mit Inbegriff des, obwohl noch unreifen, menschlich sittlichen Gehalts in ihm zu finden, als die Gestalten der bewußtlosen Natur, so macht sich der Dualis- mus dieser ganzen Lebensform als symbolisches Verfahren der Phantasie geltend. Das Symbol ist ein Bild, welches für die bewußtlos verwechselnde Phantasie durch das äußerliche Band eines bloßen Vergleichungspunkts eine an- dere, als die ihm wirklich inwohnende Idee ausdrückt.
1. In der Anm. 1 zum vorhergehenden §. wurde gesagt, daß auch für die Bildung menschlich gestalteter sittlich bedeutungsvoller Götter die Erscheinungen der bewußtlosen Natur, von deren Auffassung und Erhe- bung zu absoluter Bedeutung die Naturreligion ausgeht, noch die Grund- lage bleiben. Alle griechischen Götter tragen noch diese Reminiscenz an sich. Allein die Religion, die zur menschlichen Götterbildung fortschreitet und sie zu ihrem Mittelpunkte macht, nimmt dann doch noch einen zwei- ten Ansatz und setzt jene Grundlage zu einem bloßen Nachklang herab; die orientalische Religion aber bleibt auf jener Grundlage stehen und er- hebt sich, wie sich im folg[.] §. zeigen wird, nur halb zu dem genannten zweiten Ansatz. Man kann die Sache sehr einfach so ausdrücken: alle Religion sucht einen Ausdruck für das Allgemeine, Herrschende, Ueber- greifende. Um nun dieses als geistige Macht in der menschlichen Gestalt als wirklich anzuschauen, dazu ist dem sinnlichen Auge des Orien- talen der Mensch zu klein; der Himmel, das Licht, die Luft, die Berge, die Wasser, die Bäume, die Thiere sind umspannend, umwehend, über- strahlend, überragend, Alles nährend, weitschattend, stark und in ein Dunkel des Instincts gebannt, das auf einen geheimnißvollen Abgrund hinweist; der Mensch scheint dagegen ein geringer und schwacher Punkt, er hat alles Leben und Gedeihen erst von den allgemeinen Naturmächten zu empfangen und seine Reflexion, sein Wille ist nichtig gegen diese dun- keln Mächte. Wohl ist Gefühl des Guten, der sittlichen Sphären da, wohl sucht die Phantasie eine Form, worin sie auch diesen Gehalt nie- derlege; aber die sittliche Ordnung hat ja selbst Naturbedingungen zur Voraussetzung; der Staat ruht auf dem Ackerbau, dieser hängt von Wind und Wetter ab: diese Beziehung ist die erste, welche den Naturvölkern in's Auge fällt, und so liegt es ihnen z. B., um eine mythische Form zu anticipiren, ganz nahe, den Gott des Firmaments zum Gründer der Staa- ten zu machen. Fast könnte man sagen, das Wetter sei überhaupt der Gott der ältesten Naturreligion. Doch es ist jetzt noch nicht von Göttern die Rede; genug, die Phantasie der Völker, deren Lebensform noch un- persönlich genannt werden muß, denen die ethische Einheit noch abgeht, wird nach den Erscheinungen der unpersönlichen Natur greifen, also zur landschaftlichen und organischen thierischen Art der Phantasie (§. 403)
mit Inbegriff des, obwohl noch unreifen, menſchlich ſittlichen Gehalts in ihm zu finden, als die Geſtalten der bewußtloſen Natur, ſo macht ſich der Dualiſ- mus dieſer ganzen Lebensform als ſymboliſches Verfahren der Phantaſie geltend. Das Symbol iſt ein Bild, welches für die bewußtlos verwechſelnde Phantaſie durch das äußerliche Band eines bloßen Vergleichungspunkts eine an- dere, als die ihm wirklich inwohnende Idee ausdrückt.
