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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.

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dann setzt er hinzu, er müsse sogar so viel als möglich mit den Gebärden
mitarbeiten, denn er wirke desto mehr, je mehr er sich in die darzustellende
Leidenschaft versetze (en tois pathebin einai). Die letztere Seite brauchen
wir nicht besonders zu verfolgen, da wir eine Vermählung des Phanta-
siebegabten mit dem innersten Leben des Objects zum Ausgangspunkte
nahmen, die Leidenschaft aber nur einer der unendlichen Stoffe ist, welche
die Phantasie ergreift. Das Bild, das dem Subjecte gegenübersteht,
ist Bild der Sache mit seinem ganzen Gefühlsleben vermehrt. Je vollen-
deter das Bild, desto erfüllter auch in diesem Sinne, desto mehr wallt
also auch das Gemüth des Anschauenden selbst und er mag im innerlichen
Schauen selbst den Bewegungen desselben folgen, laut mit sich reden, in-
dem er die Stimme einer dargestellten Person übernimmt; aber um so sicherer
tritt auch die nöthige Kälte der Unterscheidung des eigenen Ich vom Bilde,
die Lösung des pathologischen Verhältnisses, kurz Besonnenheit in die Be-
geisterung. Diese wesentliche Bedingung der Objectivität des inneren
Bildes hat weder Aristoteles an der genannten Stelle, noch Quinctilian in
der ganz ähnlichen Aeußerung VI, 2, 26., welche Hartung (Lehren der Alten
über die Dichtkunst u. s. w. S. 52) anführt, in's Licht gesetzt. Der Letz-
tere führt einen bei affectvoller Stelle weinenden Schauspieler an, was an
die bekannte Scene im Hamlet erinnert. Allerdings ist der Zustand des
Schauspielers im leidenschaftlichen Spiel hier besonders belehrend; er muß
ganz in sein Bild ein- und aufgehen und doch darf seine Leidenschaft
nicht eigentliche Leidenschaft sein, er muß sich ebenso zurückbehalten: und
beides wächst in gleichem Verhältniß mit der Klarheit, Objectivität seines
inneren Schauens. Longin peri upsous Sect. 15, 1. spricht jenen Begriff
der Phantasie mit den schlagenden Worten aus: idios depi touton
kekrateke tou"noma (phantabia), otan, a leges, up enthoubiabmou kai
pathous blepein dokes kai up` opsin tithes tois akououbin. Dann sagt
er von einer Stelle im Orestes des Euripides: entauth o poietes autos
eiden erinnuas. Dieses innere Bild nun ist durch die von uns darge-
stellte Verwandlung reiner Ausdruck der Idee geworden. Plato's Feind-
seligkeit gegen die Kunst ruht auf einer falschen Logik, die sich gerade in
diesen Punkt eingenistet hat. Die Phantasie, so argumentirt er (Staat C. 10)
gibt ein Abbild des Gegenstands, dieser selbst ist ein Abbild der Idee des Ge-
genstands, wie sie im göttlichen Verstande wohnt. Nun nimmt er die objective
Darstellung des Phantasiebilds durch die Kunst, von der wir noch nicht reden,
hinzu und sagt, diese sei wieder ein Abbild des Phantasiebilds. Folglich, schließt
er, sei das Kunstwerk das Bild von dem Bilde eines Bildes. Lassen wir das
letzte Glied, das Kunstwerk weg, so ist also das Phantasiebild Bild des Bildes;
es ist zwar nicht, wie Plato vom Kunstwerk sagt, aus der dritten, aber doch
