verkläre ich durch meine Stimmung zur vollen Schönheit. Ist dieß ge- schehen, so ist diese Form der Stimmung zu Ende, die Erregbarkeit dauert aber fort. Dieß kommt einem neuen Gegenstande, der mir begegnet, zu gute, aber auch dieser muß mir ein (relatives) Maaß des Schönen entgegenbringen, die Stimmung ergreift auch ihn, verklärt ihn, aber wieder nur in seiner Weise, seiner Natur gemäß, und so befinden sich freilich oft Dichter und Künstler in einer Periode besonders glücklicher Stimmung, die in sprudelnder Ergiebigkeit eine Reihe von Gegenständen erfaßt und zur Schönheit bildet. Also ein Naturschönes ergreift das Subject, weckt die Stimmung in ihm und diese Stimmung macht freilich mehr aus dem Gegenstande, als er an sich ist; der Anfang ist objectiv, der Fortgang subjectiv; das Naturschöne ist nicht wahrhaft schön, aber es muß da sein, um im Subjecte das zu wecken, was wahre Schönheit schafft; so erhält es sich schlechtweg in seiner Auflösung und es wird bereits klar, warum wir den Schein, als gebe es in der Natur wahrhaft Schönes, so lange bestehen ließen. Das Subject ist ein Spiegel, der schaffend den Gegenstand in neuer Schönheit zurückgiebt, aber es muß einen Ge- genstand haben, es vollzieht diese Spieglung nur, wenn es von der Täuschung anfängt, der Gegenstand selbst sei so schön, wie das Spiegel- bild, und diese Täuschung muß -- hier stehen wir zunächst noch -- soweit im Object Grund haben, als dieses wirklich ungleich reiner ist vom trübenden Zufall, als der übrige Umkreis der Anschauung.
§. 381.
So lange jedoch die subjective Stimmung nur erste Wirkung des objecti-1 ven Zufalls ist, wird sie ebensowenig rein sein, als der Gegenstand wirklich vollkommen ist, vielmehr (insbesondere im Komischen) mit Stoffartigem sich vermischen. Soll sie wirklich rein und frei den Gegenstand ergreifen und ver-2 klären, so muß vielmehr dieser bereits etwas im Subjecte geweckt haben, was über jedes einzelne Object als ein freier, obwohl durch dieses in Thätigkeit gesetzter Act unendlich hinausgeht, und dieser Act muß ein inneres Bild des Gegenstandes schaffen, welches wirklich reine Form ist, in den Gegenstand hin- eingelegt wird, mit ihm verschmilzt.
1. Der Gegenstand ist also in Wahrheit nicht frei von den trübenden Einwirkungen des Zusammenseins seiner Gattung mit allen andern Gat- tungen in Einem Raum und Einer Zeit. So lange nun die Stimmung des Anschauenden sein einfacher Reflex ist, kann sie ebensowenig rein und frei sein; denn das Subject steht ebenso wie der Gegenstand im Ge- dränge des Einzelnen und bringt in dieser Abhängigkeit jeden Gegenstand
verkläre ich durch meine Stimmung zur vollen Schönheit. Iſt dieß ge- ſchehen, ſo iſt dieſe Form der Stimmung zu Ende, die Erregbarkeit dauert aber fort. Dieß kommt einem neuen Gegenſtande, der mir begegnet, zu gute, aber auch dieſer muß mir ein (relatives) Maaß des Schönen entgegenbringen, die Stimmung ergreift auch ihn, verklärt ihn, aber wieder nur in ſeiner Weiſe, ſeiner Natur gemäß, und ſo befinden ſich freilich oft Dichter und Künſtler in einer Periode beſonders glücklicher Stimmung, die in ſprudelnder Ergiebigkeit eine Reihe von Gegenſtänden erfaßt und zur Schönheit bildet. Alſo ein Naturſchönes ergreift das Subject, weckt die Stimmung in ihm und dieſe Stimmung macht freilich mehr aus dem Gegenſtande, als er an ſich iſt; der Anfang iſt objectiv, der Fortgang ſubjectiv; das Naturſchöne iſt nicht wahrhaft ſchön, aber es muß da ſein, um im Subjecte das zu wecken, was wahre Schönheit ſchafft; ſo erhält es ſich ſchlechtweg in ſeiner Auflöſung und es wird bereits klar, warum wir den Schein, als gebe es in der Natur wahrhaft Schönes, ſo lange beſtehen ließen. Das Subject iſt ein Spiegel, der ſchaffend den Gegenſtand in neuer Schönheit zurückgiebt, aber es muß einen Ge- genſtand haben, es vollzieht dieſe Spieglung nur, wenn es von der Täuſchung anfängt, der Gegenſtand ſelbſt ſei ſo ſchön, wie das Spiegel- bild, und dieſe Täuſchung muß — hier ſtehen wir zunächſt noch — ſoweit im Object Grund haben, als dieſes wirklich ungleich reiner iſt vom trübenden Zufall, als der übrige Umkreis der Anſchauung.
