noch nicht. Sie erfaßt die Oberfläche als reinen Schein, sofern sie vom Durchmesser absieht: aber diese Oberfläche selbst ist getrübt; das empirische Blut dieses einzelnen Körpers, das nie ganz gesund ist, setzt Unreinheiten auf der Haut ab, die Seele drückt ihre Stimmungen, der Wille seine Be- wegungen in seinem Organe nicht rein aus, denn nicht nur setzt ihm dieses im Drange der äußern Reibung Hindernisse entgegen, sondern jene Stimmungen, Willensacte selbst trüben sich im Dienste des Augenblicks. Dieses Individuum erscheint also getrübt und ebenso alle andern, die mir vorkommen können, also die Gattung. Schelling sagt (in der Rede über die Verh. d. bild. Künste z. Natur): die Kunst stelle, indem sie wirkliches Athmen, Blut, Wärme (gesetzt, sie könnte es auch wiedergeben) von ihrer Darstellung ausscheide, nur das Nichtseiende, worin der Keim des Alterns und Vergessens liege, als nichtseiend dar und hebe so das Unwesentliche, die Zeit auf, sie erfasse den lebendigen Gegenstand in dem Augenblick seiner höchsten Blüthe, außer welchem ihm nur ein Werden und Vergehen zukomme, hebe ihn so aus der Zeit heraus und lasse ihn in seinem reinen Sein, in der Ewigkeit seines Lebens erscheinen. Dieß bedarf erst der Berichtigung, daß die Kunst ganz wohl auch das Werden und Vergehen, das Kranksein, Altern Sterben, jede Art des Leidens darstellen kann und soll, und die Möglich- keit dieser wechselnden Zustände liegt ja eben in der unmittelbar einzelnen daseienden Lebendigkeit. Die Kunst verhehlt nicht, daß der menschliche Körper Blut u. s. w. hat, und die Anschauung, von der sie ausgeht, ist nicht deßwegen noch fern vom Schönen, weil sie der Gestalt den empirisch einzelnen Lebensprozeß ansieht: aber dieser Prozeß selbst ist durch das Ge- dränge des Zusammenseins dieses einzelnen Lebendigen getrübt, und dieß zeigt auch die Oberfläche, durch deren Ablösung vom innern Bau also keineswegs, wie Schelling im Zusammenhang derselben Stelle sagt, die Idealität schon gewonnen ist. Leiden, Untergehen erscheint durch die unzeitigen Reibungen jenes Gedränges selbst nicht rein in seinem Ausdruck (vergl. §. 40 Anm.). Nicht deßwegen, weil es Quelle des Werdens und Vergehens ist, hat die Anschauung am unmittelbar Lebendigen in der Gestalt ein Getrübtes vor sich, sondern weil alle Lebenserscheinungen in der unendlichen Ausdehnung des Seins an Hemmungen leiden, wodurch ihr Wesen, wäre es auch an sich eine Hemmung und diese Hemmung jewei- liger Stoff des Schönen, unrein zum Ausdruck kommt. Darum setzt das Schöne einen Tod der leibhaftig gegenwärtigen Lebendigkeit voraus, in welchem aber nicht der Schein seines Werdens und Vergehens untergeht, aus welchem es vielmehr sammt dem Scheine seines unmittelbaren Lebens- prozesses wieder hervortaucht, doch so, daß dieser Prozeß sich in Reinheit darstellt. Die Anschauung nun beginnt diese Tödtung durch das trennende Herausgreifen (§. 385); aber dieß genügt nicht, denn das Herausgegriffene
noch nicht. Sie erfaßt die Oberfläche als reinen Schein, ſofern ſie vom Durchmeſſer abſieht: aber dieſe Oberfläche ſelbſt iſt getrübt; das empiriſche Blut dieſes einzelnen Körpers, das nie ganz geſund iſt, ſetzt Unreinheiten auf der Haut ab, die Seele drückt ihre Stimmungen, der Wille ſeine Be- wegungen in ſeinem Organe nicht rein aus, denn nicht nur ſetzt ihm dieſes im Drange der äußern Reibung Hinderniſſe entgegen, ſondern jene Stimmungen, Willensacte ſelbſt trüben ſich im Dienſte des Augenblicks. Dieſes Individuum erſcheint alſo getrübt und ebenſo alle andern, die mir vorkommen können, alſo die Gattung. Schelling ſagt (in der Rede über die Verh. d. bild. Künſte z. Natur): die Kunſt ſtelle, indem ſie wirkliches Athmen, Blut, Wärme (geſetzt, ſie könnte es auch wiedergeben) von ihrer Darſtellung ausſcheide, nur das Nichtſeiende, worin der Keim des Alterns und Vergeſſens liege, als nichtſeiend dar und hebe ſo das Unweſentliche, die Zeit auf, ſie erfaſſe den lebendigen Gegenſtand in dem Augenblick ſeiner höchſten Blüthe, außer welchem ihm nur ein Werden und Vergehen zukomme, hebe ihn ſo aus der Zeit heraus und laſſe ihn in ſeinem reinen Sein, in der Ewigkeit ſeines Lebens erſcheinen. Dieß bedarf erſt der Berichtigung, daß die Kunſt ganz wohl auch das Werden und Vergehen, das Krankſein, Altern Sterben, jede Art des Leidens darſtellen kann und ſoll, und die Möglich- keit dieſer wechſelnden Zuſtände liegt ja eben in der unmittelbar einzelnen daſeienden Lebendigkeit. Die Kunſt verhehlt nicht, daß der menſchliche Körper Blut u. ſ. w. hat, und die Anſchauung, von der ſie ausgeht, iſt nicht deßwegen noch fern vom Schönen, weil ſie der Geſtalt den empiriſch einzelnen Lebensprozeß anſieht: aber dieſer Prozeß ſelbſt iſt durch das Ge- dränge des Zuſammenſeins dieſes einzelnen Lebendigen getrübt, und dieß zeigt auch die Oberfläche, durch deren Ablöſung vom innern Bau alſo keineswegs, wie Schelling im Zuſammenhang derſelben Stelle ſagt, die Idealität ſchon gewonnen iſt. Leiden, Untergehen erſcheint durch die unzeitigen Reibungen jenes Gedränges ſelbſt nicht rein in ſeinem Ausdruck (vergl. §. 