Großheit und Mächtigkeit behandelt, ist die einfache Schlußfolgerung aus der Darstellung seines Charakters §. 352 ff. Daß aber die Werke dieser Phantasie sich namentlich in einer großartigen Behandlung des Zweck- mäßigen bestehen werden, folgt ebenfalls und kann nur nicht hier, son- dern erst in der Kunstlehre seine Ausführung finden. Das komische Ta- lent zeigt sich insbesondere in den Fescenninen und Atellanen.
§. 443.
Der Zug zum Erhabenen muß aber bei diesem politischen Volke zugleich eine Neigung zur Repräsentation sein, sich daher näher zum Prächtigen und Pompösen bestimmen, und in diesem Sinne namentlich behandelt es die grie- chische Phantasiewelt, wie es dieselbe im Beginn ihres Sinkens, da in sie selbst schon vom Orient her ebenjene Neigung eingedrungen war, übernimmt. Rom vereinigt aber durch seine Welteroberung die Götterwelt aller alten Völker in sich und tödtet sie eben durch diese Ansammlung.
Es war bekanntlich die Zeit Alexanders des Großen, wo die edle Einfachheit der griechischen Phantasie in Pracht und Luxus überging. So in üppige Ueberreife geschossen verpflanzten sie die Römer, abgesehen von früherer Gemeinschaftlichkeit der Stoffe, als Sieger auf ihren Boden. Schon in Griechenland war der Prunk ein Eindringen des Orientalischen; die Römer nun, obwohl der Dualismus ihres Charakters von dem des Orientalischen wesentlich verschieden war, haben doch viel mit diesem Verwandtes, nur daß die Liebe zum Colossalen und Glänzenden bei ihnen die besondere Bedeutung haben mußte, das politisch Große in seiner übergreifenden, sicher begründeten, stattlich ausgedehnten Mächtigkeit auf- zuzeigen, zu repräsentiren wie in einem Triumphzuge. Nun nehme man dazu, daß die Pracht auch des überwundenen Orients nach Rom floß, und man hat die Bedingungen beisammen. Allein in diesem Rom als einem Pantheon der Volksgeister und ihrer Götter mußte noch ein anderer Prozeß, ein solcher, der das antike Ideal ganz auflöste, vor sich gehen.
§. 444.
Diese Tödtung ist eine in dem noch lebendigen mythischen Bewußtsein nur erst leise sich ankündigende, jetzt aber vollendende Auflösung des ursprüng- lichen Verhältnisses zwischen Idee und Bild, wie es sowohl das Symbol, als der Mythus, in lebendiger Einheit des Glaubens bewahrt. Die Bedeutung tritt bildlos in das Bewußtsein und wird mit Absicht auf den Grund des Ver- gleichungspunkts wieder in das Bild versteckt. Diese frostige Verbindung der
Großheit und Mächtigkeit behandelt, iſt die einfache Schlußfolgerung aus der Darſtellung ſeines Charakters §. 352 ff. Daß aber die Werke dieſer Phantaſie ſich namentlich in einer großartigen Behandlung des Zweck- mäßigen beſtehen werden, folgt ebenfalls und kann nur nicht hier, ſon- dern erſt in der Kunſtlehre ſeine Ausführung finden. Das komiſche Ta- lent zeigt ſich insbeſondere in den Feſcenninen und Atellanen.
§. 443.
Der Zug zum Erhabenen muß aber bei dieſem politiſchen Volke zugleich eine Neigung zur Repräſentation ſein, ſich daher näher zum Prächtigen und Pompöſen beſtimmen, und in dieſem Sinne namentlich behandelt es die grie- chiſche Phantaſiewelt, wie es dieſelbe im Beginn ihres Sinkens, da in ſie ſelbſt ſchon vom Orient her ebenjene Neigung eingedrungen war, übernimmt. Rom vereinigt aber durch ſeine Welteroberung die Götterwelt aller alten Völker in ſich und tödtet ſie eben durch dieſe Anſammlung.
