Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

steht, daß die Akademie an sich und nothwendig diese mechanisirende
Wirkung habe, oder ob man nur das Akademieen-Wesen, wie es empirisch
einmal ist, im Auge hat. Das Richtige wird zunächst sein, daß der
akademischen Einrichtung dieses Uebel nahe liegt, daß es schwer vermeidlich
ist, und zwar deßwegen, weil es unmöglich ist, zwischen dem Theile der
Technik, der als ein exacter Unterrichtszweig ohne Frage schulmäßig mitgetheilt
werden kann, und dem Theile, der bereits ästhetischer Natur und daher
blos durch die incommensurabeln, geistigen Einwirkungen einer Persönlichkeit
mittheilbar ist, eine feste Linie zu ziehen. Zunächst ist allerdings ein exact
wissenschaftlicher Theil klar erkennbar und in Beziehung auf diesen steht
außer Zweifel, daß wir die Akademieen nicht entbehren können: so die
dem Architekten nothwendigen wissenschaftlichen Kenntnisse, Mathematik,
Geometrie, Statik, u. s. f., so die Vorkenntnisse und Vorübungen für den
Bildhauer und Maler: Perspective, Anatomie, Zeichnen nach Vorlagen,
Gyps-Abgüssen, nach dem Modell, Modelliren, Bearbeitung des Steins u. s. w.
Dieses ganze Gebiet ist, wie wir schon gezeigt, zu umfangreich geworden,
als daß der Schüler alle Unterrichtsmittel in einem Atelier vereinigt finden
könnte, insbesondere kann ihm in jetziger Zeit nicht erlassen werden, über
die einschlagenden Wissenschaften auch rein theoretisch sich zu belehren, d. h.
Vorlesungen zu hören, und daran können wir sogleich knüpfen, daß er
einen Begriff von der Kunstgeschichte haben muß, den er sich gewiß besser
durch Vorträge, als durch Lectüre aneignet; am ehesten könnten wir ihm
die Aesthetik erlassen, aber in einer räsonnirenden Zeit wird es doch schwer
sein, gegen einen Schwall falscher Maximen sich anders, als durch richtige
Begriffe zu waffnen. Nun mündet aber ein Theil jener fundamentalen
Unterrichts-Zweige bereits in das unbemeßbar Aesthetische: die Art und
Weise, die vorgelegten Muster anzuschauen, das lebendige Modell zu stellen
und aufzufassen, der Zug und Strich der Zeichnung, die Farbengebung, die
Behandlung der Formen im Modelliren, -- alles dieß liegt über die Formel
und schulgesetzmäßig darstellbare Regel ebensosehr hinaus, als es von der
andern Seite durch schulmäßige Anweisung gelernt werden muß. Dazu
kommt aber noch, daß selbst die geistig freieste Thätigkeit des Künstlers,
nämlich die Composition, zu den Unterrichtszweigen gezogen wird und, da
sie zwar Sache des freien Geistes ist, aber doch selbst auch einer Zucht
bedarf, gezogen werden muß. Die Lehrer nun sind zwar Künstler, aber
in ihrer Stellung zur Akademie Beamte, der Beamtengeist und dazu die
Gewohnheit der Unterrichtswiederholung mit der regelmäßig sich erneuern-
den größeren Schülerzahl wird sehr leicht eine vertrocknende Wirkung auf
den Geist ihres Unterrichts haben, er wird im Gegensatze gegen den des
Meisters, der mit seinen Schülern zusammenwohnend fortgesetzte persönliche
Anregung in der freieren Weise der Gelegenheit und Zufälligkeit übt, fast

ſteht, daß die Akademie an ſich und nothwendig dieſe mechaniſirende
Wirkung habe, oder ob man nur das Akademieen-Weſen, wie es empiriſch
einmal iſt, im Auge hat. Das Richtige wird zunächſt ſein, daß der
akademiſchen Einrichtung dieſes Uebel nahe liegt, daß es ſchwer vermeidlich
iſt, und zwar deßwegen, weil es unmöglich iſt, zwiſchen dem Theile der
Technik, der als ein exacter Unterrichtszweig ohne Frage ſchulmäßig mitgetheilt
werden kann, und dem Theile, der bereits äſthetiſcher Natur und daher
blos durch die incommenſurabeln, geiſtigen Einwirkungen einer Perſönlichkeit
mittheilbar iſt, eine feſte Linie zu ziehen. Zunächſt iſt allerdings ein exact
wiſſenſchaftlicher Theil klar erkennbar und in Beziehung auf dieſen ſteht
außer Zweifel, daß wir die Akademieen nicht entbehren können: ſo die
dem Architekten nothwendigen wiſſenſchaftlichen Kenntniſſe, Mathematik,
Geometrie, Statik, u. ſ. f., ſo die Vorkenntniſſe und Vorübungen für den
Bildhauer und Maler: Perſpective, Anatomie, Zeichnen nach Vorlagen,
Gyps-Abgüſſen, nach dem Modell, Modelliren, Bearbeitung des Steins u. ſ. w.
