Zeit der Sagenbildung verfährt im Gebiete der dichtenden bildend (episch). Zu den bezeichneten Sagenkreisen kommen nun noch Reste des antiken. Die Sage der Franken knüpft schon frühe den Ursprung dieses Stammes an die trojanische, welche sich dann in entstelltem Bilde verbreitet, um im Geiste der ritterlichen Empfindung gegen den Schluß dieser Vorstufe be- handelt zu werden. Auch einige Götter, Venus, Amor wandern aus dem Alterthum herüber. Wie nun aber die eigentlich bildende Phantasie von der Erbschaft antiker Formen ausgeht, dafür genüge ein Fingerzeig auf die Basiliken, altchristlichen Gemälde, plastischen Darstellungen an Sar- kophagen. Erst weit später entwickeln sich die eckig gebrochenen, aber in- dividuellen germanischen Formen. So bilden sich zunächst Typen, die, an sich schon todt, weil aus fremdem Geiste entstanden, allmählich zu Mumien erstarren und so byzantisch genannt werden. Gegen Ende dieser Vorstufe taucht allmählich der innigere Seelenblick des neuen Ideals in ihnen auf.
2. Man kann zweifeln, ob jene ältesten christlichen Darstellungen (Pfau, Ente, Hirsch, Lamm u. s. w.) Symbole, auch etwa symbolische Halbmythen (Orpheus, Theseus kommen bekanntlich vor), oder Alle- gorien gewesen seien, d. h. ob das Bild glaubig mit der Bedeutung ver- wechselt oder diese nur conventionell in jenes gelegt wurde. Es ist ge- heimnißvolle Mitte; selbst Dante's Allegorien haben einen mythischen, geisterhaften Hauch, der sie zum Theil der Poesie rettet. Eben indem die Allegorie, ursprünglich Merkmal des Verfalls, als Nothhilfe in ein werdendes Ideal übergeht, nimmt sie hier wieder etwas vom Symbole, nämlich das Unwillkührliche, Unbewußte, das Confundiren von Bild und Idee an. Nimmermehr aber kann man das reife Ideal des Mittel- alters mit Solger und den Kritikern der neueren romantischen Schule allegorisch nennen. Unter Symbol versteht Solger (Vorles. über Aesth. S. 129 ff.) das volle und runde Aufgehen der Idee im Stoff, im sinn- lichen Object, also das, was vielmehr Vollendung des Mythischen ist, das griechische Ideal; unter Allegorie "das Schöne als Stoff noch in der Thätigkeit begriffen, als ein Moment der Thätigkeit, welches sich noch nach zwei Seiten hin bezieht." Das Leben Christi habe die Doppelbe- ziehung, empirisch einzelne Thatsache zu sein und zugleich die absolute Idee zu bedeuten, aber dieß Sein und Bedeuten sei wieder Eines, das Leben Christi sei wirklich das, was es bedeute. Wir haben aber hinrei- chend gezeigt, daß der Ueberschuß geistiger Tiefe in der romantischen Phantasie nichts weniger als allegorisch ist, und was dieses Sein und Bedeuten zugleich betrifft, so verhielt es sich mit den antiken Mythen und Sagen ebenso: es waren Ideen, die für Geschichte genommen wurden.
Zeit der Sagenbildung verfährt im Gebiete der dichtenden bildend (epiſch). Zu den bezeichneten Sagenkreiſen kommen nun noch Reſte des antiken. Die Sage der Franken knüpft ſchon frühe den Urſprung dieſes Stammes an die trojaniſche, welche ſich dann in entſtelltem Bilde verbreitet, um im Geiſte der ritterlichen Empfindung gegen den Schluß dieſer Vorſtufe be- handelt zu werden. Auch einige Götter, Venus, Amor wandern aus dem Alterthum herüber. Wie nun aber die eigentlich bildende Phantaſie von der Erbſchaft antiker Formen ausgeht, dafür genüge ein Fingerzeig auf die Baſiliken, altchriſtlichen Gemälde, plaſtiſchen Darſtellungen an Sar- kophagen. Erſt weit ſpäter entwickeln ſich die eckig gebrochenen, aber in- dividuellen germaniſchen Formen. So bilden ſich zunächſt Typen, die, an ſich ſchon todt, weil aus fremdem Geiſte entſtanden, allmählich zu Mumien erſtarren und ſo byzantiſch genannt werden. Gegen Ende dieſer Vorſtufe taucht allmählich der innigere Seelenblick des neuen Ideals in ihnen auf.
