der Luft. Dieselbe erfreut nicht nur durch das reine Lebensgefühl, das die lebendigen Wesen in ihrem allverbreiteten erhaltenden und labenden Elemente genießen, sondern sie vollendet diesen Eindruck auch für das Auge durch das schöne Blau, welches durch die Tiefe ihrer Schichte zur Erscheinung kommt. 2Diese Farbe, welche die Luft als trübes Medium annimmt, steigt nach dem Maaße der Entfernungen, nach Art der in einem Raume schwebenden Dünste spielt sie in's Graue, Gelbliche, Bräunliche; der verdunkelnde Schleier, welcher so sich bildet, verhüllt in dem Grade, in welchem die Gegenstände vom Zuschauer zurücktreten, ihre Form und Localfarben. Diese Wirkung der Luft heißt Luftperspective.
1. Es ist zunächst das allgemeine Lebensgefühl hervorgehoben, das die Luft erregt. Dieses scheint nicht ästhetisch, da es sich unmittelbar keinem der ästhetischen Sinne, nicht dem Auge, nicht dem Ohre darstellt. Allein es fehlt dennoch die erforderte Objectivität nicht; durch das eigene Gefühl der Labung, das wir in der Luft genießen, wird uns der allgemeine tonus, den alles Lebendige hat, was wir sehen, in seiner Ursache, den lebenbringenden Einflüssen der Luft klar; wir sehen die Geschöpfe athmen, wir sehen selbst der Pflanze an, daß sie Luft einsaugt. Hölderlin's Gedicht an den Aether. Wir sehen die Schlaffheit und Gedrücktheit aller Wesen in dumpfer, die Frische in gereinigter Luft und zwar noch abgesehen von dem Farbentone, der durch diese verschiedene Beschaffenheit der Luft bedingt ist. Von dem Blau als der Farbe, welche die erleuchtete Luftschichte über uns annimmt, war beispielsweise schon die Rede. Trotz ihrer verhältniß- mäßigen Armuth wirkt diese Farbe hier darum so positiv, weil sie vom Lichte durchdrungen und durchsichtig ist, ferner weil Auge und Gefühl als Gegensatz gegen die dichten Körper und ihre energische Farbe gerade die dünnere und passivere Farbe sucht; Auge und Sinn bedarf es, von der beschränkenden Strenge der individuellen Körper sich sanft angezogen in das "reizende Nichts" dieses Blau zu verlieren, sich in diesem widerstands- losen Elemente zu baden.
2. Die Luftperspective pflegt, wie das Colorit, von den Aesthetikern erst in der Lehre von der Malerei aufgeführt zu werden. Die Sache ist aber vorhanden vor dem Maler und ohne ihn und der wissenschaftliche Ausdruck für sie ist zwar erst von der Kunst gefunden worden, allein das versteht sich bei aller Naturschönheit, daß nicht sie selbst ihren Begriff und ihre Gesetze aussprechen kann. Erst die Luftperspective nun ist es, durch welche das Auge die Entfernungen der Dinge nach der Tiefe, ihren Abstand hintereinander zu messen vermag. Das Licht kann auch in den Mittel- oder Hintergrund einfallen, allein mag das Entferntere auch das vollere Licht haben, der Flor, den die dickere Luftschichte darüber zieht,
der Luft. Dieſelbe erfreut nicht nur durch das reine Lebensgefühl, das die lebendigen Weſen in ihrem allverbreiteten erhaltenden und labenden Elemente genießen, ſondern ſie vollendet dieſen Eindruck auch für das Auge durch das ſchöne Blau, welches durch die Tiefe ihrer Schichte zur Erſcheinung kommt. 2Dieſe Farbe, welche die Luft als trübes Medium annimmt, ſteigt nach dem Maaße der Entfernungen, nach Art der in einem Raume ſchwebenden Dünſte ſpielt ſie in’s Graue, Gelbliche, Bräunliche; der verdunkelnde Schleier, welcher ſo ſich bildet, verhüllt in dem Grade, in welchem die Gegenſtände vom Zuſchauer zurücktreten, ihre Form und Localfarben. Dieſe Wirkung der Luft heißt Luftperſpective.
1. Es iſt zunächſt das allgemeine Lebensgefühl hervorgehoben, das die Luft erregt. Dieſes ſcheint nicht äſthetiſch, da es ſich unmittelbar keinem der äſthetiſchen Sinne, nicht dem Auge, nicht dem Ohre darſtellt. Allein es fehlt dennoch die erforderte Objectivität nicht; durch das eigene Gefühl der Labung, das wir in der Luft genießen, wird uns der allgemeine tonus, den alles Lebendige hat, was wir ſehen, in ſeiner Urſache, den lebenbringenden Einflüſſen der Luft klar; wir ſehen die Geſchöpfe athmen, wir ſehen ſelbſt der Pflanze an, daß ſie Luft einſaugt. Hölderlin’s Gedicht an den Aether. Wir ſehen die Schlaffheit und Gedrücktheit aller Weſen in dumpfer, die Friſche in gereinigter Luft und zwar noch abgeſehen von dem Farbentone, der durch dieſe verſchiedene Beſchaffenheit der Luft bedingt iſt. Von dem Blau als der Farbe, welche die erleuchtete Luftſchichte über uns annimmt, war beiſpielsweiſe ſchon die Rede. Trotz ihrer verhältniß- mäßigen Armuth wirkt dieſe Farbe hier darum ſo poſitiv, weil ſie vom Lichte durchdrungen und durchſichtig iſt, ferner weil Auge und Gefühl als Gegenſatz gegen die dichten Körper und ihre energiſche Farbe gerade die dünnere und paſſivere Farbe ſucht; Auge und Sinn bedarf es, von der beſchränkenden Strenge der individuellen Körper ſich ſanft angezogen in das „reizende Nichts“ dieſes Blau zu verlieren, ſich in dieſem widerſtands- loſen Elemente zu baden.