1. In der Anm. 1 zum vorhergehenden §. wurde geſagt, daß auch für die Bildung menſchlich geſtalteter ſittlich bedeutungsvoller Götter die Erſcheinungen der bewußtloſen Natur, von deren Auffaſſung und Erhe- bung zu abſoluter Bedeutung die Naturreligion ausgeht, noch die Grund- lage bleiben. Alle griechiſchen Götter tragen noch dieſe Reminiſcenz an ſich. Allein die Religion, die zur menſchlichen Götterbildung fortſchreitet und ſie zu ihrem Mittelpunkte macht, nimmt dann doch noch einen zwei- ten Anſatz und ſetzt jene Grundlage zu einem bloßen Nachklang herab; die orientaliſche Religion aber bleibt auf jener Grundlage ſtehen und er- hebt ſich, wie ſich im folg[.] §. zeigen wird, nur halb zu dem genannten zweiten Anſatz. Man kann die Sache ſehr einfach ſo ausdrücken: alle Religion ſucht einen Ausdruck für das Allgemeine, Herrſchende, Ueber- greifende. Um nun dieſes als geiſtige Macht in der menſchlichen Geſtalt als wirklich anzuſchauen, dazu iſt dem ſinnlichen Auge des Orien- talen der Menſch zu klein; der Himmel, das Licht, die Luft, die Berge, die Waſſer, die Bäume, die Thiere ſind umſpannend, umwehend, über- ſtrahlend, überragend, Alles nährend, weitſchattend, ſtark und in ein Dunkel des Inſtincts gebannt, das auf einen geheimnißvollen Abgrund hinweist; der Menſch ſcheint dagegen ein geringer und ſchwacher Punkt, er hat alles Leben und Gedeihen erſt von den allgemeinen Naturmächten zu empfangen und ſeine Reflexion, ſein Wille iſt nichtig gegen dieſe dun- keln Mächte. Wohl iſt Gefühl des Guten, der ſittlichen Sphären da, wohl ſucht die Phantaſie eine Form, worin ſie auch dieſen Gehalt nie- derlege; aber die ſittliche Ordnung hat ja ſelbſt Naturbedingungen zur Vorausſetzung; der Staat ruht auf dem Ackerbau, dieſer hängt von Wind und Wetter ab: dieſe Beziehung iſt die erſte, welche den Naturvölkern in’s Auge fällt, und ſo liegt es ihnen z. B., um eine mythiſche Form zu anticipiren, ganz nahe, den Gott des Firmaments zum Gründer der Staa- ten zu machen. Faſt könnte man ſagen, das Wetter ſei überhaupt der Gott der älteſten Naturreligion. Doch es iſt jetzt noch nicht von Göttern die Rede; genug, die Phantaſie der Völker, deren Lebensform noch un- perſönlich genannt werden muß, denen die ethiſche Einheit noch abgeht, wird nach den Erſcheinungen der unperſönlichen Natur greifen, alſo zur landſchaftlichen und organiſchen thieriſchen Art der Phantaſie (§. 403)
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mit Inbegriff des, obwohl noch unreifen, menſchlich ſittlichen Gehalts in ihm
zu finden, als die Geſtalten der bewußtloſen Natur, ſo macht ſich der Dualiſ-
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geltend. Das Symbol iſt ein Bild, welches für die bewußtlos verwechſelnde
Phantaſie durch das äußerliche Band eines bloßen Vergleichungspunkts eine an-
dere, als die ihm wirklich inwohnende Idee ausdrückt.
1. In der Anm. 1 zum vorhergehenden §. wurde geſagt, daß auch
für die Bildung menſchlich geſtalteter ſittlich bedeutungsvoller Götter die
Erſcheinungen der bewußtloſen Natur, von deren Auffaſſung und Erhe-
bung zu abſoluter Bedeutung die Naturreligion ausgeht, noch die Grund-
lage bleiben. Alle griechiſchen Götter tragen noch dieſe Reminiſcenz an
ſich. Allein die Religion, die zur menſchlichen Götterbildung fortſchreitet
und ſie zu ihrem Mittelpunkte macht, nimmt dann doch noch einen zwei-
ten Anſatz und ſetzt jene Grundlage zu einem bloßen Nachklang herab;
die orientaliſche Religion aber bleibt auf jener Grundlage ſtehen und er-
hebt ſich, wie ſich im folg. §. zeigen wird, nur halb zu dem genannten
zweiten Anſatz. Man kann die Sache ſehr einfach ſo ausdrücken: alle
Religion ſucht einen Ausdruck für das Allgemeine, Herrſchende, Ueber-
greifende. Um nun dieſes als geiſtige Macht in der menſchlichen Geſtalt
als wirklich anzuſchauen, dazu iſt dem ſinnlichen Auge des Orien-
talen der Menſch zu klein; der Himmel, das Licht, die Luft, die Berge,
die Waſſer, die Bäume, die Thiere ſind umſpannend, umwehend, über-
ſtrahlend, überragend, Alles nährend, weitſchattend, ſtark und in ein
Dunkel des Inſtincts gebannt, das auf einen geheimnißvollen Abgrund
hinweist; der Menſch ſcheint dagegen ein geringer und ſchwacher Punkt,
er hat alles Leben und Gedeihen erſt von den allgemeinen Naturmächten
zu empfangen und ſeine Reflexion, ſein Wille iſt nichtig gegen dieſe dun-
keln Mächte. Wohl iſt Gefühl des Guten, der ſittlichen Sphären da,
wohl ſucht die Phantaſie eine Form, worin ſie auch dieſen Gehalt nie-
derlege; aber die ſittliche Ordnung hat ja ſelbſt Naturbedingungen zur
Vorausſetzung; der Staat ruht auf dem Ackerbau, dieſer hängt von Wind
und Wetter ab: dieſe Beziehung iſt die erſte, welche den Naturvölkern
in’s Auge fällt, und ſo liegt es ihnen z. B., um eine mythiſche Form zu
anticipiren, ganz nahe, den Gott des Firmaments zum Gründer der Staa-
ten zu machen. Faſt könnte man ſagen, das Wetter ſei überhaupt der
Gott der älteſten Naturreligion. Doch es iſt jetzt noch nicht von Göttern
die Rede; genug, die Phantaſie der Völker, deren Lebensform noch un-
perſönlich genannt werden muß, denen die ethiſche Einheit noch abgeht,
wird nach den Erſcheinungen der unperſönlichen Natur greifen, alſo zur
landſchaftlichen und organiſchen thieriſchen Art der Phantaſie (§. 403)
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/131>, abgerufen am 27.07.2024.
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