gebunden erscheint. In der Kunstlehre dürfen wir nur die Schlußfolge- rung daraus pflücken, so wird einleuchten, daß die eigentliche Kunst der orientalischen Völker die Baukunst war. Die dichtende Phantasie nun muß, weil sie alle andern Arten (§. 404) in sich begreift, natürlich auf allen Stufen hervortreten; das Verhältniß wird aber dieß sein, daß je die Art, welche den Standpunkt einer Stufe bestimmt, in der dichtenden, soweit sich dieselbe in sie erstreckt, den spezifischen Charakter bedingt. Es versteht sich ferner, daß, an die Arten von §. 402 gehalten, die symbolische Phantasie wesentlich eine erhabene sein muß, denn das Bild ist in ihr als negativ gegen die Idee gesetzt (vergl. Hegel Aesth. Th. 1. S. 392). Freilich wird die Idee selbst wieder als sinnliche Ausdehnung gefaßt, diese Phantasie als messende bildet daher zunächst im Sinne des Erhabenen des Raums und der Zeit (§. 91 -- 94), zwar auch des Erhabenen der Kraft, doch so, daß sie dieses unter die Verhältnisse des ersteren stellt, indem sie es in colossale Raum- und Zahlen-Maaße setzt. Auch so weit sie auf das Erhabene des Subjects sich einläßt, woraus Göttergestalt und Heroensage entsteht, muß sie, weil ihr die sittliche oder überhaupt geistige Größe immer wieder Naturmacht ist, es unter denselben Verhält- nissen anschauen: der Gott, König, Held ist immer von übermenschlicher Größe u. s. w. Das Tragische muß in dieser Phantasie eine große Rolle spielen. Da auch die persönlichen Götter nur flüchtige Schattenbilder vereinzelter Momente der Idee sind, so haben sie, was Götter eigentlich nicht haben sollten, ein Schicksal, das dunkle Urwesen ist ihr Despot (Götterdämmerung und die verwandten Vorstellungen des Orients). Sie kämpfen tragisch unter sich. Die Menschenwelt aber, soweit sie aufge- nommen wird, hat ebenso ihr finsteres Schicksal nicht nur in ihrer eige- nen Sphäre, durch die Despotie, sondern auch durch die göttlichen Mächte; sie schlagen sinnlos ein, wie in Nal und Damajanti. Da nun aber auch diese Macht nur dürftig mit den Keimen der sittlichen Idee schwanger, vielmehr dunkler Naturschooß ist, bleibt es im Tragischen überall bei der Form, die wir (§. 130) das Tragische als Gesetz des Universums nann- ten. Aber diese Form ist hier selbst nicht rein; ein blindes Gesetz darf herrschend erscheinen über das Blinde im Menschen, seine Jugend, sein Leben, sein Glück, seine Schönheit, aber nicht über Geist und Willen in ihm, die doch im Orient irgendwie immer thätig erscheinen, aber vom finstern Schicksal grundlos miterdrückt werden. Hier ist nur noch die Frage zu beantworten, ob eine so dualistische Phantasie nicht wesentlich auch des Komischen mächtig sein werde; allein es erhellt alsbald, daß dazu eine Freiheit des Bewußtseins und daraus fließende wirkliche Ergrei- fung sowohl als Versöhnung des Widerspruchs vorausgesetzt ist, die dieser Weltanschauung noch durchaus mangelt. Es tritt zwar hie und da her-
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gebunden erſcheint. In der Kunſtlehre dürfen wir nur die Schlußfolge- rung daraus pflücken, ſo wird einleuchten, daß die eigentliche Kunſt der orientaliſchen Völker die Baukunſt war. Die dichtende Phantaſie nun muß, weil ſie alle andern Arten (§. 404) in ſich begreift, natürlich auf allen Stufen hervortreten; das Verhältniß wird aber dieß ſein, daß je die Art, welche den Standpunkt einer Stufe beſtimmt, in der dichtenden, ſoweit ſich dieſelbe in ſie erſtreckt, den ſpezifiſchen Charakter bedingt. Es verſteht ſich ferner, daß, an die Arten von §. 402 gehalten, die ſymboliſche Phantaſie weſentlich eine erhabene ſein muß, denn das Bild iſt in ihr als negativ gegen die Idee geſetzt (vergl. Hegel Aeſth. Th. 1. S. 392). Freilich wird die Idee ſelbſt wieder als ſinnliche Ausdehnung gefaßt, dieſe Phantaſie als meſſende bildet daher zunächſt im Sinne des Erhabenen des Raums und der Zeit (§. 91 — 94), zwar auch des Erhabenen der Kraft, doch ſo, daß ſie dieſes unter die Verhältniſſe des erſteren ſtellt, indem ſie es in coloſſale Raum- und Zahlen-Maaße ſetzt. Auch ſo weit ſie auf das Erhabene des Subjects ſich einläßt, woraus Göttergeſtalt und Heroenſage entſteht, muß ſie, weil ihr die ſittliche oder überhaupt geiſtige Größe immer wieder Naturmacht iſt, es unter denſelben Verhält- niſſen anſchauen: der Gott, König, Held iſt immer von übermenſchlicher Größe u. ſ. w. Das Tragiſche muß in dieſer Phantaſie eine große Rolle ſpielen. Da auch die perſönlichen Götter nur flüchtige Schattenbilder vereinzelter Momente der Idee ſind, ſo haben ſie, was Götter eigentlich nicht haben ſollten, ein Schickſal, das dunkle Urweſen iſt ihr Deſpot (Götterdämmerung und die verwandten Vorſtellungen des Orients). Sie kämpfen tragiſch unter ſich. Die Menſchenwelt aber, ſoweit ſie aufge- nommen wird, hat ebenſo ihr finſteres Schickſal nicht nur in ihrer eige- nen Sphäre, durch die Deſpotie, ſondern auch durch die göttlichen Mächte; ſie ſchlagen ſinnlos ein, wie in Nal und Damajanti. Da nun aber auch dieſe Macht nur dürftig mit den Keimen der ſittlichen Idee ſchwanger, vielmehr dunkler Naturſchooß iſt, bleibt es im Tragiſchen überall bei der Form, die wir (§. 