die in der Metaphysik des Schönen noch gar nicht in Rechnung kom- men, allen metaphysischen Grundformen des Schönen eine neue Tiefe gibt, so zu sagen eine vertiefte Resonanz, ein in weiterere Ferne hallendes Echo. Alle Grundtöne des Schönen hat dieses Ideal mit den andern gemein, aber bei jedem klingt in ihm ein vollerer Accord mit, verschwe- ben die Töne länger, nachhallender. Für das einfach Schöne hat es einen unerschöpflichen Stoff in der heil. Familie und in dem neuen Geiste, der von ihr auch auf die weltliche Liebe ausfließt. Kindlich, "frauenhaft" (wie Gervinus sagt), ist ja dieses ganze Ideal in der Unschuld seiner Erfahrungslosigkeit. Die Seelenschönheit dieses sanften und süßen Kreises kennt zwar auch ihre Kämpfe. Das Ideal der Maria hat seine ver- schiedenen Stationen, sie ist nicht nur die schaamhaft glückliche, sondern auch die schmerzensreiche Mutter, aber doch bleibt der innerste Seelenfriede ungetrübt und dieses Gebiet des Sagen-Mythus geht um der reinen Holdseligkeit seines Innern willen auch noch nicht zu den harten und eckigen Körperformen fort, das Innere und Aeußere ist congruenter, Glieder, Neigung und Beugung anmuthig. Im Gottessohn aber vorge- bildet im Sinne der Stellvertretung, ernstlich und als innerste Erfahrung im wirklichen Menschen beginnt das Reich des Erhabenen als furchtbarer Kampf der innersten Seele, ein Abgrund, ein Meer von Qualen wühlt sich auf. Wo Alles unendlich wird, muß es auch der Schmerz sein und vor Allem der Schmerz der Schmerzen, der über die Entzweiung der Seele mit ihrem Urquell. Je tiefer aber die Pein, desto tiefer auch die Versöhnung und wie Maria in goldenen Höhen mit ausgespannten Armen aufschwebt, so schwingt sich das entzückte Gemüth in das Meer der Selig- keit. -- Wir haben es bis hieher verschoben, die neue Tiefe des Bösen, die sich nun ebenfalls aufthut, zu erwähnen, und seither geredet, als habe dieß Ideal nur gute Menschen aufzuweisen, die durch Reue und Schmerz zur Versöhnung fortschreiten. Schon in der Stofflehre wurde aber gezeigt, wie nun die Bedingungen zur eigentlichen Empörung des Bösen in der Individualität gegeben sind, die sich als Ich erfaßt hat. Die Empörung ist erst da eine volle, wo sie sich als bewußter Widerspruch gegen die Be- stimmung zur geistigen Unendlichkeit ausbildet, wo diese Unendlichkeit selbst sich als Eigenwille fixirt und das Ich all' den neuen und tiefen Reich- thum, der in ihm aufgegangen, gegen dessen eigenen Zweck umdreht, den es nun als Verdammniß seiner selbst in sich trägt. Der Teufel ist äußerlich vorgestellt, die Schauer seiner Finsterniß kehren aber zurück auf das Ge- müth, das ihn geschaffen, das Weltgericht ist eine künftige Begebenheit und doch gegenwärtig im Busen des Verworfenen. Je geistiger die Furcht- barkeit dieser Erscheinung, desto weiter darf die Gestalt in der Häßlichkeit gehen. Um jenes Widerspruchs willen liegt im Bösen selbst eine Komik
die in der Metaphyſik des Schönen noch gar nicht in Rechnung kom- men, allen metaphyſiſchen Grundformen des Schönen eine neue Tiefe gibt, ſo zu ſagen eine vertiefte Reſonanz, ein in weiterere Ferne hallendes Echo. Alle Grundtöne des Schönen hat dieſes Ideal mit den andern gemein, aber bei jedem klingt in ihm ein vollerer Accord mit, verſchwe- ben die Töne länger, nachhallender. Für das einfach Schöne hat es einen unerſchöpflichen Stoff in der heil. Familie und in dem neuen Geiſte, der von ihr auch auf die weltliche Liebe ausfließt. Kindlich, „frauenhaft“ (wie Gervinus ſagt), iſt ja dieſes ganze Ideal in der Unſchuld ſeiner Erfahrungsloſigkeit. Die Seelenſchönheit dieſes ſanften und ſüßen Kreiſes kennt zwar auch ihre Kämpfe. Das Ideal der Maria hat ſeine ver- ſchiedenen Stationen, ſie iſt nicht nur die ſchaamhaft glückliche, ſondern auch die ſchmerzensreiche Mutter, aber doch bleibt der innerſte Seelenfriede ungetrübt und dieſes Gebiet des Sagen-Mythus geht um der reinen Holdſeligkeit ſeines Innern willen auch noch nicht zu den harten und eckigen Körperformen fort, das Innere und Aeußere iſt congruenter, Glieder, Neigung und Beugung anmuthig. Im Gottesſohn aber vorge- bildet im Sinne der Stellvertretung, ernſtlich und als innerſte Erfahrung im wirklichen Menſchen beginnt das Reich des Erhabenen als furchtbarer Kampf der innerſten Seele, ein Abgrund, ein Meer von Qualen wühlt ſich auf. Wo Alles unendlich wird, muß es auch der Schmerz ſein und vor Allem der Schmerz der Schmerzen, der über die Entzweiung der Seele mit