schnell zur Fertigkeit steigenden Leichtigkeit so geübt wird, daß der Gehalt im reinen Scheine der Form zwar nicht fehlt, aber nicht selbstthätig, sondern durch Anempfindung an fremde Selbstthätigkeit erzeugt wird. In diesem Sinne trennt sich der Gehalt von der Form und tritt eine isolirte Gabe für die Tech- nik der Phantasie auf. Diese isolirte Gabe der Technik der Phantasie ist das Talent. Es folgt nachahmend der vollen Phantasie in alle ihre Formen, ohne eine neue zu schuffen, bewegt sich an der Oberfläche, und die Mängel und Fehler, die ihm vorzüglich nahe liegen, sind die der Einbildungskraft.
Die Bezeichnung Talent brauchen wir hier in dem Sinne, den sie hat, wenn man von Jemand sagt: er ist ein Talent. Hegel (Aest. Th. 1, S. 365) und Andere verstehen unter Talent die besondere Befähigung zur Ausübung eines Kunstzweigs; das Genie soll demnach einen Umfang von Talenten haben, aber ein bloßes Talent es nur in einer ganz ver- einzelten Seite der Kunst zu etwas Tüchtigem bringen können. Versteht man unter einer solchen vereinzelten Seite nur einen Theil der Technik eines einzelnen Kunstzweigs, z. B. in der Malerei nur die Zeichnung oder nur die Farbengebung oder nur eine Art derselben, wie Auftrag al fresco oder in Oel, so ist dieß gewiß falsch, denn Mancher ist nur ein Talent und doch sowohl in verschiedenen Arten des Farbenauftrags, als auch im Zeichnen durch natürliche Begabung gewandt. Es kann dagegen ein Genie auf einen, zwar verschiedene technische Bedingungen umfassen- den, aber doch vereinzelten Kunstzweig beschränkt und doch in ihm ganz Genie sein. So war Mich. Angelo in mancherlei Kunstzweigen thätig, wahrhaft groß aber nur in der Malerei und wieder nicht in mehreren Zweigen derselben, sondern nur in der Freske, im Grund also war er Genie wesentlich als großer Zeichner. Das Talent kann vielmehr gerade in der Technik mehrerer ganzer Zweige einer Kunst gewandt sein, nur ist es in keiner groß. Wilh. Schlegel bewegte sich mit Leichtigkeit in ver- schiedenen Formen der Dichtkunst und war doch nur Talent. Da nun Talent und Genie auf dem Boden der Technik nicht gemessen werden können, so müssen wir uns auf einen ganz anderen Boden begeben. Ohnedieß sind wir noch gar nicht an der Ausübung, der Ausführung des Ideals in einem Material, vielmehr noch im Gebiete des Ideals als innern Phantasiebildes; die äußere Technik hat eine lernbare und eine nicht lernbare Seite, das Talent leistet etwas nicht blos in der lernbaren (dann wäre es blos mechanisches Geschick), sondern auch in der nicht lernbaren, aber was es darin leistet, ist toto genere von der Leistung des Genies verschieden. Da muß also der Grund in der innern Conception liegen und von dieser, gleichgiltig zunächst, wie weit die Aus- dehnung über Kunstzweige (für uns vorläufig noch Arten der Phantasie)
ſchnell zur Fertigkeit ſteigenden Leichtigkeit ſo geübt wird, daß der Gehalt im reinen Scheine der Form zwar nicht fehlt, aber nicht ſelbſtthätig, ſondern durch Anempfindung an fremde Selbſtthätigkeit erzeugt wird. In dieſem Sinne trennt ſich der Gehalt von der Form und tritt eine iſolirte Gabe für die Tech- nik der Phantaſie auf. Dieſe iſolirte Gabe der Technik der Phantaſie iſt das Talent. Es folgt nachahmend der vollen Phantaſie in alle ihre Formen, ohne eine neue zu ſchuffen, bewegt ſich an der Oberfläche, und die Mängel und Fehler, die ihm vorzüglich nahe liegen, ſind die der Einbildungskraft.
