Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
im vollen Umfange zu fassen, auch Körper von freier Bewegung nicht 2. Es ist bekanntlich schwer, Wolken zu zeichnen. Es kommen hier §. 256. Die furchtbarste Lufterscheinung ist durch Finsterniß und grelle Beleuchtung Es darf nicht überflüssig scheinen, daß neben dem Gewitter auch der
im vollen Umfange zu faſſen, auch Körper von freier Bewegung nicht 2. Es iſt bekanntlich ſchwer, Wolken zu zeichnen. Es kommen hier §. 256. Die furchtbarſte Lufterſcheinung iſt durch Finſterniß und grelle Beleuchtung Es darf nicht überflüſſig ſcheinen, daß neben dem Gewitter auch der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0070" n="58"/> im vollen Umfange zu faſſen, auch Körper von freier Bewegung nicht<lb/> auszuſchließen, ſofern der Sturm durch ſeinen ſtärkeren Stoß dieſe aufhebt,<lb/> und ſo erſt erſcheinen die ungeheuren Wirkungen desſelben in ihrer ganzen<lb/> Macht. Der Sturm überwältigt zwar leichter menſchlichen Widerſtand als<lb/> maſſenhafte Laſten; aber die menſchliche Intelligenz nimmt die letzteren in<lb/> ihren Dienſt und daß ſie ſammt dieſen der Sturmgewalt weichen muß,<lb/> welcher doch zugleich ſelbſt etwas wie menſchlicher Zorn geliehen wird, iſt<lb/> doppelt furchtbar.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">2. Es iſt bekanntlich ſchwer, Wolken zu zeichnen. Es kommen hier<lb/> ſchon alle Linien vor, aber jede unbeſtimmt und zerfließend. Doch ſieht<lb/> man die ſpezifiſche Wirkung des Eintritts von Linien und Formen ſogleich<lb/> daraus, daß es nahe liegt, in den Wolken Geſtalten von Bergen, Thieren,<lb/> Menſchen zu ſehen und daß dieſes Spiel ſogar bereits Anknüpfungspunkte<lb/> des Komiſchen gibt. Verſchieden iſt der Eindruck ruhig ſchwebender und<lb/> bewegt hinziehender Wolken. Die äſthetiſche Wirkung beruht jedoch ungleich<lb/> weniger auf Form und Bewegung, als auf der damit zuſammenwirkenden<lb/> Beleuchtung und Farbe. Erſt durch ihren ſilbernen oder roſigen, gelben,<lb/> hochrothen Glanz, durch ihre tiefe Schwärze, bläulich gelbliche, ſchweflichte,<lb/> undurchſichtige Farbe wird die Wolke äſthetiſch bedeutend. Der Cumulus<lb/> von Wetterwolken iſt wohl ſchon als Maſſe furchtbar und drohend, aber<lb/> doch nicht ohne die ſchweren Farben und Schatten. Phantaſtiſch erſcheinen<lb/> zerriſſene Wolken, durch welche farbiges Sonnen- oder Mondlicht bricht,<lb/> beſonders reizend iſt der Silberſaum an der dunkeln Wolke.</hi> </p> </div><lb/> <div n="5"> <head>§. 256.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Die furchtbarſte Lufterſcheinung iſt durch Finſterniß und grelle Beleuchtung<lb/> des Blitzes, Gewalt des Sturmes und Tones, Ergüſſe des Regens und Hagels<lb/> das Gewitter. Der mildere Regen wirkt erfriſchend, der anhaltend verbreitete<lb/> niederſchlagend. Glänzender Schmuck iſt der Thau. Der Schnee erregt in<lb/> dem Ausdruck von Kälte und Erſtorbenheit, den er der Landſchaft gibt, unter<lb/> gewiſſen Umſtänden und Gegenſätzen doch ein Gefühl kräftiger Anſpannung,<lb/> ſelbſt Heiterkeit.