2. Die Luftperſpective pflegt, wie das Colorit, von den Aeſthetikern erſt in der Lehre von der Malerei aufgeführt zu werden. Die Sache iſt aber vorhanden vor dem Maler und ohne ihn und der wiſſenſchaftliche Ausdruck für ſie iſt zwar erſt von der Kunſt gefunden worden, allein das verſteht ſich bei aller Naturſchönheit, daß nicht ſie ſelbſt ihren Begriff und ihre Geſetze ausſprechen kann. Erſt die Luftperſpective nun iſt es, durch welche das Auge die Entfernungen der Dinge nach der Tiefe, ihren Abſtand hintereinander zu meſſen vermag. Das Licht kann auch in den Mittel- oder Hintergrund einfallen, allein mag das Entferntere auch das vollere Licht haben, der Flor, den die dickere Luftſchichte darüber zieht,
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der Luft. Dieſelbe erfreut nicht nur durch das reine Lebensgefühl, das die
lebendigen Weſen in ihrem allverbreiteten erhaltenden und labenden Elemente
genießen, ſondern ſie vollendet dieſen Eindruck auch für das Auge durch das
ſchöne Blau, welches durch die Tiefe ihrer Schichte zur Erſcheinung kommt.
Dieſe Farbe, welche die Luft als trübes Medium annimmt, ſteigt nach dem
Maaße der Entfernungen, nach Art der in einem Raume ſchwebenden Dünſte
ſpielt ſie in’s Graue, Gelbliche, Bräunliche; der verdunkelnde Schleier, welcher
ſo ſich bildet, verhüllt in dem Grade, in welchem die Gegenſtände vom Zuſchauer
zurücktreten, ihre Form und Localfarben. Dieſe Wirkung der Luft heißt
Luftperſpective.
1. Es iſt zunächſt das allgemeine Lebensgefühl hervorgehoben, das
die Luft erregt. Dieſes ſcheint nicht äſthetiſch, da es ſich unmittelbar
keinem der äſthetiſchen Sinne, nicht dem Auge, nicht dem Ohre darſtellt.
Allein es fehlt dennoch die erforderte Objectivität nicht; durch das eigene
Gefühl der Labung, das wir in der Luft genießen, wird uns der allgemeine
tonus, den alles Lebendige hat, was wir ſehen, in ſeiner Urſache, den
lebenbringenden Einflüſſen der Luft klar; wir ſehen die Geſchöpfe athmen,
wir ſehen ſelbſt der Pflanze an, daß ſie Luft einſaugt. Hölderlin’s Gedicht
an den Aether. Wir ſehen die Schlaffheit und Gedrücktheit aller Weſen
in dumpfer, die Friſche in gereinigter Luft und zwar noch abgeſehen von
dem Farbentone, der durch dieſe verſchiedene Beſchaffenheit der Luft bedingt
iſt. Von dem Blau als der Farbe, welche die erleuchtete Luftſchichte über
uns annimmt, war beiſpielsweiſe ſchon die Rede. Trotz ihrer verhältniß-
mäßigen Armuth wirkt dieſe Farbe hier darum ſo poſitiv, weil ſie vom
Lichte durchdrungen und durchſichtig iſt, ferner weil Auge und Gefühl als
Gegenſatz gegen die dichten Körper und ihre energiſche Farbe gerade die
dünnere und paſſivere Farbe ſucht; Auge und Sinn bedarf es, von der
beſchränkenden Strenge der individuellen Körper ſich ſanft angezogen in
das „reizende Nichts“ dieſes Blau zu verlieren, ſich in dieſem widerſtands-
loſen Elemente zu baden.
2. Die Luftperſpective pflegt, wie das Colorit, von den Aeſthetikern
erſt in der Lehre von der Malerei aufgeführt zu werden. Die Sache iſt
aber vorhanden vor dem Maler und ohne ihn und der wiſſenſchaftliche
Ausdruck für ſie iſt zwar erſt von der Kunſt gefunden worden, allein das
verſteht ſich bei aller Naturſchönheit, daß nicht ſie ſelbſt ihren Begriff und
ihre Geſetze ausſprechen kann. Erſt die Luftperſpective nun iſt es, durch
welche das Auge die Entfernungen der Dinge nach der Tiefe, ihren
Abſtand hintereinander zu meſſen vermag. Das Licht kann auch in den
Mittel- oder Hintergrund einfallen, allein mag das Entferntere auch das
vollere Licht haben, der Flor, den die dickere Luftſchichte darüber zieht,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/68>, abgerufen am 16.07.2024.
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