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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.

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und jenes, aber der Teufel haucht einen Geist des Abgrunds, seine undeut-
liche Gestalt umgibt ein ahnungsvoller Schauder, dort dagegen ist Alles hell,
deutlich, klar und kalt. Die mittelalterlichen Götter sind erwärmt vom Herzen
des Mittelalters; die antiken haben die Welt in sich eingesogen, thronen
unbewegt als ein All in sich, oder handeln mit Affect ohne Herz, die ro-
mantischen dagegen schenken der Welt wieder, was sie aus ihr in sich gezogen,
ihr inniges Auge senkt sich in die Brust des Verehres, sucht ihn, klopft bei
ihm an, bedarf ihn, wie er sie in Sehnsucht der Liebe sucht: dieses Flüssige,
dieser warmbewegte Tausch verbessert im Fortgang die Götterbildende Hy-
postase. Auch mit dem Reich des Bösen verhält es sich so; kenne ich
das Böse in mir, so brauche ich es wahrlich nicht mehr auf den Teufel
zu schieben, das Mittelalter thut dieß dennoch, aber dann sieht es im Teu-
fel eine geistige Unendlichkeit von Empörung und Verdamniß, die eben
nur das Grausen vor dem Abgrunde des eigenen Innern ist. Dieses
Herüber und Hinüber, worin die Umrisse der christlichen Götter sich wie-
der auflösen, wodurch sie wieder einkehren in die Brust, die sie gedichtet hat,
wodurch die Krystallisation ihrer Transscendenz wieder aufthaut, macht
sie zu mehr mystischen als plastischen Wesen und daher ist allerdings wahr,
daß Alles das im Alterthum der Romantik näher steht, was mehr ge-
heimnißvolle Macht, als deutliche Gestalt ist: Zeichen, Orakel, Träume,
die dunkeln Urwesen der Theogonie, die im Reiche der neuen Götter fortwir-
ken. Die innere Versöhnung des Menschen nun geht im romantischen Ideale
durch den Bruch mit der Natur und dem Eigenwillen, also durch Negation;
sie geht wirklich fort zur Wonne der Versöhnung, die Seele feiert nach
der Qual der Zerknirschung ihre Brautnacht mit dem Bräutigam, allein
diese Versöhnung ist nicht Versöhnung mit der Natur, der Welt, dem
eigenen reinen Selbst, denn sie bleibt Versöhnung mit dem Außerwelt-
lichen, wohinter sich diese verstecken, daher fehlt allerdings der wahre po-
sitive Schluß. Die Versöhnung ist tief im Innern, die Erde bleibt ein
finsteres Thal, der Leib ein Kerker. Man muß die Werke eines Perugino
sehen: da stehen auf einem kleinen Fleck Erde jene schüchternen Menschen-
gestalten, über ihnen öffnen sich die Wolken, aus goldener Gluth blickt
die Himmelsköniginn nieder in himmlischer Güte und mit unbeschreiblich
tiefem Seelen-Weinen blicken jene hinweg vom Schattenthale, hinauf in
die Spalte der verklärten Welt, zu jener jungfräulichen Mutter, deren
Herz voll Liebe doch nur die Blume ist, die in ihrem eigenen Innern
blüht.

2. Phantastisch ist, wer Gebilde der Phantasie, denen er den Grund-
lagen seiner Einsicht gemäß entwachsen sein sollte, für Wirklichkeiten hält,
sei es, indem er nur überhaupt und theoretisch sie an die Stelle der
Dinge selbst schiebe, sei es, daß er darnach handle. Die Alten mit all'

und jenes, aber der Teufel haucht einen Geiſt des Abgrunds, ſeine undeut-
liche Geſtalt umgibt ein ahnungsvoller Schauder, dort dagegen iſt Alles hell,
deutlich, klar und kalt. Die mittelalterlichen Götter ſind erwärmt vom Herzen
des Mittelalters; die antiken haben die Welt in ſich eingeſogen, thronen
unbewegt als ein All in ſich, oder handeln mit Affect ohne Herz, die ro-
mantiſchen dagegen ſchenken der Welt wieder, was ſie aus ihr in ſich gezogen,
ihr inniges Auge ſenkt ſich in die Bruſt des Verehres, ſucht ihn, klopft bei
ihm an, bedarf ihn, wie er ſie in Sehnſucht der Liebe ſucht: dieſes Flüſſige,
dieſer warmbewegte Tauſch verbeſſert im Fortgang die Götterbildende Hy-
poſtaſe. Auch mit dem Reich des Böſen verhält es ſich ſo; kenne ich
das Böſe in mir, ſo brauche ich es wahrlich nicht mehr auf den Teufel
zu ſchieben, das Mittelalter thut dieß dennoch, aber dann ſieht es im Teu-
fel eine geiſtige Unendlichkeit von Empörung und Verdamniß, die eben
nur das Grauſen vor dem Abgrunde des eigenen Innern iſt. Dieſes
Herüber und Hinüber, worin die Umriſſe der chriſtlichen Götter ſich wie-
der auflöſen, wodurch ſie wieder einkehren in die Bruſt, die ſie gedichtet hat,
wodurch die Kryſtalliſation ihrer Transſcendenz wieder aufthaut, macht
ſie zu mehr myſtiſchen als plaſtiſchen Weſen und daher iſt allerdings wahr,
daß Alles das im Alterthum der Romantik näher ſteht, was mehr ge-
heimnißvolle Macht, als deutliche Geſtalt iſt: Zeichen, Orakel, Träume,
die dunkeln Urweſen der Theogonie, die im Reiche der neuen Götter fortwir-
ken. Die innere Verſöhnung des Menſchen nun geht im romantiſchen Ideale
durch den Bruch mit der Natur und dem Eigenwillen, alſo durch Negation;
ſie geht wirklich fort zur Wonne der Verſöhnung, die Seele feiert nach
der Qual der Zerknirſchung ihre Brautnacht mit dem Bräutigam, allein
dieſe Verſöhnung iſt nicht Verſöhnung mit der Natur, der Welt, dem
eigenen reinen Selbſt, denn ſie bleibt Verſöhnung mit dem Außerwelt-
lichen, wohinter ſich dieſe verſtecken, daher fehlt allerdings der wahre po-
ſitive Schluß. Die Verſöhnung iſt tief im Innern, die Erde bleibt ein
finſteres Thal, der Leib ein Kerker. Man muß die Werke eines Perugino
ſehen: da ſtehen auf einem kleinen Fleck Erde jene ſchüchternen Menſchen-
geſtalten, über ihnen öffnen ſich die Wolken, aus goldener Gluth blickt
die Himmelsköniginn nieder in himmliſcher Güte und mit unbeſchreiblich
tiefem Seelen-Weinen blicken jene hinweg vom Schattenthale, hinauf in
die Spalte der verklärten Welt, zu jener jungfräulichen Mutter, deren
Herz voll Liebe doch nur die Blume iſt, die in ihrem eigenen Innern
blüht.

