Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.
lichkeit an das persönliche Leben des Phantasiebegabten zu spannen sei.
lichkeit an das perſönliche Leben des Phantaſiebegabten zu ſpannen ſei. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0051" n="337"/> lichkeit an das perſönliche Leben des Phantaſiebegabten zu ſpannen ſei.<lb/> Hier iſt nun einfach zu ſagen, daß die weſentliche Sittlichkeit eines jeden<lb/> Menſchen darauf geſtellt ſei, daß er ſeinem ſpeziellen Beruf lebe, daß alſo<lb/> der Phantaſiebegabte um ſo ſittlicher ſei, je mehr Schönes und je Schöneres<lb/> er hervorbringe. Vergeudet er ſeinen Geiſt in Genuß und unordentlichem<lb/> Leben, ſo ſchafft er wenig und Mangelhaftes, und da iſt in der äſthetiſchen<lb/> Beurtheilung die ſittliche von ſelbſt miteingeſchloſſen. Große Gaben, die<lb/> würdig geweſen wären, in den Himmel des Schönen gerettet und geſam-<lb/> melt zu werden, können in einem eiteln Leben hinter dem Weinglas, im<lb/> Salon und in liederlicher oder blaſirter Geſellſchaft verpufft werden; dieß<lb/> iſt bei ſpezifiſchem Berufe viel ſtrenger zu beurtheilen, als die Leidenſchaften<lb/> des Privatlebens, von denen §. 389, Anm. <hi rendition="#sub">2</hi> die Rede war. Was aber<lb/> insbeſondere das Politiſche betrifft, ſo liegt in jetziger Zeit eine große<lb/> Schwierigkeit vor. Der Genius geht, wie im folgenden §. wieder auf-<lb/> zufaſſen iſt, von der Naturſchönheit aus. Eine in der Wirklichkeit ſchon<lb/> abgeſchloſſene Geſtalt ſoll ihm Stoff ſein, der naturſchöne Stoff muß der<lb/> Phantaſie eine gewiſſe Reife ſchon entgegenbringen. Der ſittliche Reichthum,<lb/> den wir von ihm fordern, ſoll ihm freilich die rechten, die großen geſchichtlichen<lb/> Stoffe weiſen, aber ſie müſſen auch Formfülle haben. Ihn zieht billig<lb/> der Glanz an. Iſt nun der Glanz da, wo die politiſche Berechtigung<lb/> und im Zeitbedürfniß gegründete Größe iſt, wie in den alten Republiken<lb/> und in der jungen Monarchie zu Schakespeares Zeit, ſo iſt es gut; iſt<lb/> aber das innere Leben nicht mehr da, wo der Glanz iſt, ſucht die politiſche<lb/> Idee eine neue Form und hat ſie noch nicht gefunden, ſo iſt der Dichter<lb/> übel daran: das Formbedürfniß zieht ihn zum ausgelebten Glanze und<lb/> das Gehaltsbedürfniß findet keine Form. Da fordert nun unſere Zeit<lb/> politiſche Kunſt im Sinne eines Mittels, Begeiſterung für das Ideal der<lb/> Zukunft zu wecken; das Wahre kann nur ſein, daß zu einer Blüthe der<lb/> Kunſt, wenigſtens derjenigen, welche Stoffe von politiſchem Gehalte verar-<lb/> beitet, ausgenommen gewiſſe blos anhängende Formen (Satyre u. ſ. w.),<lb/> eine ſolche Zeit gar nicht gemacht iſt. Vergl. hierüber den Aufſatz des<lb/> Verf. über Shakespeare im literarhiſtor. Taſchenb. von Prutz 1844, S. 94<lb/> ff. und die krit. Gänge Thl. 2, S. 283 ff. Allerdings kann man nun<lb/> ſagen, es könne vergangene Stoffe geben, deren Gehalt der modernen politi-<lb/> ſchen Idee ſo verwandt ſei, daß dieſe ungeſucht in ſie gelegt werden<lb/> könne; da tritt aber noch ein ſubjectives Hinderniß ein, von dem am Schluß<lb/> der Geſchichte der Phantaſie zu reden iſt. Eine ergänzende Beſtimmung<lb/> aber tritt zu den obigen Sätzen allerdings dadurch, daß ja, wie ſchon zu<lb/> §. 378 berührt iſt, auch das vom Unwillen über die Gegenwart und der<lb/> Idee als noch unverwirklichtem Gedanken lebhaft erregte Subject ſelbſt<lb/> Geſtalt genug für die Kunſt ſein kann: für gewiſſe Arten derſelben näm-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [337/0051]
lichkeit an das perſönliche Leben des Phantaſiebegabten zu ſpannen ſei.