Dieſes ganze Gebiet iſt, wie wir ſchon gezeigt, zu umfangreich geworden,
als daß der Schüler alle Unterrichtsmittel in einem Atelier vereinigt finden
könnte, insbeſondere kann ihm in jetziger Zeit nicht erlaſſen werden, über
die einſchlagenden Wiſſenſchaften auch rein theoretiſch ſich zu belehren, d. h.
Vorleſungen zu hören, und daran können wir ſogleich knüpfen, daß er
einen Begriff von der Kunſtgeſchichte haben muß, den er ſich gewiß beſſer
durch Vorträge, als durch Lectüre aneignet; am eheſten könnten wir ihm
die Aeſthetik erlaſſen, aber in einer räſonnirenden Zeit wird es doch ſchwer
ſein, gegen einen Schwall falſcher Maximen ſich anders, als durch richtige
Begriffe zu waffnen. Nun mündet aber ein Theil jener fundamentalen
Unterrichts-Zweige bereits in das unbemeßbar Aeſthetiſche: die Art und
Weiſe, die vorgelegten Muſter anzuſchauen, das lebendige Modell zu ſtellen
und aufzufaſſen, der Zug und Strich der Zeichnung, die Farbengebung, die
Behandlung der Formen im Modelliren, — alles dieß liegt über die Formel
und ſchulgeſetzmäßig darſtellbare Regel ebenſoſehr hinaus, als es von der
andern Seite durch ſchulmäßige Anweiſung gelernt werden muß. Dazu
kommt aber noch, daß ſelbſt die geiſtig freieſte Thätigkeit des Künſtlers,
nämlich die Compoſition, zu den Unterrichtszweigen gezogen wird und, da
ſie zwar Sache des freien Geiſtes iſt, aber doch ſelbſt auch einer Zucht
bedarf, gezogen werden muß. Die Lehrer nun ſind zwar Künſtler, aber
in ihrer Stellung zur Akademie Beamte, der Beamtengeiſt und dazu die
Gewohnheit der Unterrichtswiederholung mit der regelmäßig ſich erneuern-
den größeren Schülerzahl wird ſehr leicht eine vertrocknende Wirkung auf
den Geiſt ihres Unterrichts haben, er wird im Gegenſatze gegen den des
Meiſters, der mit ſeinen Schülern zuſammenwohnend fortgeſetzte perſönliche
Anregung in der freieren Weiſe der Gelegenheit und Zufälligkeit übt, faſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0119" n="107"/>
&#x017F;teht, daß die Akademie an &#x017F;ich und <hi rendition="#g">nothwendig</hi> die&#x017F;e mechani&#x017F;irende<lb/>
Wirkung habe, oder ob man nur das Akademieen-We&#x017F;en, wie es empiri&#x017F;ch<lb/>
einmal i&#x017F;t, im Auge hat. Das Richtige wird zunäch&#x017F;t &#x017F;ein, daß der<lb/>
akademi&#x017F;chen Einrichtung die&#x017F;es Uebel nahe liegt, daß es &#x017F;chwer vermeidlich<lb/>
i&#x017F;t, und zwar deßwegen, weil es unmöglich i&#x017F;t, zwi&#x017F;chen dem Theile der<lb/>
Technik, der als ein exacter Unterrichtszweig ohne Frage &#x017F;chulmäßig mitgetheilt<lb/>
werden kann, und dem Theile, der bereits ä&#x017F;theti&#x017F;cher Natur und daher<lb/>
blos durch die incommen&#x017F;urabeln, gei&#x017F;tigen Einwirkungen einer Per&#x017F;önlichkeit<lb/>
mittheilbar i&#x017F;t, eine fe&#x017F;te Linie zu ziehen. Zunäch&#x017F;t i&#x017F;t allerdings ein exact<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlicher Theil klar erkennbar und in Beziehung auf die&#x017F;en &#x017F;teht<lb/>
außer Zweifel, daß wir die Akademieen nicht entbehren können: &#x017F;o die<lb/>