Die Bezeichnung Talent brauchen wir hier in dem Sinne, den ſie hat, wenn man von Jemand ſagt: er iſt ein Talent. Hegel (Aeſt. Th. 1, S. 365) und Andere verſtehen unter Talent die beſondere Befähigung zur Ausübung eines Kunſtzweigs; das Genie ſoll demnach einen Umfang von Talenten haben, aber ein bloßes Talent es nur in einer ganz ver- einzelten Seite der Kunſt zu etwas Tüchtigem bringen können. Verſteht man unter einer ſolchen vereinzelten Seite nur einen Theil der Technik eines einzelnen Kunſtzweigs, z. B. in der Malerei nur die Zeichnung oder nur die Farbengebung oder nur eine Art derſelben, wie Auftrag al fresco oder in Oel, ſo iſt dieß gewiß falſch, denn Mancher iſt nur ein Talent und doch ſowohl in verſchiedenen Arten des Farbenauftrags, als auch im Zeichnen durch natürliche Begabung gewandt. Es kann dagegen ein Genie auf einen, zwar verſchiedene techniſche Bedingungen umfaſſen- den, aber doch vereinzelten Kunſtzweig beſchränkt und doch in ihm ganz Genie ſein. So war Mich. Angelo in mancherlei Kunſtzweigen thätig, wahrhaft groß aber nur in der Malerei und wieder nicht in mehreren Zweigen derſelben, ſondern nur in der Freske, im Grund alſo war er Genie weſentlich als großer Zeichner. Das Talent kann vielmehr gerade in der Technik mehrerer ganzer Zweige einer Kunſt gewandt ſein, nur iſt es in keiner groß. Wilh. Schlegel bewegte ſich mit Leichtigkeit in ver- ſchiedenen Formen der Dichtkunſt und war doch nur Talent. Da nun Talent und Genie auf dem Boden der Technik nicht gemeſſen werden können, ſo müſſen wir uns auf einen ganz anderen Boden begeben. Ohnedieß ſind wir noch gar nicht an der Ausübung, der Ausführung des Ideals in einem Material, vielmehr noch im Gebiete des Ideals als innern Phantaſiebildes; die äußere Technik hat eine lernbare und eine nicht lernbare Seite, das Talent leiſtet etwas nicht blos in der lernbaren (dann wäre es blos mechaniſches Geſchick), ſondern auch in der nicht lernbaren, aber was es darin leiſtet, iſt toto genere von der Leiſtung des Genies verſchieden. Da muß alſo der Grund in der innern Conception liegen und von dieſer, gleichgiltig zunächſt, wie weit die Aus- dehnung über Kunſtzweige (für uns vorläufig noch Arten der Phantaſie)
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ſchnell zur Fertigkeit ſteigenden Leichtigkeit ſo geübt wird, daß der Gehalt
im reinen Scheine der Form zwar nicht fehlt, aber nicht ſelbſtthätig, ſondern
durch Anempfindung an fremde Selbſtthätigkeit erzeugt wird. In dieſem Sinne
trennt ſich der Gehalt von der Form und tritt eine iſolirte Gabe für die Tech-
nik der Phantaſie auf. Dieſe iſolirte Gabe der Technik der Phantaſie iſt das
Talent. Es folgt nachahmend der vollen Phantaſie in alle ihre Formen,
ohne eine neue zu ſchuffen, bewegt ſich an der Oberfläche, und die Mängel und
Fehler, die ihm vorzüglich nahe liegen, ſind die der Einbildungskraft.
Die Bezeichnung Talent brauchen wir hier in dem Sinne, den ſie
hat, wenn man von Jemand ſagt: er iſt ein Talent. Hegel (Aeſt. Th.
1, S. 365) und Andere verſtehen unter Talent die beſondere Befähigung
zur Ausübung eines Kunſtzweigs; das Genie ſoll demnach einen Umfang
von Talenten haben, aber ein bloßes Talent es nur in einer ganz ver-
einzelten Seite der Kunſt zu etwas Tüchtigem bringen können. Verſteht
man unter einer ſolchen vereinzelten Seite nur einen Theil der Technik
eines einzelnen Kunſtzweigs, z. B. in der Malerei nur die Zeichnung
oder nur die Farbengebung oder nur eine Art derſelben, wie Auftrag al
fresco oder in Oel, ſo iſt dieß gewiß falſch, denn Mancher iſt nur ein
Talent und doch ſowohl in verſchiedenen Arten des Farbenauftrags, als
auch im Zeichnen durch natürliche Begabung gewandt. Es kann dagegen
ein Genie auf einen, zwar verſchiedene techniſche Bedingungen umfaſſen-
den, aber doch vereinzelten Kunſtzweig beſchränkt und doch in ihm ganz
Genie ſein. So war Mich. Angelo in mancherlei Kunſtzweigen thätig,
wahrhaft groß aber nur in der Malerei und wieder nicht in mehreren
Zweigen derſelben, ſondern nur in der Freske, im Grund alſo war er
Genie weſentlich als großer Zeichner. Das Talent kann vielmehr gerade
in der Technik mehrerer ganzer Zweige einer Kunſt gewandt ſein, nur
iſt es in keiner groß. Wilh. Schlegel bewegte ſich mit Leichtigkeit in ver-
ſchiedenen Formen der Dichtkunſt und war doch nur Talent. Da nun
Talent und Genie auf dem Boden der Technik nicht gemeſſen werden
können, ſo müſſen wir uns auf einen ganz anderen Boden begeben.
Ohnedieß ſind wir noch gar nicht an der Ausübung, der Ausführung
des Ideals in einem Material, vielmehr noch im Gebiete des Ideals
als innern Phantaſiebildes; die äußere Technik hat eine lernbare und
eine nicht lernbare Seite, das Talent leiſtet etwas nicht blos in der
lernbaren (dann wäre es blos mechaniſches Geſchick), ſondern auch in
der nicht lernbaren, aber was es darin leiſtet, iſt toto genere von der
Leiſtung des Genies verſchieden. Da muß alſo der Grund in der innern
Conception liegen und von dieſer, gleichgiltig zunächſt, wie weit die Aus-
dehnung über Kunſtzweige (für uns vorläufig noch Arten der Phantaſie)
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/103>, abgerufen am 16.02.2025.
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