Allerdings trat nun auch die ursprüngliche Stoffwelt in die Phan- tasie als Gegenstand ein ohne ausdrückliche Vergötterung: die großen Momente und Personen der Geschichte, die allgemeinen Culturformen, Gottesdienst, Gymnastik und Orchestik, Theater, Krieg, Jagd, Landleben, häusliches Leben, Fest, Genuß. Wir werden die Grenze dieser Ausdeh- nung auf die ursprüngliche Stoffwelt sogleich auffassen; hier ist zunächst das weitere Verhältniß noch auszuzeichnen, daß eine Phantasie, die mit dieser Lebendigkeit des Beseelens und Vermenschlichens Alles ergrief, auch das unmittelbare, stoffartige Leben auf allen Punkten im Sinne des an- hängenden Schönen (vergl. §. 23, 3.) durchdringen mußte. Der Genuß, das Fest, die Waffe, das Geräthe, Alles wurde nicht nur in Formen veredelt, sondern bestimmter eben in vergöttlichenden. Das Gewicht an der Wage war ein Merkurskopf, das Trinkgefäß, den Candelaber zierten Mythen u. s. w. Dieß gehört nicht erst in die Kunst, es hatte seinen Ursprung in der Vollendung der polytheistischen Phantasie.
2. Nur sparsam und spät rückte die ursprüngliche Stoffwelt in die Phantasie ein, den Grund dieser Einschränkung brauchen wir nicht wei- ter auseinanderzusetzen. Auch mußte das Wenige, was aus ihr aufge- nommen wurde, immer wenigstens im Geiste der Vergötterung, wenn solche nicht ausdrücklich hervortrat, behandelt werden. Diese Wirkung zeigte sich im Kunststyle, der auch bei Porträts, bei historischen Schlach- ten u. s. w. angewandt wurde, und von diesem Style können wir zunächst schon hier soviel sagen, daß das Geheimniß, wodurch er überall vergöt- ternd wirkte, ein Unterdrücken der engeren individuellen Züge, ein Er- heben in's Allgemeine, Gattungsmäßige war in einem Sinne, den das Schöne in einem andern Ideal sehr wohl überschreiten kann, ohne sich, ohne die Idealität aufzuheben. Dieß ist die Weise, in welcher sich bei den Griechen geltend macht, was wir in §. 62 eine Aristokratie der Gestalt nannten. Eine weitere wesentliche Begrenzung bringt der folg. §.
So ist also die Phantasie ganz auf Mythus und Sage, schließlich auf die Religion gestellt und daher unfrei. Allein bei den Griechen stellt sich ein verändertes Verhältniß der besonderen Phantasie zur allgemeinen ein. Wie diese das Symbol, so überwindet jene, frühe mündig und keiner Priestersatzung unterworfen, den Typus; die Dichter Hesiod und Homer sind es, die (Herodot 2, 53.) den Griechen ihre Götter gegeben haben; wir dürfen sagen: die Künstler überhaupt, und den Prozeß als ein flüssiges Wechselverhältniß bezeichnen, in welchem die begabtere Phan- tasie den rohen Gott aus den Händen der allgemeinen empfing und rei- ner, menschlicher gebildet an sie zurückgab. Sie war gebunden im Um- fang, nämlich gegenüber der ursprünglichen Stoffwelt, frei in der Art ihres Verfahrens. Dieß freie Bilden nun, sollte man nach §. 62. 63.
Allerdings trat nun auch die urſprüngliche Stoffwelt in die Phan- taſie als Gegenſtand ein ohne ausdrückliche Vergötterung: die großen Momente und Perſonen der Geſchichte, die allgemeinen Culturformen, Gottesdienſt, Gymnaſtik und Orcheſtik, Theater, Krieg, Jagd, Landleben, häusliches Leben, Feſt, Genuß. Wir werden die Grenze dieſer Ausdeh- nung auf die urſprüngliche Stoffwelt ſogleich auffaſſen; hier iſt zunächſt das weitere Verhältniß noch auszuzeichnen, daß eine Phantaſie, die mit dieſer Lebendigkeit des Beſeelens und Vermenſchlichens Alles ergrief, auch das unmittelbare, ſtoffartige Leben auf allen Punkten im Sinne des an- hängenden Schönen (vergl. §. 23, 3.) durchdringen mußte. Der Genuß, das Feſt, die Waffe, das Geräthe, Alles wurde nicht nur in Formen veredelt, ſondern beſtimmter eben in vergöttlichenden. Das Gewicht an der Wage war ein Merkurskopf, das Trinkgefäß, den Candelaber zierten Mythen u. ſ. w. Dieß gehört nicht erſt in die Kunſt, es hatte ſeinen Urſprung in der Vollendung der polytheiſtiſchen Phantaſie.