dem Architekten nothwendigen wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Kenntni&#x017F;&#x017F;e, Mathematik,<lb/>
Geometrie, Statik, u. &#x017F;. f., &#x017F;o die Vorkenntni&#x017F;&#x017F;e und Vorübungen für den<lb/>
Bildhauer und Maler: Per&#x017F;pective, Anatomie, Zeichnen nach Vorlagen,<lb/>
Gyps-Abgü&#x017F;&#x017F;en, nach dem Modell, Modelliren, Bearbeitung des Steins u. &#x017F;. w.<lb/>
Die&#x017F;es ganze Gebiet i&#x017F;t, wie wir &#x017F;chon gezeigt, zu umfangreich geworden,<lb/>
als daß der Schüler alle Unterrichtsmittel in einem Atelier vereinigt finden<lb/>
könnte, insbe&#x017F;ondere kann ihm in jetziger Zeit nicht erla&#x017F;&#x017F;en werden, über<lb/>
die ein&#x017F;chlagenden Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften auch rein theoreti&#x017F;ch &#x017F;ich zu belehren, d. h.<lb/>
Vorle&#x017F;ungen zu hören, und daran können wir &#x017F;ogleich knüpfen, daß er<lb/>
einen Begriff von der Kun&#x017F;tge&#x017F;chichte haben muß, den er &#x017F;ich gewiß be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
durch Vorträge, als durch Lectüre aneignet; am ehe&#x017F;ten könnten wir ihm<lb/>
die Ae&#x017F;thetik erla&#x017F;&#x017F;en, aber in einer rä&#x017F;onnirenden Zeit wird es doch &#x017F;chwer<lb/>
&#x017F;ein, gegen einen Schwall fal&#x017F;cher Maximen &#x017F;ich anders, als durch richtige<lb/>
Begriffe zu waffnen. Nun mündet aber ein Theil jener fundamentalen<lb/>
Unterrichts-Zweige bereits in das unbemeßbar Ae&#x017F;theti&#x017F;che: die Art und<lb/>
Wei&#x017F;e, die vorgelegten Mu&#x017F;ter anzu&#x017F;chauen, das lebendige Modell zu &#x017F;tellen<lb/>
und aufzufa&#x017F;&#x017F;en, der Zug und Strich der Zeichnung, die Farbengebung, die<lb/>
Behandlung der Formen im Modelliren, &#x2014; alles dieß liegt über die Formel<lb/>
und &#x017F;chulge&#x017F;etzmäßig dar&#x017F;tellbare Regel eben&#x017F;o&#x017F;ehr hinaus, als es von der<lb/>
andern Seite durch &#x017F;chulmäßige Anwei&#x017F;ung gelernt werden muß. Dazu<lb/>
kommt aber noch, daß &#x017F;elb&#x017F;t die gei&#x017F;tig freie&#x017F;te Thätigkeit des Kün&#x017F;tlers,<lb/>
nämlich die Compo&#x017F;ition, zu den Unterrichtszweigen gezogen wird und, da<lb/>
&#x017F;ie zwar Sache des freien Gei&#x017F;tes i&#x017F;t, aber doch &#x017F;elb&#x017F;t auch einer Zucht<lb/>
bedarf, gezogen werden muß. Die Lehrer nun &#x017F;ind zwar Kün&#x017F;tler, aber<lb/>
in ihrer Stellung zur Akademie Beamte, der Beamtengei&#x017F;t und dazu die<lb/>
Gewohnheit der Unterrichtswiederholung mit der regelmäßig &#x017F;ich erneuern-<lb/>
den größeren Schülerzahl wird &#x017F;ehr leicht eine vertrocknende Wirkung auf<lb/>
den Gei&#x017F;t ihres Unterrichts haben, er wird im Gegen&#x017F;atze gegen den des<lb/>
Mei&#x017F;ters, der mit &#x017F;einen Schülern zu&#x017F;ammenwohnend fortge&#x017F;etzte per&#x017F;önliche<lb/>
