Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.sie in das Gebiet der dichtenden tritt, in Häufung der Vergleichungen- 1. Wären wir in einem rein ästhetischen Gebiete, so hätten wir die ſie in das Gebiet der dichtenden tritt, in Häufung der Vergleichungen- 1. Wären wir in einem rein äſthetiſchen Gebiete, ſo hätten wir die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <pb facs="#f0142" n="428"/> <hi rendition="#fr">ſie in das Gebiet der <hi rendition="#g">dichtenden</hi> tritt, in Häufung der <hi rendition="#g">Vergleichungen-<lb/> der</hi> Dualiſmus im Sinne von §. 429 wirſt ſie aus allem Maaß hinaus in das<lb/> Weite einer ſchweifenden, verſchwimmenden Geſtaltenbildung. Aus beiden Gründen<lb/> iſt ihre Welt ebenſo ungemeſſen, als gemeſſen, und artet vom zufällig gefundenen<lb/> Schönen <hi rendition="#g">traumartig</hi> (§. 406) in’s Häßliche und Abgeſchmachte aus. In<lb/><note place="left">3</note>allen ihren Formen aber bleibt ſie <hi rendition="#g">dunkel</hi>. Zugleich hindert die Unfreiheit<lb/> den Fortſchritt und feſſelt die unreife Geſtalt durch die Satzung als Typus.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">1. Wären wir in einem rein äſthetiſchen Gebiete, ſo hätten wir die<lb/> Gegenſätze des genannten Dualiſmus ſogleich auf äſthetiſche Formen redu-<lb/> ziren müſſen. Bei dem dunkeln Urweſen hätte die Frage nach dem Tra-<lb/> giſchen zur Sprache kommen müſſen, die Gegenſätze in der Götterwelt<lb/> hätten auf männliche oder weibliche Idealbildung, gut und bös auf ſchön<lb/> und häßlich geführt. Allein was immer der Inhalt ſei, die Behandlung<lb/> bleibt ſymboliſch und da kann das Gute ebenſo häßlich erſcheinen, als das<lb/> Böſe. Das Geſtaltenbilden iſt zwar dieſer Phantaſie ein ganzer Ernſt,<lb/> ſie hat die Wahrheit nicht auf andere Weiſe; aber es iſt ihr damit auch<lb/> zu ſehr Ernſt, ſie hat dabei das Intereſſe, die Wahrheit zu finden, da-<lb/> her iſt ihr das Schöne nicht Zweck. Wir ziehen jetzt das Reſultat dieſer<lb/> Stufe der Phantaſie für den rein äſthetiſchen Geſichtspunkt, indem wir<lb/> dieſelbe, nachdem wir ſie zuerſt an die in §. 403 aufgeſtellten Arten ge-<lb/> halten haben, nun auch an die übrigen halten. Daß ſie überhaupt bil-<lb/> dend iſt, braucht keines neuen Beweiſes. Der ſinnliche Menſch iſt weſent-<lb/> lich auf das Auge geſtellt und die ganze Naturreligion iſt ein Augen-<lb/> Aufſchlagen über die großen Naturwunder. Nur an der Grenzſcheide<lb/> wird ſich uns ein ſubjectiver Eingang in’s Innere und daher die Geſtalt<lb/> der empfindenden Phantaſie aufthun. Allein nicht auf das taſtende Sehen<lb/> wird dieſe Weltanſchauung organiſirt ſein: dieſes iſt ſchon voll Formſinns<lb/> und zwar vorzüglich für die menſchliche Geſtalt, welche ja nur ſehr kärg-<lb/> lich von der orientaliſchen Phantaſie unter die Sphären ihres Stoffs ge-<lb/> zogen wird; noch weniger auf jenes eigentliche Sehen, das im Licht- und<lb/> Farbenſchein der Oberfläche den Reflex des Innern erfaßt. Nur das<lb/> meſſende Sehen bleibt alſo übrig. Nicht organiſche Verhältniſſe, ſondern<lb/> Größen-Verhältniſſe ſind es, was die ſymboliſche Phantaſie erfaßt und<lb/> fortbildet. Der Umfang imponirt dem Naturmenſchen, das Weite, Breite,<lb/> Hohe in der Wirkung der Naturkräfte. Nun muß aber ſeine Phantaſie<lb/> auch thätig ſein und dieſe Thätigkeit iſt im Schaffen immer zugleich be-<lb/> grenzend. Der ſymboliſche Standpunkt zwängt aber in das Bild eine<lb/> ihm fremde Idee; dieſe kann jenes nicht organiſch beſeelend durchdringen,<lb/> ſie kann ihm nur abſtracte Grenzen geben und es ſo binden, wie die<lb/> tropiſche Pflanzenwelt (§. 278) nach der einen Seite kryſtalliſch ſtreng<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [428/0142]
ſie in das Gebiet der dichtenden tritt, in Häufung der Vergleichungen-
der Dualiſmus im Sinne von §. 429 wirſt ſie aus allem Maaß hinaus in das
Weite einer ſchweifenden, verſchwimmenden Geſtaltenbildung. Aus beiden Gründen
iſt ihre Welt ebenſo ungemeſſen, als gemeſſen, und artet vom zufällig gefundenen
Schönen traumartig (§. 406) in’s Häßliche und Abgeſchmachte aus. In
allen ihren Formen aber bleibt ſie dunkel. Zugleich hindert die Unfreiheit
den Fortſchritt und feſſelt die unreife Geſtalt durch die Satzung als Typus.