immer nur aus der zweiten Hand. Allein gerade diese zweite Hand hebt ja die

dann ſetzt er hinzu, er müſſe ſogar ſo viel als möglich mit den Gebärden
mitarbeiten, denn er wirke deſto mehr, je mehr er ſich in die darzuſtellende
Leidenſchaft verſetze (ἐν τοῖς πάϑεϐιν εἶναι). Die letztere Seite brauchen
wir nicht beſonders zu verfolgen, da wir eine Vermählung des Phanta-
ſiebegabten mit dem innerſten Leben des Objects zum Ausgangspunkte
nahmen, die Leidenſchaft aber nur einer der unendlichen Stoffe iſt, welche
die Phantaſie ergreift. Das Bild, das dem Subjecte gegenüberſteht,
iſt Bild der Sache mit ſeinem ganzen Gefühlsleben vermehrt. Je vollen-
deter das Bild, deſto erfüllter auch in dieſem Sinne, deſto mehr wallt
alſo auch das Gemüth des Anſchauenden ſelbſt und er mag im innerlichen
Schauen ſelbſt den Bewegungen deſſelben folgen, laut mit ſich reden, in-
dem er die Stimme einer dargeſtellten Perſon übernimmt; aber um ſo ſicherer
tritt auch die nöthige Kälte der Unterſcheidung des eigenen Ich vom Bilde,
die Löſung des pathologiſchen Verhältniſſes, kurz Beſonnenheit in die Be-
geiſterung. Dieſe weſentliche Bedingung der Objectivität des inneren
Bildes hat weder Ariſtoteles an der genannten Stelle, noch Quinctilian in
der ganz ähnlichen Aeußerung VI, 2, 26., welche Hartung (Lehren der Alten
über die Dichtkunſt u. ſ. w. S. 52) anführt, in’s Licht geſetzt. Der Letz-
tere führt einen bei affectvoller Stelle weinenden Schauſpieler an, was an
die bekannte Scene im Hamlet erinnert. Allerdings iſt der Zuſtand des
Schauſpielers im leidenſchaftlichen Spiel hier beſonders belehrend; er muß
ganz in ſein Bild ein- und aufgehen und doch darf ſeine Leidenſchaft
nicht eigentliche Leidenſchaft ſein, er muß ſich ebenſo zurückbehalten: und
beides wächſt in gleichem Verhältniß mit der Klarheit, Objectivität ſeines
inneren Schauens. Longin περὶ ὕψȣς Sect. 15, 1. ſpricht jenen Begriff
der Phantaſie mit den ſchlagenden Worten aus: ἰδίως δ̕ἐπὶ τȣ́των
κεκράτηκε τȣ῎νομα (φανταϐία), ὅταν, ἃ λέγῃς, ὑπ̕ ἐνϑȣϐιαϐμȣ̂ καὶ
πάϑȣς βλέπειν δοκῇς καὶ ὑπ` ὄψιν τιϑῇς τοῖς ἀκȣ́ȣϐιν. Dann ſagt
er von einer Stelle im Oreſtes des Euripides: ἐνταῦϑ̕ ὁ ποιητὴς αὐτὸς
εἶδεν ἐριννύας. Dieſes innere Bild nun iſt durch die von uns darge-
ſtellte Verwandlung reiner Ausdruck der Idee geworden. Plato’s Feind-
ſeligkeit gegen die Kunſt ruht auf einer falſchen Logik, die ſich gerade in
dieſen Punkt eingeniſtet hat. Die Phantaſie, ſo argumentirt er (Staat C. 10)
gibt ein Abbild des Gegenſtands, dieſer ſelbſt iſt ein Abbild der Idee des Ge-
genſtands, wie ſie im göttlichen Verſtande wohnt. Nun nimmt er die objective
Darſtellung des Phantaſiebilds durch die Kunſt, von der wir noch nicht reden,
hinzu und ſagt, dieſe ſei wieder ein Abbild des Phantaſiebilds. Folglich, ſchließt
er, ſei das Kunſtwerk das Bild von dem Bilde eines Bildes. Laſſen wir das
letzte Glied, das Kunſtwerk weg, ſo iſt alſo das Phantaſiebild Bild des Bildes;
es iſt zwar nicht, wie Plato vom Kunſtwerk ſagt, aus der dritten, aber doch
immer nur aus der zweiten Hand. Allein gerade dieſe zweite Hand hebt ja die