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Es darf nicht überflüſſig ſcheinen, daß neben dem Gewitter auch der<lb/> Regen erwähnt iſt; nicht umſonſt haben ihn Landſchaftmaler, Genre- und<lb/> Geſchichts-Maler in allen Formen nachgeahmt, um einer Gegend einen<lb/> beſtimmten Ausdruck, menſchlichen Zuſtänden und Thaten einen Hintergrund<lb/> von beſtimmter Stimmung zu geben. Ebenſo wirkſam iſt der ſchwüle Ton der<lb/> Luft vor dem Regen, der wäßrig dünne während des Regens an offenen<lb/> Stellen, der erfriſchte nach demſelben. Auch der trübſelige Landregen kann zu<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [58/0070]
im vollen Umfange zu faſſen, auch Körper von freier Bewegung nicht
auszuſchließen, ſofern der Sturm durch ſeinen ſtärkeren Stoß dieſe aufhebt,
und ſo erſt erſcheinen die ungeheuren Wirkungen desſelben in ihrer ganzen
Macht. Der Sturm überwältigt zwar leichter menſchlichen Widerſtand als
maſſenhafte Laſten; aber die menſchliche Intelligenz nimmt die letzteren in
ihren Dienſt und daß ſie ſammt dieſen der Sturmgewalt weichen muß,
welcher doch zugleich ſelbſt etwas wie menſchlicher Zorn geliehen wird, iſt
doppelt furchtbar.
2. Es iſt bekanntlich ſchwer, Wolken zu zeichnen. Es kommen hier
ſchon alle Linien vor, aber jede unbeſtimmt und zerfließend. Doch ſieht
man die ſpezifiſche Wirkung des Eintritts von Linien und Formen ſogleich
daraus, daß es nahe liegt, in den Wolken Geſtalten von Bergen, Thieren,
Menſchen zu ſehen und daß dieſes Spiel ſogar bereits Anknüpfungspunkte
des Komiſchen gibt. Verſchieden iſt der Eindruck ruhig ſchwebender und
bewegt hinziehender Wolken. Die äſthetiſche Wirkung beruht jedoch ungleich
weniger auf Form und Bewegung, als auf der damit zuſammenwirkenden
Beleuchtung und Farbe. Erſt durch ihren ſilbernen oder roſigen, gelben,
hochrothen Glanz, durch ihre tiefe Schwärze, bläulich gelbliche, ſchweflichte,
undurchſichtige Farbe wird die Wolke äſthetiſch bedeutend. Der Cumulus
von Wetterwolken iſt wohl ſchon als Maſſe furchtbar und drohend, aber
doch nicht ohne die ſchweren Farben und Schatten. Phantaſtiſch erſcheinen
zerriſſene Wolken, durch welche farbiges Sonnen- oder Mondlicht bricht,
beſonders reizend iſt der Silberſaum an der dunkeln Wolke.
§. 256.
Die furchtbarſte Lufterſcheinung iſt durch Finſterniß und grelle Beleuchtung
des Blitzes, Gewalt des Sturmes und Tones, Ergüſſe des Regens und Hagels
das Gewitter. Der mildere Regen wirkt erfriſchend, der anhaltend verbreitete
niederſchlagend. Glänzender Schmuck iſt der Thau. Der Schnee erregt in
dem Ausdruck von Kälte und Erſtorbenheit, den er der Landſchaft gibt, unter
gewiſſen Umſtänden und Gegenſätzen doch ein Gefühl kräftiger Anſpannung,
ſelbſt Heiterkeit.
Es darf nicht überflüſſig ſcheinen, daß neben dem Gewitter auch der
Regen erwähnt iſt; nicht umſonſt haben ihn Landſchaftmaler, Genre- und
Geſchichts-Maler in allen Formen nachgeahmt, um einer Gegend einen
beſtimmten Ausdruck, menſchlichen Zuſtänden und Thaten einen Hintergrund
von beſtimmter Stimmung zu geben. Ebenſo wirkſam iſt der ſchwüle Ton der
Luft vor dem Regen, der wäßrig dünne während des Regens an offenen
Stellen, der erfriſchte nach demſelben. Auch der trübſelige Landregen kann zu
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