Es war bekanntlich die Zeit Alexanders des Großen, wo die edle Einfachheit der griechiſchen Phantaſie in Pracht und Luxus überging. So in üppige Ueberreife geſchoſſen verpflanzten ſie die Römer, abgeſehen von früherer Gemeinſchaftlichkeit der Stoffe, als Sieger auf ihren Boden. Schon in Griechenland war der Prunk ein Eindringen des Orientaliſchen; die Römer nun, obwohl der Dualiſmus ihres Charakters von dem des Orientaliſchen weſentlich verſchieden war, haben doch viel mit dieſem Verwandtes, nur daß die Liebe zum Coloſſalen und Glänzenden bei ihnen die beſondere Bedeutung haben mußte, das politiſch Große in ſeiner übergreifenden, ſicher begründeten, ſtattlich ausgedehnten Mächtigkeit auf- zuzeigen, zu repräſentiren wie in einem Triumphzuge. Nun nehme man dazu, daß die Pracht auch des überwundenen Orients nach Rom floß, und man hat die Bedingungen beiſammen. Allein in dieſem Rom als einem Pantheon der Volksgeiſter und ihrer Götter mußte noch ein anderer Prozeß, ein ſolcher, der das antike Ideal ganz auflöste, vor ſich gehen.
§. 444.
Dieſe Tödtung iſt eine in dem noch lebendigen mythiſchen Bewußtſein nur erſt leiſe ſich ankündigende, jetzt aber vollendende Auflöſung des urſprüng- lichen Verhältniſſes zwiſchen Idee und Bild, wie es ſowohl das Symbol, als der Mythus, in lebendiger Einheit des Glaubens bewahrt. Die Bedeutung tritt bildlos in das Bewußtſein und wird mit Abſicht auf den Grund des Ver- gleichungspunkts wieder in das Bild verſteckt. Dieſe froſtige Verbindung der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0181"n="467"/>
Großheit und Mächtigkeit behandelt, iſt die einfache Schlußfolgerung aus<lb/>
der Darſtellung ſeines Charakters §. 352 ff. Daß aber die Werke dieſer<lb/>
Phantaſie ſich namentlich in einer großartigen Behandlung des Zweck-<lb/>
mäßigen beſtehen werden, folgt ebenfalls und kann nur nicht hier, ſon-<lb/>
dern erſt in der Kunſtlehre ſeine Ausführung finden. Das komiſche Ta-<lb/>
lent zeigt ſich insbeſondere in den Feſcenninen und Atellanen.</hi></p></div><lb/><divn="7"><head>§. 443.</head><lb/><p><hirendition="#fr">Der Zug zum Erhabenen muß aber bei dieſem politiſchen Volke zugleich<lb/>
eine Neigung zur Repräſentation ſein, ſich daher näher zum <hirendition="#g">Prächtigen</hi> und<lb/><hirendition="#g">Pompöſen</hi> beſtimmen, und in dieſem Sinne namentlich behandelt es die grie-<lb/>
chiſche Phantaſiewelt, wie es dieſelbe im Beginn ihres Sinkens, da in ſie ſelbſt<lb/>ſchon vom Orient her ebenjene Neigung eingedrungen war, übernimmt. Rom<lb/>
vereinigt aber durch ſeine Welteroberung die Götterwelt aller alten Völker in<lb/>ſich und tödtet ſie eben durch dieſe Anſammlung.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">Es war bekanntlich die Zeit Alexanders des Großen, wo die edle<lb/>
Einfachheit der griechiſchen Phantaſie in Pracht und Luxus überging.<lb/>
So in üppige Ueberreife geſchoſſen verpflanzten ſie die Römer, abgeſehen<lb/>
von früherer Gemeinſchaftlichkeit der Stoffe, als Sieger auf ihren Boden.<lb/>
Schon in Griechenland war der Prunk ein Eindringen des Orientaliſchen;<lb/>
die Römer nun, obwohl der Dualiſmus ihres Charakters von dem des<lb/>
Orientaliſchen weſentlich verſchieden war, haben doch viel mit dieſem<lb/>
Verwandtes, nur daß die Liebe zum Coloſſalen und Glänzenden bei ihnen<lb/>
die beſondere Bedeutung haben mußte, das politiſch Große in ſeiner<lb/>
übergreifenden, ſicher begründeten, ſtattlich ausgedehnten Mächtigkeit auf-<lb/>