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[359/0073] dann ſetzt er hinzu, er müſſe ſogar ſo viel als möglich mit den Gebärden mitarbeiten, denn er wirke deſto mehr, je mehr er ſich in die darzuſtellende Leidenſchaft verſetze (ἐν τοῖς πάϑεϐιν εἶναι). Die letztere Seite brauchen wir nicht beſonders zu verfolgen, da wir eine Vermählung des Phanta- ſiebegabten mit dem innerſten Leben des Objects zum Ausgangspunkte nahmen, die Leidenſchaft aber nur einer der unendlichen Stoffe iſt, welche die Phantaſie ergreift. Das Bild, das dem Subjecte gegenüberſteht, iſt Bild der Sache mit ſeinem ganzen Gefühlsleben vermehrt. Je vollen- deter das Bild, deſto erfüllter auch in dieſem Sinne, deſto mehr wallt alſo auch das Gemüth des Anſchauenden ſelbſt und er mag im innerlichen Schauen ſelbſt den Bewegungen deſſelben folgen, laut mit ſich reden, in- dem er die Stimme einer dargeſtellten Perſon übernimmt; aber um ſo ſicherer tritt auch die nöthige Kälte der Unterſcheidung des eigenen Ich vom Bilde, die Löſung des pathologiſchen Verhältniſſes, kurz Beſonnenheit in die Be- geiſterung. Dieſe weſentliche Bedingung der Objectivität des inneren Bildes hat weder Ariſtoteles an der genannten Stelle, noch Quinctilian in der ganz ähnlichen Aeußerung VI, 2, 26., welche Hartung (Lehren der Alten über die Dichtkunſt u. ſ. w. S. 52) anführt, in’s Licht geſetzt. Der Letz- tere führt einen bei affectvoller Stelle weinenden Schauſpieler an, was an die bekannte Scene im Hamlet erinnert. Allerdings iſt der Zuſtand des Schauſpielers im leidenſchaftlichen Spiel hier beſonders belehrend; er muß ganz in ſein Bild ein- und aufgehen und doch darf ſeine Leidenſchaft nicht eigentliche Leidenſchaft ſein, er muß ſich ebenſo zurückbehalten: und beides wächſt in gleichem Verhältniß mit der Klarheit, Objectivität ſeines inneren Schauens. Longin περὶ ὕψȣς Sect. 15, 1. ſpricht jenen Begriff der Phantaſie mit den ſchlagenden Worten aus: ἰδίως δ̕ἐπὶ τȣ́των κεκράτηκε τȣ῎νομα (φανταϐία), ὅταν, ἃ λέγῃς, ὑπ̕ ἐνϑȣϐιαϐμȣ̂ καὶ πάϑȣς βλέπειν δοκῇς καὶ ὑπ` ὄψιν τιϑῇς τοῖς ἀκȣ́ȣϐιν. Dann ſagt er von einer Stelle im Oreſtes des Euripides: ἐνταῦϑ̕ ὁ ποιητὴς αὐτὸς εἶδεν ἐριννύας. Dieſes innere Bild nun iſt durch die von uns darge- ſtellte Verwandlung reiner Ausdruck der Idee geworden. Plato’s Feind- ſeligkeit gegen die Kunſt ruht auf einer falſchen Logik, die ſich gerade in dieſen Punkt eingeniſtet hat. Die Phantaſie, ſo argumentirt er (Staat C. 10) gibt ein Abbild des Gegenſtands, dieſer ſelbſt iſt ein Abbild der Idee des Ge- genſtands, wie ſie im göttlichen Verſtande wohnt. Nun nimmt er die objective Darſtellung des Phantaſiebilds durch die Kunſt, von der wir noch nicht reden, hinzu und ſagt, dieſe ſei wieder ein Abbild des Phantaſiebilds. Folglich, ſchließt er, ſei das Kunſtwerk das Bild von dem Bilde eines Bildes. Laſſen wir das letzte Glied, das Kunſtwerk weg, ſo iſt alſo das Phantaſiebild Bild des Bildes; es iſt zwar nicht, wie Plato vom Kunſtwerk ſagt, aus der dritten, aber doch immer nur aus der zweiten Hand. Allein gerade dieſe zweite Hand hebt ja die

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/73>, abgerufen am 24.11.2024.