hinaustreten, Satyre, Lehrgedicht, zu nennen. Das Nähere, insbesondere die Unterscheidung gewisser Stufen und Zweige, welche durch ein innigeres Band des Bildes mit dem Gedanken dem Schönen weniger fern stehen, und anderer, worin die Elemente ganz unorganisch verbunden sind, ge- hört in einen Anhang der Lehre von der Poesie. Wie tief der Formsinn da versinkt, wo er nicht nur ein bewegliches inneres Bild vor der Phan- tasie vorüberführen, sondern die Formen körperlich fixiren soll, zeigt die Plastik, Malerei, Architectur zur Zeit der späteren Kaiser; insbesondere werden die menschlichen Formen völlig mißverstanden, sie ziehen sich zu lächerlicher Länge aus oder schrumpfen zu Zwergen ein, das Gefühl der Proportionen verschwindet.
b. Das Ideal der phantastischen Subjectivität oder die romantische Phantasie des Mittelalters.
§. 447.
Die Phantasie des Mittelalters ergänzt den mosaischen Monotheismus mit dem Wahren des Polytheismus, verbindet aber auch, indem sie es mit Belassung des Mythischen thut, die Fehler beider und geräth in den Wider- spruch mit sich selbst, durch die Idee der Immanenz über allen Mythus hinaus zu sein und doch die dem Bewußtsein aufgegangene Unendlichkeit, in welche Schicksal und Götter eingesunken sind, in das Jenseits eines neuen Olymps und Hades, eines Himmels und einer Hölle hinauszuwerfen.
Der unendliche Mangel der jüdischen Religion war der juristische Gott; dagegen war der Polytheismus, insbesondere in seiner Vollendung zur schönen Menschlichkeit durch die Griechen, in dem Vortheil unbefan- gener, stets gegenwärtiger, freundlicher Vermittlung der Götter mit den Menschen. Wiederum stand das mosaische Bewußtsein in dem Vortheile, eine strengere ethische Einheit in ihrem Einen Gott zu besitzen, die poly- theistische Naturreligion dagegen schob volle Sinnlichkeit in ihre vielen Götter und verfiel der ganzen Zufälligkeit, an welcher die unmittelbare und bruchlose Einheit des Geistes und der Sinnlichkeit leidet. Wenn nun dem Bewußtsein die Idee der Versöhnung, der reinen Gegenwart des Absoluten als des die Welt von innen bewegenden, in sich selbst
hinaustreten, Satyre, Lehrgedicht, zu nennen. Das Nähere, insbeſondere die Unterſcheidung gewiſſer Stufen und Zweige, welche durch ein innigeres Band des Bildes mit dem Gedanken dem Schönen weniger fern ſtehen, und anderer, worin die Elemente ganz unorganiſch verbunden ſind, ge- hört in einen Anhang der Lehre von der Poeſie. Wie tief der Formſinn da verſinkt, wo er nicht nur ein bewegliches inneres Bild vor der Phan- taſie vorüberführen, ſondern die Formen körperlich fixiren ſoll, zeigt die Plaſtik, Malerei, Architectur zur Zeit der ſpäteren Kaiſer; insbeſondere werden die menſchlichen Formen völlig mißverſtanden, ſie ziehen ſich zu lächerlicher Länge aus oder ſchrumpfen zu Zwergen ein, das Gefühl der Proportionen verſchwindet.
b. Das Ideal der phantaſtiſchen Subjectivität oder die romantiſche Phantaſie des Mittelalters.
§. 447.
Die Phantaſie des Mittelalters ergänzt den moſaiſchen Monotheiſmus mit dem Wahren des Polytheiſmus, verbindet aber auch, indem ſie es mit Belaſſung des Mythiſchen thut, die Fehler beider und geräth in den Wider- ſpruch mit ſich ſelbſt, durch die Idee der Immanenz über allen Mythus hinaus zu ſein und doch die dem Bewußtſein aufgegangene Unendlichkeit, in welche Schickſal und Götter eingeſunken ſind, in das Jenſeits eines neuen Olymps und Hades, eines Himmels und einer Hölle hinauszuwerfen.
