufen am 22.11.2024.