eine Bewußtheit des Effects, was wenigstens den Charakter der alten Zeit und naturwüchsiger Bildung überall aufhebt. Wenn der §. sagt, es genüge, den Typus einzuhalten, so ist damit gemeint, es müsse das in den Formen einer Zeit, eines Standes, Volks, was ihre Gefühlsweise, Stimmung, Bildungsstufe wesentlich ausdrückt, festgehalten werden, und dieß reicht hin. Wer z. B. aus der ersten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts einen Stoff nähme und wäre unbekannt mit dem leidenschaftlichen, wilden, in Kleidern weitschweifigen, gebauschten, betroddelten, geschlitzten, bebänder- ten Wesen desselben, der würde einen Grundfehler begehen, ob er aber um ein paar Jahre und Moden fehlt, hat natürlich Nichts zu sagen. Wer den schroffen Geist altbürgerlicher Sitte in einer Handwerkerfamilie zum Stoffe nimmt und ihr Gewohnheiten, Kleider raffinirter und win- diger Art beilegt, hat am Wesen des Stoffes sich vergriffen. Es kann in diesem Gebiete die Kunst nach Umständen auch einigen gelehrten Appa- rat bei dem Zuschauer voraussetzen, so gut sie eine historische Notiz vor- aussetzt oder mitgiebt, was der Forderung, daß das Kunstwerk sich ganz aus sich selbst erklären soll, gar nicht widerspricht; Göthe hat aber im Faust etwas zu viel Zauberwesens, auch unverständliche Zeitbeziehun- gen eingewoben (schon dem ersten Theil, der zweite existirt für uns gar nicht). Etwas ganz Anderes ist es natürlich mit Kunstwerken aus alter Zeit, welche deßwegen einen Apparat der Erklärung fordern, weil die Zeit- formen des Künstlers selbst verschwunden, Object der Gelehrsamkeit ge- worden sind. Unter die Culturformen gehört namentlich Bewaffnung und Kostüm und eben an diesen läßt sich am besten zeigen, wie weit die Treue gehen muß. Die Schießwaffen z. B. in eine Zeit zurückversetzen, wo die individuelle Tapferkeit in der unmittelbarsten Bethätigung körper- licher Kraft und Behendigkeit noch Charakter des Kriegs ist, oder umge- kehrt, wäre lächerlich; allein einige Jahre um die Neige des Mittelalters hin oder her schadet nichts, die neue Erfindung wurde so schnell nicht durchgeführt, ritterliche Waffen und Büchsen gingen lange nebeneinander. Ueber das Kostüm in besonderer Anwendung auf das Theater sagte schon Tieck in seinen dramatischen Blättern beherzigenswerthe Worte, Rötscher (die Kunst der dram. Darstellung S. 362 ff.) hat dem rechten Grundsatze seine Stelle im Ganzen angewiesen. Auf dem Theater zeigt sich recht, daß gelehrter Kleiderpomp den wahren Körper des Schönen erdrückt, der sich in einer allgemeinen Beobachtung des Typus einer Zeit leicht und bequem bewegt. Allerdings ist aber eine, nur nicht allzuängstliche, Ein- haltung des Kostüms auch eine Probe für die Objectivät des Kunstwerks. Seit z. B. der Wallenstein im richtigen Kostüm des dreißigjährigen Kriegs aufgeführt wird, fühlt man recht, wo der Dichter diese gestiefelte Zeit richtig angeschaut, wo er dagegen zu viel Philosophie und Senti-
eine Bewußtheit des Effects, was wenigſtens den Charakter der alten Zeit und naturwüchſiger Bildung überall aufhebt. Wenn der §. ſagt, es genüge, den Typus einzuhalten, ſo iſt damit gemeint, es müſſe das in den Formen einer Zeit, eines Standes, Volks, was ihre Gefühlsweiſe, Stimmung, Bildungsſtufe weſentlich ausdrückt, feſtgehalten werden, und dieß reicht hin. Wer z. B. aus der erſten Hälfte des ſiebenzehnten Jahrhunderts einen Stoff nähme und wäre unbekannt mit dem leidenſchaftlichen, wilden, in Kleidern weitſchweifigen, gebauſchten, betroddelten, geſchlitzten, bebänder- ten Weſen deſſelben, der würde einen Grundfehler begehen, ob er aber um ein paar Jahre und Moden fehlt, hat natürlich Nichts zu ſagen. Wer den ſchroffen Geiſt altbürgerlicher Sitte in einer Handwerkerfamilie zum Stoffe nimmt und ihr Gewohnheiten, Kleider raffinirter und win- diger Art beilegt, hat am Weſen des Stoffes ſich vergriffen. Es kann in dieſem Gebiete die Kunſt nach Umſtänden auch einigen gelehrten Appa- rat bei dem Zuſchauer vorausſetzen, ſo gut ſie eine hiſtoriſche Notiz vor- ausſetzt oder mitgiebt, was der Forderung, daß das Kunſtwerk ſich ganz aus ſich ſelbſt erklären ſoll, gar nicht widerſpricht; Göthe hat aber im Fauſt etwas zu viel Zauberweſens, auch unverſtändliche Zeitbeziehun- gen eingewoben (ſchon dem erſten Theil, der zweite exiſtirt für uns gar nicht). Etwas ganz Anderes iſt es natürlich mit Kunſtwerken aus alter Zeit, welche deßwegen einen Apparat der Erklärung fordern, weil die Zeit- formen des Künſtlers ſelbſt verſchwunden, Object