40 Anm.). Nicht deßwegen, weil es Quelle des Werdens und Vergehens iſt, hat die Anſchauung am unmittelbar Lebendigen in der Geſtalt ein Getrübtes vor ſich, ſondern weil alle Lebenserſcheinungen in der unendlichen Ausdehnung des Seins an Hemmungen leiden, wodurch ihr Weſen, wäre es auch an ſich eine Hemmung und dieſe Hemmung jewei- liger Stoff des Schönen, unrein zum Ausdruck kommt. Darum ſetzt das Schöne einen Tod der leibhaftig gegenwärtigen Lebendigkeit voraus, in welchem aber nicht der Schein ſeines Werdens und Vergehens untergeht, aus welchem es vielmehr ſammt dem Scheine ſeines unmittelbaren Lebens- prozeſſes wieder hervortaucht, doch ſo, daß dieſer Prozeß ſich in Reinheit darſtellt. Die Anſchauung nun beginnt dieſe Tödtung durch das trennende Herausgreifen (§. 385); aber dieß genügt nicht, denn das Herausgegriffene
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noch nicht. Sie erfaßt die Oberfläche als reinen Schein, ſofern ſie vom
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Blut dieſes einzelnen Körpers, das nie ganz geſund iſt, ſetzt Unreinheiten
auf der Haut ab, die Seele drückt ihre Stimmungen, der Wille ſeine Be-
wegungen in ſeinem Organe nicht rein aus, denn nicht nur ſetzt ihm
dieſes im Drange der äußern Reibung Hinderniſſe entgegen, ſondern jene
Stimmungen, Willensacte ſelbſt trüben ſich im Dienſte des Augenblicks.
Dieſes Individuum erſcheint alſo getrübt und ebenſo alle andern, die mir
vorkommen können, alſo die Gattung. Schelling ſagt (in der Rede über
die Verh. d. bild. Künſte z. Natur): die Kunſt ſtelle, indem ſie wirkliches
Athmen, Blut, Wärme (geſetzt, ſie könnte es auch wiedergeben) von ihrer
Darſtellung ausſcheide, nur das Nichtſeiende, worin der Keim des Alterns
und Vergeſſens liege, als nichtſeiend dar und hebe ſo das Unweſentliche, die
Zeit auf, ſie erfaſſe den lebendigen Gegenſtand in dem Augenblick ſeiner
höchſten Blüthe, außer welchem ihm nur ein Werden und Vergehen zukomme,
hebe ihn ſo aus der Zeit heraus und laſſe ihn in ſeinem reinen Sein, in der
Ewigkeit ſeines Lebens erſcheinen. Dieß bedarf erſt der Berichtigung, daß
die Kunſt ganz wohl auch das Werden und Vergehen, das Krankſein, Altern
Sterben, jede Art des Leidens darſtellen kann und ſoll, und die Möglich-
keit dieſer wechſelnden Zuſtände liegt ja eben in der unmittelbar einzelnen
daſeienden Lebendigkeit. Die Kunſt verhehlt nicht, daß der menſchliche
Körper Blut u. ſ. w. hat, und die Anſchauung, von der ſie ausgeht, iſt
nicht deßwegen noch fern vom Schönen, weil ſie der Geſtalt den empiriſch
einzelnen Lebensprozeß anſieht: aber dieſer Prozeß ſelbſt iſt durch das Ge-
dränge des Zuſammenſeins dieſes einzelnen Lebendigen getrübt, und dieß
zeigt auch die Oberfläche, durch deren Ablöſung vom innern Bau alſo
keineswegs, wie Schelling im Zuſammenhang derſelben Stelle ſagt, die
Idealität ſchon gewonnen iſt. Leiden, Untergehen erſcheint durch die
unzeitigen Reibungen jenes Gedränges ſelbſt nicht rein in ſeinem Ausdruck
(vergl. §. 40 Anm.). Nicht deßwegen, weil es Quelle des Werdens und
Vergehens iſt, hat die Anſchauung am unmittelbar Lebendigen in der
Geſtalt ein Getrübtes vor ſich, ſondern weil alle Lebenserſcheinungen in der
unendlichen Ausdehnung des Seins an Hemmungen leiden, wodurch ihr
Weſen, wäre es auch an ſich eine Hemmung und dieſe Hemmung jewei-
liger Stoff des Schönen, unrein zum Ausdruck kommt. Darum ſetzt das
Schöne einen Tod der leibhaftig gegenwärtigen Lebendigkeit voraus, in
welchem aber nicht der Schein ſeines Werdens und Vergehens untergeht,
aus welchem es vielmehr ſammt dem Scheine ſeines unmittelbaren Lebens-
prozeſſes wieder hervortaucht, doch ſo, daß dieſer Prozeß ſich in Reinheit
darſtellt. Die Anſchauung nun beginnt dieſe Tödtung durch das trennende
Herausgreifen (§. 385); aber dieß genügt nicht, denn das Herausgegriffene
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/37>, abgerufen am 08.07.2024.
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