Hier iſt nun einfach zu ſagen, daß die weſentliche Sittlichkeit eines jeden
Menſchen darauf geſtellt ſei, daß er ſeinem ſpeziellen Beruf lebe, daß alſo
der Phantaſiebegabte um ſo ſittlicher ſei, je mehr Schönes und je Schöneres
er hervorbringe. Vergeudet er ſeinen Geiſt in Genuß und unordentlichem
Leben, ſo ſchafft er wenig und Mangelhaftes, und da iſt in der äſthetiſchen
Beurtheilung die ſittliche von ſelbſt miteingeſchloſſen. Große Gaben, die
würdig geweſen wären, in den Himmel des Schönen gerettet und geſam-
melt zu werden, können in einem eiteln Leben hinter dem Weinglas, im
Salon und in liederlicher oder blaſirter Geſellſchaft verpufft werden; dieß
iſt bei ſpezifiſchem Berufe viel ſtrenger zu beurtheilen, als die Leidenſchaften
des Privatlebens, von denen §. 389, Anm. 2 die Rede war. Was aber
insbeſondere das Politiſche betrifft, ſo liegt in jetziger Zeit eine große
Schwierigkeit vor. Der Genius geht, wie im folgenden §. wieder auf-
zufaſſen iſt, von der Naturſchönheit aus. Eine in der Wirklichkeit ſchon
abgeſchloſſene Geſtalt ſoll ihm Stoff ſein, der naturſchöne Stoff muß der
Phantaſie eine gewiſſe Reife ſchon entgegenbringen. Der ſittliche Reichthum,
den wir von ihm fordern, ſoll ihm freilich die rechten, die großen geſchichtlichen
Stoffe weiſen, aber ſie müſſen auch Formfülle haben. Ihn zieht billig
der Glanz an. Iſt nun der Glanz da, wo die politiſche Berechtigung
und im Zeitbedürfniß gegründete Größe iſt, wie in den alten Republiken
und in der jungen Monarchie zu Schakespeares Zeit, ſo iſt es gut; iſt
aber das innere Leben nicht mehr da, wo der Glanz iſt, ſucht die politiſche
Idee eine neue Form und hat ſie noch nicht gefunden, ſo iſt der Dichter
übel daran: das Formbedürfniß zieht ihn zum ausgelebten Glanze und
das Gehaltsbedürfniß findet keine Form. Da fordert nun unſere Zeit
politiſche Kunſt im Sinne eines Mittels, Begeiſterung für das Ideal der
Zukunft zu wecken; das Wahre kann nur ſein, daß zu einer Blüthe der
Kunſt, wenigſtens derjenigen, welche Stoffe von politiſchem Gehalte verar-
beitet, ausgenommen gewiſſe blos anhängende Formen (Satyre u. ſ. w.),
eine ſolche Zeit gar nicht gemacht iſt. Vergl. hierüber den Aufſatz des
Verf. über Shakespeare im literarhiſtor. Taſchenb. von Prutz 1844, S. 94
ff. und die krit. Gänge Thl. 2, S. 283 ff. Allerdings kann man nun
ſagen, es könne vergangene Stoffe geben, deren Gehalt der modernen politi-
ſchen Idee ſo verwandt ſei, daß dieſe ungeſucht in ſie gelegt werden
könne; da tritt aber noch ein ſubjectives Hinderniß ein, von dem am Schluß
der Geſchichte der Phantaſie zu reden iſt. Eine ergänzende Beſtimmung
aber tritt zu den obigen Sätzen allerdings dadurch, daß ja, wie ſchon zu
§. 378 berührt iſt, auch das vom Unwillen über die Gegenwart und der
Idee als noch unverwirklichtem Gedanken lebhaft erregte Subject ſelbſt
Geſtalt genug für die Kunſt ſein kann: für gewiſſe Arten derſelben näm-
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