2. Nur ſparſam und ſpät rückte die urſprüngliche Stoffwelt in die Phantaſie ein, den Grund dieſer Einſchränkung brauchen wir nicht wei- ter auseinanderzuſetzen. Auch mußte das Wenige, was aus ihr aufge- nommen wurde, immer wenigſtens im Geiſte der Vergötterung, wenn ſolche nicht ausdrücklich hervortrat, behandelt werden. Dieſe Wirkung zeigte ſich im Kunſtſtyle, der auch bei Porträts, bei hiſtoriſchen Schlach- ten u. ſ. w. angewandt wurde, und von dieſem Style können wir zunächſt ſchon hier ſoviel ſagen, daß das Geheimniß, wodurch er überall vergöt- ternd wirkte, ein Unterdrücken der engeren individuellen Züge, ein Er- heben in’s Allgemeine, Gattungsmäßige war in einem Sinne, den das Schöne in einem andern Ideal ſehr wohl überſchreiten kann, ohne ſich, ohne die Idealität aufzuheben. Dieß iſt die Weiſe, in welcher ſich bei den Griechen geltend macht, was wir in §. 62 eine Ariſtokratie der Geſtalt nannten. Eine weitere weſentliche Begrenzung bringt der folg. §.
So iſt alſo die Phantaſie ganz auf Mythus und Sage, ſchließlich auf die Religion geſtellt und daher unfrei. Allein bei den Griechen ſtellt ſich ein verändertes Verhältniß der beſonderen Phantaſie zur allgemeinen ein. Wie dieſe das Symbol, ſo überwindet jene, frühe mündig und keiner Prieſterſatzung unterworfen, den Typus; die Dichter Heſiod und Homer ſind es, die (Herodot 2, 53.) den Griechen ihre Götter gegeben haben; wir dürfen ſagen: die Künſtler überhaupt, und den Prozeß als ein flüſſiges Wechſelverhältniß bezeichnen, in welchem die begabtere Phan- taſie den rohen Gott aus den Händen der allgemeinen empfing und rei- ner, menſchlicher gebildet an ſie zurückgab. Sie war gebunden im Um- fang, nämlich gegenüber der urſprünglichen Stoffwelt, frei in der Art ihres Verfahrens. Dieß freie Bilden nun, ſollte man nach §. 62. 63.
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Momente und Perſonen der Geſchichte, die allgemeinen Culturformen,
Gottesdienſt, Gymnaſtik und Orcheſtik, Theater, Krieg, Jagd, Landleben,
häusliches Leben, Feſt, Genuß. Wir werden die Grenze dieſer Ausdeh-
nung auf die urſprüngliche Stoffwelt ſogleich auffaſſen; hier iſt zunächſt
das weitere Verhältniß noch auszuzeichnen, daß eine Phantaſie, die mit
dieſer Lebendigkeit des Beſeelens und Vermenſchlichens Alles ergrief, auch
das unmittelbare, ſtoffartige Leben auf allen Punkten im Sinne des an-
hängenden Schönen (vergl. §. 23, 3.) durchdringen mußte. Der Genuß,
das Feſt, die Waffe, das Geräthe, Alles wurde nicht nur in Formen
veredelt, ſondern beſtimmter eben in vergöttlichenden. Das Gewicht an
der Wage war ein Merkurskopf, das Trinkgefäß, den Candelaber zierten
Mythen u. ſ. w. Dieß gehört nicht erſt in die Kunſt, es hatte ſeinen
Urſprung in der Vollendung der polytheiſtiſchen Phantaſie.
2. Nur ſparſam und ſpät rückte die urſprüngliche Stoffwelt in die
Phantaſie ein, den Grund dieſer Einſchränkung brauchen wir nicht wei-
ter auseinanderzuſetzen. Auch mußte das Wenige, was aus ihr aufge-
nommen wurde, immer wenigſtens im Geiſte der Vergötterung, wenn
ſolche nicht ausdrücklich hervortrat, behandelt werden. Dieſe Wirkung
zeigte ſich im Kunſtſtyle, der auch bei Porträts, bei hiſtoriſchen Schlach-
ten u. ſ. w. angewandt wurde, und von dieſem Style können wir zunächſt
ſchon hier ſoviel ſagen, daß das Geheimniß, wodurch er überall vergöt-
ternd wirkte, ein Unterdrücken der engeren individuellen Züge, ein Er-
heben in’s Allgemeine, Gattungsmäßige war in einem Sinne, den das
Schöne in einem andern Ideal ſehr wohl überſchreiten kann, ohne ſich,
ohne die Idealität aufzuheben. Dieß iſt die Weiſe, in welcher ſich bei
den Griechen geltend macht, was wir in §. 62 eine Ariſtokratie der
Geſtalt nannten. Eine weitere weſentliche Begrenzung bringt der folg. §.
So iſt alſo die Phantaſie ganz auf Mythus und Sage, ſchließlich
auf die Religion geſtellt und daher unfrei. Allein bei den Griechen ſtellt
ſich ein verändertes Verhältniß der beſonderen Phantaſie zur allgemeinen
ein. Wie dieſe das Symbol, ſo überwindet jene, frühe mündig und
keiner Prieſterſatzung unterworfen, den Typus; die Dichter Heſiod und
Homer ſind es, die (Herodot 2, 53.) den Griechen ihre Götter gegeben
haben; wir dürfen ſagen: die Künſtler überhaupt, und den Prozeß als
ein flüſſiges Wechſelverhältniß bezeichnen, in welchem die begabtere Phan-
taſie den rohen Gott aus den Händen der allgemeinen empfing und rei-
ner, menſchlicher gebildet an ſie zurückgab. Sie war gebunden im Um-
fang, nämlich gegenüber der urſprünglichen Stoffwelt, frei in der Art
ihres Verfahrens. Dieß freie Bilden nun, ſollte man nach §. 62. 63.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/169>, abgerufen am 08.07.2024.
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