130) das Tragiſche als Geſetz des Univerſums nann- ten. Aber dieſe Form iſt hier ſelbſt nicht rein; ein blindes Geſetz darf herrſchend erſcheinen über das Blinde im Menſchen, ſeine Jugend, ſein Leben, ſein Glück, ſeine Schönheit, aber nicht über Geiſt und Willen in ihm, die doch im Orient irgendwie immer thätig erſcheinen, aber vom finſtern Schickſal grundlos miterdrückt werden. Hier iſt nur noch die Frage zu beantworten, ob eine ſo dualiſtiſche Phantaſie nicht weſentlich auch des Komiſchen mächtig ſein werde; allein es erhellt alsbald, daß dazu eine Freiheit des Bewußtſeins und daraus fließende wirkliche Ergrei- fung ſowohl als Verſöhnung des Widerſpruchs vorausgeſetzt iſt, die dieſer Weltanſchauung noch durchaus mangelt. Es tritt zwar hie und da her-
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gebunden erſcheint. In der Kunſtlehre dürfen wir nur die Schlußfolge-
rung daraus pflücken, ſo wird einleuchten, daß die eigentliche Kunſt der
orientaliſchen Völker die Baukunſt war. Die dichtende Phantaſie nun muß,
weil ſie alle andern Arten (§. 404) in ſich begreift, natürlich auf allen
Stufen hervortreten; das Verhältniß wird aber dieß ſein, daß je die
Art, welche den Standpunkt einer Stufe beſtimmt, in der dichtenden,
ſoweit ſich dieſelbe in ſie erſtreckt, den ſpezifiſchen Charakter bedingt. Es
verſteht ſich ferner, daß, an die Arten von §. 402 gehalten, die ſymboliſche
Phantaſie weſentlich eine erhabene ſein muß, denn das Bild iſt in ihr
als negativ gegen die Idee geſetzt (vergl. Hegel Aeſth. Th. 1. S. 392).
Freilich wird die Idee ſelbſt wieder als ſinnliche Ausdehnung gefaßt, dieſe
Phantaſie als meſſende bildet daher zunächſt im Sinne des Erhabenen
des Raums und der Zeit (§. 91 — 94), zwar auch des Erhabenen der
Kraft, doch ſo, daß ſie dieſes unter die Verhältniſſe des erſteren ſtellt,
indem ſie es in coloſſale Raum- und Zahlen-Maaße ſetzt. Auch ſo weit
ſie auf das Erhabene des Subjects ſich einläßt, woraus Göttergeſtalt und
Heroenſage entſteht, muß ſie, weil ihr die ſittliche oder überhaupt
geiſtige Größe immer wieder Naturmacht iſt, es unter denſelben Verhält-
niſſen anſchauen: der Gott, König, Held iſt immer von übermenſchlicher
Größe u. ſ. w. Das Tragiſche muß in dieſer Phantaſie eine große Rolle
ſpielen. Da auch die perſönlichen Götter nur flüchtige Schattenbilder
vereinzelter Momente der Idee ſind, ſo haben ſie, was Götter eigentlich
nicht haben ſollten, ein Schickſal, das dunkle Urweſen iſt ihr Deſpot
(Götterdämmerung und die verwandten Vorſtellungen des Orients). Sie
kämpfen tragiſch unter ſich. Die Menſchenwelt aber, ſoweit ſie aufge-
nommen wird, hat ebenſo ihr finſteres Schickſal nicht nur in ihrer eige-
nen Sphäre, durch die Deſpotie, ſondern auch durch die göttlichen Mächte;
ſie ſchlagen ſinnlos ein, wie in Nal und Damajanti. Da nun aber auch
dieſe Macht nur dürftig mit den Keimen der ſittlichen Idee ſchwanger,
vielmehr dunkler Naturſchooß iſt, bleibt es im Tragiſchen überall bei der
Form, die wir (§. 130) das Tragiſche als Geſetz des Univerſums nann-
ten. Aber dieſe Form iſt hier ſelbſt nicht rein; ein blindes Geſetz darf
herrſchend erſcheinen über das Blinde im Menſchen, ſeine Jugend, ſein
Leben, ſein Glück, ſeine Schönheit, aber nicht über Geiſt und Willen in
ihm, die doch im Orient irgendwie immer thätig erſcheinen, aber vom
finſtern Schickſal grundlos miterdrückt werden. Hier iſt nur noch die
Frage zu beantworten, ob eine ſo dualiſtiſche Phantaſie nicht weſentlich
auch des Komiſchen mächtig ſein werde; allein es erhellt alsbald, daß
dazu eine Freiheit des Bewußtſeins und daraus fließende wirkliche Ergrei-
fung ſowohl als Verſöhnung des Widerſpruchs vorausgeſetzt iſt, die dieſer
Weltanſchauung noch durchaus mangelt. Es tritt zwar hie und da her-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/143>, abgerufen am 16.02.2025.
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