Anregung in der freieren Wei&#x017F;e der Gelegenheit und Zufälligkeit übt, fa&#x017F;t<lb/></hi> </p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0119] ſteht, daß die Akademie an ſich und nothwendig dieſe mechaniſirende Wirkung habe, oder ob man nur das Akademieen-Weſen, wie es empiriſch einmal iſt, im Auge hat. Das Richtige wird zunächſt ſein, daß der akademiſchen Einrichtung dieſes Uebel nahe liegt, daß es ſchwer vermeidlich iſt, und zwar deßwegen, weil es unmöglich iſt, zwiſchen dem Theile der Technik, der als ein exacter Unterrichtszweig ohne Frage ſchulmäßig mitgetheilt werden kann, und dem Theile, der bereits äſthetiſcher Natur und daher blos durch die incommenſurabeln, geiſtigen Einwirkungen einer Perſönlichkeit mittheilbar iſt, eine feſte Linie zu ziehen. Zunächſt iſt allerdings ein exact wiſſenſchaftlicher Theil klar erkennbar und in Beziehung auf dieſen ſteht außer Zweifel, daß wir die Akademieen nicht entbehren können: ſo die dem Architekten nothwendigen wiſſenſchaftlichen Kenntniſſe, Mathematik, Geometrie, Statik, u. ſ. f., ſo die Vorkenntniſſe und Vorübungen für den Bildhauer und Maler: Perſpective, Anatomie, Zeichnen nach Vorlagen, Gyps-Abgüſſen, nach dem Modell, Modelliren, Bearbeitung des Steins u. ſ. w. Dieſes ganze Gebiet iſt, wie wir ſchon gezeigt, zu umfangreich geworden, als daß der Schüler alle Unterrichtsmittel in einem Atelier vereinigt finden könnte, insbeſondere kann ihm in jetziger Zeit nicht erlaſſen werden, über die einſchlagenden Wiſſenſchaften auch rein theoretiſch ſich zu belehren, d. h. Vorleſungen zu hören, und daran können wir ſogleich knüpfen, daß er einen Begriff von der Kunſtgeſchichte haben muß, den er ſich gewiß beſſer durch Vorträge, als durch Lectüre aneignet; am eheſten könnten wir ihm die Aeſthetik erlaſſen, aber in einer räſonnirenden Zeit wird es doch ſchwer ſein, gegen einen Schwall falſcher Maximen ſich anders, als durch richtige Begriffe zu waffnen. Nun mündet aber ein Theil jener fundamentalen Unterrichts-Zweige bereits in das unbemeßbar Aeſthetiſche: die Art und Weiſe, die vorgelegten Muſter anzuſchauen, das lebendige Modell zu ſtellen und aufzufaſſen, der Zug und Strich der Zeichnung, die Farbengebung, die Behandlung der Formen im Modelliren, — alles dieß liegt über die Formel und ſchulgeſetzmäßig darſtellbare Regel ebenſoſehr hinaus, als es von der andern Seite durch ſchulmäßige Anweiſung gelernt werden muß. Dazu kommt aber noch, daß ſelbſt die geiſtig freieſte Thätigkeit des Künſtlers, nämlich die Compoſition, zu den Unterrichtszweigen gezogen wird und, da ſie zwar Sache des freien Geiſtes iſt, aber doch ſelbſt auch einer Zucht bedarf, gezogen werden muß. Die Lehrer nun ſind zwar Künſtler, aber in ihrer Stellung zur Akademie Beamte, der Beamtengeiſt und dazu die Gewohnheit der Unterrichtswiederholung mit der regelmäßig ſich erneuern- den größeren Schülerzahl wird ſehr leicht eine vertrocknende Wirkung auf den Geiſt ihres Unterrichts haben, er wird im Gegenſatze gegen den des Meiſters, der mit ſeinen Schülern zuſammenwohnend fortgeſetzte perſönliche Anregung in der freieren Weiſe der Gelegenheit und Zufälligkeit übt, faſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/119
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/119>, abgerufen am 22.11.2024.