2. Man kann zweifeln, ob jene älteſten chriſtlichen Darſtellungen (Pfau, Ente, Hirſch, Lamm u. ſ. w.) Symbole, auch etwa ſymboliſche Halbmythen (Orpheus, Theſeus kommen bekanntlich vor), oder Alle- gorien geweſen ſeien, d. h. ob das Bild glaubig mit der Bedeutung ver- wechſelt oder dieſe nur conventionell in jenes gelegt wurde. Es iſt ge- heimnißvolle Mitte; ſelbſt Dante’s Allegorien haben einen mythiſchen, geiſterhaften Hauch, der ſie zum Theil der Poeſie rettet. Eben indem die Allegorie, urſprünglich Merkmal des Verfalls, als Nothhilfe in ein werdendes Ideal übergeht, nimmt ſie hier wieder etwas vom Symbole, nämlich das Unwillkührliche, Unbewußte, das Confundiren von Bild und Idee an. Nimmermehr aber kann man das reife Ideal des Mittel- alters mit Solger und den Kritikern der neueren romantiſchen Schule allegoriſch nennen. Unter Symbol verſteht Solger (Vorleſ. über Aeſth. S. 129 ff.) das volle und runde Aufgehen der Idee im Stoff, im ſinn- lichen Object, alſo das, was vielmehr Vollendung des Mythiſchen iſt, das griechiſche Ideal; unter Allegorie „das Schöne als Stoff noch in der Thätigkeit begriffen, als ein Moment der Thätigkeit, welches ſich noch nach zwei Seiten hin bezieht.“ Das Leben Chriſti habe die Doppelbe- ziehung, empiriſch einzelne Thatſache zu ſein und zugleich die abſolute Idee zu bedeuten, aber dieß Sein und Bedeuten ſei wieder Eines, das Leben Chriſti ſei wirklich das, was es bedeute. Wir haben aber hinrei- chend gezeigt, daß der Ueberſchuß geiſtiger Tiefe in der romantiſchen Phantaſie nichts weniger als allegoriſch iſt, und was dieſes Sein und Bedeuten zugleich betrifft, ſo verhielt es ſich mit den antiken Mythen und Sagen ebenſo: es waren Ideen, die für Geſchichte genommen wurden.
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Zeit der Sagenbildung verfährt im Gebiete der dichtenden bildend (epiſch).
Zu den bezeichneten Sagenkreiſen kommen nun noch Reſte des antiken. Die
Sage der Franken knüpft ſchon frühe den Urſprung dieſes Stammes an
die trojaniſche, welche ſich dann in entſtelltem Bilde verbreitet, um im
Geiſte der ritterlichen Empfindung gegen den Schluß dieſer Vorſtufe be-
handelt zu werden. Auch einige Götter, Venus, Amor wandern aus
dem Alterthum herüber. Wie nun aber die eigentlich bildende Phantaſie
von der Erbſchaft antiker Formen ausgeht, dafür genüge ein Fingerzeig
auf die Baſiliken, altchriſtlichen Gemälde, plaſtiſchen Darſtellungen an Sar-
kophagen. Erſt weit ſpäter entwickeln ſich die eckig gebrochenen, aber in-
dividuellen germaniſchen Formen. So bilden ſich zunächſt Typen, die,
an ſich ſchon todt, weil aus fremdem Geiſte entſtanden, allmählich zu
Mumien erſtarren und ſo byzantiſch genannt werden. Gegen Ende dieſer
Vorſtufe taucht allmählich der innigere Seelenblick des neuen Ideals in
ihnen auf.
2. Man kann zweifeln, ob jene älteſten chriſtlichen Darſtellungen
(Pfau, Ente, Hirſch, Lamm u. ſ. w.) Symbole, auch etwa ſymboliſche
Halbmythen (Orpheus, Theſeus kommen bekanntlich vor), oder Alle-
gorien geweſen ſeien, d. h. ob das Bild glaubig mit der Bedeutung ver-
wechſelt oder dieſe nur conventionell in jenes gelegt wurde. Es iſt ge-
heimnißvolle Mitte; ſelbſt Dante’s Allegorien haben einen mythiſchen,
geiſterhaften Hauch, der ſie zum Theil der Poeſie rettet. Eben indem
die Allegorie, urſprünglich Merkmal des Verfalls, als Nothhilfe in ein
werdendes Ideal übergeht, nimmt ſie hier wieder etwas vom Symbole,
nämlich das Unwillkührliche, Unbewußte, das Confundiren von Bild und
Idee an. Nimmermehr aber kann man das reife Ideal des Mittel-
alters mit Solger und den Kritikern der neueren romantiſchen Schule
allegoriſch nennen. Unter Symbol verſteht Solger (Vorleſ. über Aeſth.
S. 129 ff.) das volle und runde Aufgehen der Idee im Stoff, im ſinn-
lichen Object, alſo das, was vielmehr Vollendung des Mythiſchen iſt,
das griechiſche Ideal; unter Allegorie „das Schöne als Stoff noch in der
Thätigkeit begriffen, als ein Moment der Thätigkeit, welches ſich noch
nach zwei Seiten hin bezieht.“ Das Leben Chriſti habe die Doppelbe-
ziehung, empiriſch einzelne Thatſache zu ſein und zugleich die abſolute
Idee zu bedeuten, aber dieß Sein und Bedeuten ſei wieder Eines, das
Leben Chriſti ſei wirklich das, was es bedeute. Wir haben aber hinrei-
chend gezeigt, daß der Ueberſchuß geiſtiger Tiefe in der romantiſchen
Phantaſie nichts weniger als allegoriſch iſt, und was dieſes Sein und
Bedeuten zugleich betrifft, ſo verhielt es ſich mit den antiken Mythen und
Sagen ebenſo: es waren Ideen, die für Geſchichte genommen wurden.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/206>, abgerufen am 08.07.2024.
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