§. 381.
So lange jedoch die ſubjective Stimmung nur erſte Wirkung des objecti-1 ven Zufalls iſt, wird ſie ebenſowenig rein ſein, als der Gegenſtand wirklich vollkommen iſt, vielmehr (insbeſondere im Komiſchen) mit Stoffartigem ſich vermiſchen. Soll ſie wirklich rein und frei den Gegenſtand ergreifen und ver-2 klären, ſo muß vielmehr dieſer bereits etwas im Subjecte geweckt haben, was über jedes einzelne Object als ein freier, obwohl durch dieſes in Thätigkeit geſetzter Act unendlich hinausgeht, und dieſer Act muß ein inneres Bild des Gegenſtandes ſchaffen, welches wirklich reine Form iſt, in den Gegenſtand hin- eingelegt wird, mit ihm verſchmilzt.
1. Der Gegenſtand iſt alſo in Wahrheit nicht frei von den trübenden Einwirkungen des Zuſammenſeins ſeiner Gattung mit allen andern Gat- tungen in Einem Raum und Einer Zeit. So lange nun die Stimmung des Anſchauenden ſein einfacher Reflex iſt, kann ſie ebenſowenig rein und frei ſein; denn das Subject ſteht ebenſo wie der Gegenſtand im Ge- dränge des Einzelnen und bringt in dieſer Abhängigkeit jeden Gegenſtand
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[309/0023]
verkläre ich durch meine Stimmung zur vollen Schönheit. Iſt dieß ge-
ſchehen, ſo iſt dieſe Form der Stimmung zu Ende, die Erregbarkeit dauert
aber fort. Dieß kommt einem neuen Gegenſtande, der mir begegnet,
zu gute, aber auch dieſer muß mir ein (relatives) Maaß des Schönen
entgegenbringen, die Stimmung ergreift auch ihn, verklärt ihn, aber wieder
nur in ſeiner Weiſe, ſeiner Natur gemäß, und ſo befinden ſich freilich
oft Dichter und Künſtler in einer Periode beſonders glücklicher Stimmung,
die in ſprudelnder Ergiebigkeit eine Reihe von Gegenſtänden erfaßt und
zur Schönheit bildet. Alſo ein Naturſchönes ergreift das Subject, weckt
die Stimmung in ihm und dieſe Stimmung macht freilich mehr aus dem
Gegenſtande, als er an ſich iſt; der Anfang iſt objectiv, der Fortgang
ſubjectiv; das Naturſchöne iſt nicht wahrhaft ſchön, aber es muß da
ſein, um im Subjecte das zu wecken, was wahre Schönheit ſchafft;
ſo erhält es ſich ſchlechtweg in ſeiner Auflöſung und es wird bereits klar,
warum wir den Schein, als gebe es in der Natur wahrhaft Schönes,
ſo lange beſtehen ließen. Das Subject iſt ein Spiegel, der ſchaffend den
Gegenſtand in neuer Schönheit zurückgiebt, aber es muß einen Ge-
genſtand haben, es vollzieht dieſe Spieglung nur, wenn es von der
Täuſchung anfängt, der Gegenſtand ſelbſt ſei ſo ſchön, wie das Spiegel-
bild, und dieſe Täuſchung muß — hier ſtehen wir zunächſt noch —
ſoweit im Object Grund haben, als dieſes wirklich ungleich reiner iſt vom
trübenden Zufall, als der übrige Umkreis der Anſchauung.
§. 381.
So lange jedoch die ſubjective Stimmung nur erſte Wirkung des objecti-
ven Zufalls iſt, wird ſie ebenſowenig rein ſein, als der Gegenſtand wirklich
vollkommen iſt, vielmehr (insbeſondere im Komiſchen) mit Stoffartigem ſich
vermiſchen. Soll ſie wirklich rein und frei den Gegenſtand ergreifen und ver-
klären, ſo muß vielmehr dieſer bereits etwas im Subjecte geweckt haben, was
über jedes einzelne Object als ein freier, obwohl durch dieſes in Thätigkeit
geſetzter Act unendlich hinausgeht, und dieſer Act muß ein inneres Bild des
Gegenſtandes ſchaffen, welches wirklich reine Form iſt, in den Gegenſtand hin-
eingelegt wird, mit ihm verſchmilzt.
1. Der Gegenſtand iſt alſo in Wahrheit nicht frei von den trübenden
Einwirkungen des Zuſammenſeins ſeiner Gattung mit allen andern Gat-
tungen in Einem Raum und Einer Zeit. So lange nun die Stimmung
des Anſchauenden ſein einfacher Reflex iſt, kann ſie ebenſowenig rein
und frei ſein; denn das Subject ſteht ebenſo wie der Gegenſtand im Ge-
dränge des Einzelnen und bringt in dieſer Abhängigkeit jeden Gegenſtand
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/23>, abgerufen am 22.02.2025.
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