2. Phantaſtiſch iſt, wer Gebilde der Phantaſie, denen er den Grund-
lagen ſeiner Einſicht gemäß entwachſen ſein ſollte, für Wirklichkeiten hält,
ſei es, indem er nur überhaupt und theoretiſch ſie an die Stelle der
Dinge ſelbſt ſchiebe, ſei es, daß er darnach handle. Die Alten mit all’

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[478/0192] und jenes, aber der Teufel haucht einen Geiſt des Abgrunds, ſeine undeut- liche Geſtalt umgibt ein ahnungsvoller Schauder, dort dagegen iſt Alles hell, deutlich, klar und kalt. Die mittelalterlichen Götter ſind erwärmt vom Herzen des Mittelalters; die antiken haben die Welt in ſich eingeſogen, thronen unbewegt als ein All in ſich, oder handeln mit Affect ohne Herz, die ro- mantiſchen dagegen ſchenken der Welt wieder, was ſie aus ihr in ſich gezogen, ihr inniges Auge ſenkt ſich in die Bruſt des Verehres, ſucht ihn, klopft bei ihm an, bedarf ihn, wie er ſie in Sehnſucht der Liebe ſucht: dieſes Flüſſige, dieſer warmbewegte Tauſch verbeſſert im Fortgang die Götterbildende Hy- poſtaſe. Auch mit dem Reich des Böſen verhält es ſich ſo; kenne ich das Böſe in mir, ſo brauche ich es wahrlich nicht mehr auf den Teufel zu ſchieben, das Mittelalter thut dieß dennoch, aber dann ſieht es im Teu- fel eine geiſtige Unendlichkeit von Empörung und Verdamniß, die eben nur das Grauſen vor dem Abgrunde des eigenen Innern iſt. Dieſes Herüber und Hinüber, worin die Umriſſe der chriſtlichen Götter ſich wie- der auflöſen, wodurch ſie wieder einkehren in die Bruſt, die ſie gedichtet hat, wodurch die Kryſtalliſation ihrer Transſcendenz wieder aufthaut, macht ſie zu mehr myſtiſchen als plaſtiſchen Weſen und daher iſt allerdings wahr, daß Alles das im Alterthum der Romantik näher ſteht, was mehr ge- heimnißvolle Macht, als deutliche Geſtalt iſt: Zeichen, Orakel, Träume, die dunkeln Urweſen der Theogonie, die im Reiche der neuen Götter fortwir- ken. Die innere Verſöhnung des Menſchen nun geht im romantiſchen Ideale durch den Bruch mit der Natur und dem Eigenwillen, alſo durch Negation; ſie geht wirklich fort zur Wonne der Verſöhnung, die Seele feiert nach der Qual der Zerknirſchung ihre Brautnacht mit dem Bräutigam, allein dieſe Verſöhnung iſt nicht Verſöhnung mit der Natur, der Welt, dem eigenen reinen Selbſt, denn ſie bleibt Verſöhnung mit dem Außerwelt- lichen, wohinter ſich dieſe verſtecken, daher fehlt allerdings der wahre po- ſitive Schluß. Die Verſöhnung iſt tief im Innern, die Erde bleibt ein finſteres Thal, der Leib ein Kerker. Man muß die Werke eines Perugino ſehen: da ſtehen auf einem kleinen Fleck Erde jene ſchüchternen Menſchen- geſtalten, über ihnen öffnen ſich die Wolken, aus goldener Gluth blickt die Himmelsköniginn nieder in himmliſcher Güte und mit unbeſchreiblich tiefem Seelen-Weinen blicken jene hinweg vom Schattenthale, hinauf in die Spalte der verklärten Welt, zu jener jungfräulichen Mutter, deren Herz voll Liebe doch nur die Blume iſt, die in ihrem eigenen Innern blüht. 2. Phantaſtiſch iſt, wer Gebilde der Phantaſie, denen er den Grund- lagen ſeiner Einſicht gemäß entwachſen ſein ſollte, für Wirklichkeiten hält, ſei es, indem er nur überhaupt und theoretiſch ſie an die Stelle der Dinge ſelbſt ſchiebe, ſei es, daß er darnach handle. Die Alten mit all’

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/192>, abgerufen am 24.11.2024.