ihrem Urquell. Je tiefer aber die Pein, deſto tiefer auch die Verſöhnung und wie Maria in goldenen Höhen mit ausgeſpannten Armen aufſchwebt, ſo ſchwingt ſich das entzückte Gemüth in das Meer der Selig- keit. — Wir haben es bis hieher verſchoben, die neue Tiefe des Böſen, die ſich nun ebenfalls aufthut, zu erwähnen, und ſeither geredet, als habe dieß Ideal nur gute Menſchen aufzuweiſen, die durch Reue und Schmerz zur Verſöhnung fortſchreiten. Schon in der Stofflehre wurde aber gezeigt, wie nun die Bedingungen zur eigentlichen Empörung des Böſen in der Individualität gegeben ſind, die ſich als Ich erfaßt hat. Die Empörung iſt erſt da eine volle, wo ſie ſich als bewußter Widerſpruch gegen die Be- ſtimmung zur geiſtigen Unendlichkeit ausbildet, wo dieſe Unendlichkeit ſelbſt ſich als Eigenwille fixirt und das Ich all’ den neuen und tiefen Reich- thum, der in ihm aufgegangen, gegen deſſen eigenen Zweck umdreht, den es nun als Verdammniß ſeiner ſelbſt in ſich trägt. Der Teufel iſt äußerlich vorgeſtellt, die Schauer ſeiner Finſterniß kehren aber zurück auf das Ge- müth, das ihn geſchaffen, das Weltgericht iſt eine künftige Begebenheit und doch gegenwärtig im Buſen des Verworfenen. Je geiſtiger die Furcht- barkeit dieſer Erſcheinung, deſto weiter darf die Geſtalt in der Häßlichkeit gehen. Um jenes Widerſpruchs willen liegt im Böſen ſelbſt eine Komik
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die in der Metaphyſik des Schönen noch gar nicht in Rechnung kom-
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gibt, ſo zu ſagen eine vertiefte Reſonanz, ein in weiterere Ferne hallendes
Echo. Alle Grundtöne des Schönen hat dieſes Ideal mit den andern
gemein, aber bei jedem klingt in ihm ein vollerer Accord mit, verſchwe-
ben die Töne länger, nachhallender. Für das einfach Schöne hat es einen
unerſchöpflichen Stoff in der heil. Familie und in dem neuen Geiſte, der
von ihr auch auf die weltliche Liebe ausfließt. Kindlich, „frauenhaft“
(wie Gervinus ſagt), iſt ja dieſes ganze Ideal in der Unſchuld ſeiner
Erfahrungsloſigkeit. Die Seelenſchönheit dieſes ſanften und ſüßen Kreiſes
kennt zwar auch ihre Kämpfe. Das Ideal der Maria hat ſeine ver-
ſchiedenen Stationen, ſie iſt nicht nur die ſchaamhaft glückliche, ſondern
auch die ſchmerzensreiche Mutter, aber doch bleibt der innerſte Seelenfriede
ungetrübt und dieſes Gebiet des Sagen-Mythus geht um der reinen
Holdſeligkeit ſeines Innern willen auch noch nicht zu den harten und
eckigen Körperformen fort, das Innere und Aeußere iſt congruenter,
Glieder, Neigung und Beugung anmuthig. Im Gottesſohn aber vorge-
bildet im Sinne der Stellvertretung, ernſtlich und als innerſte Erfahrung
im wirklichen Menſchen beginnt das Reich des Erhabenen als furchtbarer
Kampf der innerſten Seele, ein Abgrund, ein Meer von Qualen wühlt
ſich auf. Wo Alles unendlich wird, muß es auch der Schmerz ſein und
vor Allem der Schmerz der Schmerzen, der über die Entzweiung der
Seele mit ihrem Urquell. Je tiefer aber die Pein, deſto tiefer auch die
Verſöhnung und wie Maria in goldenen Höhen mit ausgeſpannten Armen
aufſchwebt, ſo ſchwingt ſich das entzückte Gemüth in das Meer der Selig-
keit. — Wir haben es bis hieher verſchoben, die neue Tiefe des Böſen,
die ſich nun ebenfalls aufthut, zu erwähnen, und ſeither geredet, als habe
dieß Ideal nur gute Menſchen aufzuweiſen, die durch Reue und Schmerz
zur Verſöhnung fortſchreiten. Schon in der Stofflehre wurde aber gezeigt,
wie nun die Bedingungen zur eigentlichen Empörung des Böſen in der
Individualität gegeben ſind, die ſich als Ich erfaßt hat. Die Empörung
iſt erſt da eine volle, wo ſie ſich als bewußter Widerſpruch gegen die Be-
ſtimmung zur geiſtigen Unendlichkeit ausbildet, wo dieſe Unendlichkeit ſelbſt
ſich als Eigenwille fixirt und das Ich all’ den neuen und tiefen Reich-
thum, der in ihm aufgegangen, gegen deſſen eigenen Zweck umdreht, den
es nun als Verdammniß ſeiner ſelbſt in ſich trägt. Der Teufel iſt äußerlich
vorgeſtellt, die Schauer ſeiner Finſterniß kehren aber zurück auf das Ge-
müth, das ihn geſchaffen, das Weltgericht iſt eine künftige Begebenheit
und doch gegenwärtig im Buſen des Verworfenen. Je geiſtiger die Furcht-
barkeit dieſer Erſcheinung, deſto weiter darf die Geſtalt in der Häßlichkeit
gehen. Um jenes Widerſpruchs willen liegt im Böſen ſelbſt eine Komik
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/200>, abgerufen am 08.07.2024.
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