Der unendliche Mangel der jüdiſchen Religion war der juriſtiſche Gott; dagegen war der Polytheiſmus, insbeſondere in ſeiner Vollendung zur ſchönen Menſchlichkeit durch die Griechen, in dem Vortheil unbefan- gener, ſtets gegenwärtiger, freundlicher Vermittlung der Götter mit den Menſchen. Wiederum ſtand das moſaiſche Bewußtſein in dem Vortheile, eine ſtrengere ethiſche Einheit in ihrem Einen Gott zu beſitzen, die poly- theiſtiſche Naturreligion dagegen ſchob volle Sinnlichkeit in ihre vielen Götter und verfiel der ganzen Zufälligkeit, an welcher die unmittelbare und bruchloſe Einheit des Geiſtes und der Sinnlichkeit leidet. Wenn nun dem Bewußtſein die Idee der Verſöhnung, der reinen Gegenwart des Abſoluten als des die Welt von innen bewegenden, in ſich ſelbſt
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hinaustreten, Satyre, Lehrgedicht, zu nennen. Das Nähere, insbeſondere
die Unterſcheidung gewiſſer Stufen und Zweige, welche durch ein innigeres
Band des Bildes mit dem Gedanken dem Schönen weniger fern ſtehen,
und anderer, worin die Elemente ganz unorganiſch verbunden ſind, ge-
hört in einen Anhang der Lehre von der Poeſie. Wie tief der Formſinn
da verſinkt, wo er nicht nur ein bewegliches inneres Bild vor der Phan-
taſie vorüberführen, ſondern die Formen körperlich fixiren ſoll, zeigt die
Plaſtik, Malerei, Architectur zur Zeit der ſpäteren Kaiſer; insbeſondere
werden die menſchlichen Formen völlig mißverſtanden, ſie ziehen ſich zu
lächerlicher Länge aus oder ſchrumpfen zu Zwergen ein, das Gefühl der
Proportionen verſchwindet.
b.
Das Ideal der phantaſtiſchen Subjectivität
oder
die romantiſche Phantaſie des Mittelalters.
§. 447.
Die Phantaſie des Mittelalters ergänzt den moſaiſchen Monotheiſmus
mit dem Wahren des Polytheiſmus, verbindet aber auch, indem ſie es mit
Belaſſung des Mythiſchen thut, die Fehler beider und geräth in den Wider-
ſpruch mit ſich ſelbſt, durch die Idee der Immanenz über allen Mythus hinaus
zu ſein und doch die dem Bewußtſein aufgegangene Unendlichkeit, in welche
Schickſal und Götter eingeſunken ſind, in das Jenſeits eines neuen Olymps und
Hades, eines Himmels und einer Hölle hinauszuwerfen.
Der unendliche Mangel der jüdiſchen Religion war der juriſtiſche
Gott; dagegen war der Polytheiſmus, insbeſondere in ſeiner Vollendung
zur ſchönen Menſchlichkeit durch die Griechen, in dem Vortheil unbefan-
gener, ſtets gegenwärtiger, freundlicher Vermittlung der Götter mit den
Menſchen. Wiederum ſtand das moſaiſche Bewußtſein in dem Vortheile,
eine ſtrengere ethiſche Einheit in ihrem Einen Gott zu beſitzen, die poly-
theiſtiſche Naturreligion dagegen ſchob volle Sinnlichkeit in ihre vielen
Götter und verfiel der ganzen Zufälligkeit, an welcher die unmittelbare
und bruchloſe Einheit des Geiſtes und der Sinnlichkeit leidet. Wenn
nun dem Bewußtſein die Idee der Verſöhnung, der reinen Gegenwart
des Abſoluten als des die Welt von innen bewegenden, in ſich ſelbſt
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/187>, abgerufen am 08.07.2024.
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