1. Wären wir in einem rein äſthetiſchen Gebiete, ſo hätten wir die
Gegenſätze des genannten Dualiſmus ſogleich auf äſthetiſche Formen redu-
ziren müſſen. Bei dem dunkeln Urweſen hätte die Frage nach dem Tra-
giſchen zur Sprache kommen müſſen, die Gegenſätze in der Götterwelt
hätten auf männliche oder weibliche Idealbildung, gut und bös auf ſchön
und häßlich geführt. Allein was immer der Inhalt ſei, die Behandlung
bleibt ſymboliſch und da kann das Gute ebenſo häßlich erſcheinen, als das
Böſe. Das Geſtaltenbilden iſt zwar dieſer Phantaſie ein ganzer Ernſt,
ſie hat die Wahrheit nicht auf andere Weiſe; aber es iſt ihr damit auch
zu ſehr Ernſt, ſie hat dabei das Intereſſe, die Wahrheit zu finden, da-
her iſt ihr das Schöne nicht Zweck. Wir ziehen jetzt das Reſultat dieſer
Stufe der Phantaſie für den rein äſthetiſchen Geſichtspunkt, indem wir
dieſelbe, nachdem wir ſie zuerſt an die in §. 403 aufgeſtellten Arten ge-
halten haben, nun auch an die übrigen halten. Daß ſie überhaupt bil-
dend iſt, braucht keines neuen Beweiſes. Der ſinnliche Menſch iſt weſent-
lich auf das Auge geſtellt und die ganze Naturreligion iſt ein Augen-
Aufſchlagen über die großen Naturwunder. Nur an der Grenzſcheide
wird ſich uns ein ſubjectiver Eingang in’s Innere und daher die Geſtalt
der empfindenden Phantaſie aufthun. Allein nicht auf das taſtende Sehen
wird dieſe Weltanſchauung organiſirt ſein: dieſes iſt ſchon voll Formſinns
und zwar vorzüglich für die menſchliche Geſtalt, welche ja nur ſehr kärg-
lich von der orientaliſchen Phantaſie unter die Sphären ihres Stoffs ge-
zogen wird; noch weniger auf jenes eigentliche Sehen, das im Licht- und
Farbenſchein der Oberfläche den Reflex des Innern erfaßt. Nur das
meſſende Sehen bleibt alſo übrig. Nicht organiſche Verhältniſſe, ſondern
Größen-Verhältniſſe ſind es, was die ſymboliſche Phantaſie erfaßt und
fortbildet. Der Umfang imponirt dem Naturmenſchen, das Weite, Breite,
Hohe in der Wirkung der Naturkräfte. Nun muß aber ſeine Phantaſie
auch thätig ſein und dieſe Thätigkeit iſt im Schaffen immer zugleich be-
grenzend. Der ſymboliſche Standpunkt zwängt aber in das Bild eine
ihm fremde Idee; dieſe kann jenes nicht organiſch beſeelend durchdringen,
ſie kann ihm nur abſtracte Grenzen geben und es ſo binden, wie die
tropiſche Pflanzenwelt (§. 278) nach der einen Seite kryſtalliſch ſtreng
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