zuzeigen, zu repräſentiren wie in einem Triumphzuge. Nun nehme man<lb/>
dazu, daß die Pracht auch des überwundenen Orients nach Rom floß,<lb/>
und man hat die Bedingungen beiſammen. Allein in dieſem Rom als<lb/>
einem Pantheon der Volksgeiſter und ihrer Götter mußte noch ein anderer<lb/>
Prozeß, ein ſolcher, der das antike Ideal ganz auflöste, vor ſich gehen.</hi></p></div><lb/><divn="7"><head>§. 444.</head><lb/><p><hirendition="#fr">Dieſe Tödtung iſt eine in dem noch lebendigen mythiſchen Bewußtſein<lb/>
nur erſt leiſe ſich ankündigende, jetzt aber vollendende Auflöſung des urſprüng-<lb/>
lichen Verhältniſſes zwiſchen Idee und Bild, wie es ſowohl das Symbol, als<lb/>
der Mythus, in lebendiger Einheit des Glaubens bewahrt. Die Bedeutung<lb/>
tritt bildlos in das Bewußtſein und wird mit Abſicht auf den Grund des Ver-<lb/>
gleichungspunkts wieder in das Bild verſteckt. Dieſe froſtige Verbindung der<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[467/0181]
Großheit und Mächtigkeit behandelt, iſt die einfache Schlußfolgerung aus
der Darſtellung ſeines Charakters §. 352 ff. Daß aber die Werke dieſer
Phantaſie ſich namentlich in einer großartigen Behandlung des Zweck-
mäßigen beſtehen werden, folgt ebenfalls und kann nur nicht hier, ſon-
dern erſt in der Kunſtlehre ſeine Ausführung finden. Das komiſche Ta-
lent zeigt ſich insbeſondere in den Feſcenninen und Atellanen.
§. 443.
Der Zug zum Erhabenen muß aber bei dieſem politiſchen Volke zugleich
eine Neigung zur Repräſentation ſein, ſich daher näher zum Prächtigen und
Pompöſen beſtimmen, und in dieſem Sinne namentlich behandelt es die grie-
chiſche Phantaſiewelt, wie es dieſelbe im Beginn ihres Sinkens, da in ſie ſelbſt
ſchon vom Orient her ebenjene Neigung eingedrungen war, übernimmt. Rom
vereinigt aber durch ſeine Welteroberung die Götterwelt aller alten Völker in
ſich und tödtet ſie eben durch dieſe Anſammlung.
Es war bekanntlich die Zeit Alexanders des Großen, wo die edle
Einfachheit der griechiſchen Phantaſie in Pracht und Luxus überging.
So in üppige Ueberreife geſchoſſen verpflanzten ſie die Römer, abgeſehen
von früherer Gemeinſchaftlichkeit der Stoffe, als Sieger auf ihren Boden.
Schon in Griechenland war der Prunk ein Eindringen des Orientaliſchen;
die Römer nun, obwohl der Dualiſmus ihres Charakters von dem des
Orientaliſchen weſentlich verſchieden war, haben doch viel mit dieſem
Verwandtes, nur daß die Liebe zum Coloſſalen und Glänzenden bei ihnen
die beſondere Bedeutung haben mußte, das politiſch Große in ſeiner
übergreifenden, ſicher begründeten, ſtattlich ausgedehnten Mächtigkeit auf-
zuzeigen, zu repräſentiren wie in einem Triumphzuge. Nun nehme man
dazu, daß die Pracht auch des überwundenen Orients nach Rom floß,
und man hat die Bedingungen beiſammen. Allein in dieſem Rom als
einem Pantheon der Volksgeiſter und ihrer Götter mußte noch ein anderer
Prozeß, ein ſolcher, der das antike Ideal ganz auflöste, vor ſich gehen.
§. 444.
Dieſe Tödtung iſt eine in dem noch lebendigen mythiſchen Bewußtſein
nur erſt leiſe ſich ankündigende, jetzt aber vollendende Auflöſung des urſprüng-
lichen Verhältniſſes zwiſchen Idee und Bild, wie es ſowohl das Symbol, als
der Mythus, in lebendiger Einheit des Glaubens bewahrt. Die Bedeutung
tritt bildlos in das Bewußtſein und wird mit Abſicht auf den Grund des Ver-
gleichungspunkts wieder in das Bild verſteckt. Dieſe froſtige Verbindung der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/181>, abgerufen am 08.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.