der Gelehrſamkeit ge- worden ſind. Unter die Culturformen gehört namentlich Bewaffnung und Koſtüm und eben an dieſen läßt ſich am beſten zeigen, wie weit die Treue gehen muß. Die Schießwaffen z. B. in eine Zeit zurückverſetzen, wo die individuelle Tapferkeit in der unmittelbarſten Bethätigung körper- licher Kraft und Behendigkeit noch Charakter des Kriegs iſt, oder umge- kehrt, wäre lächerlich; allein einige Jahre um die Neige des Mittelalters hin oder her ſchadet nichts, die neue Erfindung wurde ſo ſchnell nicht durchgeführt, ritterliche Waffen und Büchſen gingen lange nebeneinander. Ueber das Koſtüm in beſonderer Anwendung auf das Theater ſagte ſchon Tieck in ſeinen dramatiſchen Blättern beherzigenswerthe Worte, Rötſcher (die Kunſt der dram. Darſtellung S. 362 ff.) hat dem rechten Grundſatze ſeine Stelle im Ganzen angewieſen. Auf dem Theater zeigt ſich recht, daß gelehrter Kleiderpomp den wahren Körper des Schönen erdrückt, der ſich in einer allgemeinen Beobachtung des Typus einer Zeit leicht und bequem bewegt. Allerdings iſt aber eine, nur nicht allzuängſtliche, Ein- haltung des Koſtüms auch eine Probe für die Objectivät des Kunſtwerks. Seit z. B. der Wallenſtein im richtigen Koſtüm des dreißigjährigen Kriegs aufgeführt wird, fühlt man recht, wo der Dichter dieſe geſtiefelte Zeit richtig angeſchaut, wo er dagegen zu viel Philoſophie und Senti-
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eine Bewußtheit des Effects, was wenigſtens den Charakter der alten Zeit
und naturwüchſiger Bildung überall aufhebt. Wenn der §. ſagt, es genüge,
den Typus einzuhalten, ſo iſt damit gemeint, es müſſe das in den Formen
einer Zeit, eines Standes, Volks, was ihre Gefühlsweiſe, Stimmung,
Bildungsſtufe weſentlich ausdrückt, feſtgehalten werden, und dieß reicht
hin. Wer z. B. aus der erſten Hälfte des ſiebenzehnten Jahrhunderts
einen Stoff nähme und wäre unbekannt mit dem leidenſchaftlichen, wilden,
in Kleidern weitſchweifigen, gebauſchten, betroddelten, geſchlitzten, bebänder-
ten Weſen deſſelben, der würde einen Grundfehler begehen, ob er aber
um ein paar Jahre und Moden fehlt, hat natürlich Nichts zu ſagen.
Wer den ſchroffen Geiſt altbürgerlicher Sitte in einer Handwerkerfamilie
zum Stoffe nimmt und ihr Gewohnheiten, Kleider raffinirter und win-
diger Art beilegt, hat am Weſen des Stoffes ſich vergriffen. Es kann
in dieſem Gebiete die Kunſt nach Umſtänden auch einigen gelehrten Appa-
rat bei dem Zuſchauer vorausſetzen, ſo gut ſie eine hiſtoriſche Notiz vor-
ausſetzt oder mitgiebt, was der Forderung, daß das Kunſtwerk ſich ganz
aus ſich ſelbſt erklären ſoll, gar nicht widerſpricht; Göthe hat aber im
Fauſt etwas zu viel Zauberweſens, auch unverſtändliche Zeitbeziehun-
gen eingewoben (ſchon dem erſten Theil, der zweite exiſtirt für uns gar nicht).
Etwas ganz Anderes iſt es natürlich mit Kunſtwerken aus alter Zeit,
welche deßwegen einen Apparat der Erklärung fordern, weil die Zeit-
formen des Künſtlers ſelbſt verſchwunden, Object der Gelehrſamkeit ge-
worden ſind. Unter die Culturformen gehört namentlich Bewaffnung
und Koſtüm und eben an dieſen läßt ſich am beſten zeigen, wie weit die
Treue gehen muß. Die Schießwaffen z. B. in eine Zeit zurückverſetzen,
wo die individuelle Tapferkeit in der unmittelbarſten Bethätigung körper-
licher Kraft und Behendigkeit noch Charakter des Kriegs iſt, oder umge-
kehrt, wäre lächerlich; allein einige Jahre um die Neige des Mittelalters
hin oder her ſchadet nichts, die neue Erfindung wurde ſo ſchnell nicht
durchgeführt, ritterliche Waffen und Büchſen gingen lange nebeneinander.
Ueber das Koſtüm in beſonderer Anwendung auf das Theater ſagte ſchon
Tieck in ſeinen dramatiſchen Blättern beherzigenswerthe Worte, Rötſcher
(die Kunſt der dram. Darſtellung S. 362 ff.) hat dem rechten Grundſatze
ſeine Stelle im Ganzen angewieſen. Auf dem Theater zeigt ſich recht,
daß gelehrter Kleiderpomp den wahren Körper des Schönen erdrückt, der
ſich in einer allgemeinen Beobachtung des Typus einer Zeit leicht und
bequem bewegt. Allerdings iſt aber eine, nur nicht allzuängſtliche, Ein-
haltung des Koſtüms auch eine Probe für die Objectivät des Kunſtwerks.
Seit z. B. der Wallenſtein im richtigen Koſtüm des dreißigjährigen
Kriegs aufgeführt wird, fühlt man recht, wo der Dichter dieſe geſtiefelte
Zeit richtig angeſchaut, wo er dagegen zu viel Philoſophie und Senti-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/83>, abgerufen am 08.07.2024.
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