wünschen können; die Farbe, die ihr paßt, ist, da ihre Gesichtsfarbe und Haare zusammen sich dem Orange nähern, Blau. Tritt aber nicht als Farbe ihres Kleids, sondern anderswie ein Gelb in ihre Nähe, so kann durch die verschiedensten anderweitigen Farbentöne, Schatten die sich da- zwischen ziehen, der Mißklang sich aufheben.
2. Es ist aber Zeit, die abstracte Betrachtung zu verlassen und sich zu erinnern, daß in der Aesthetik die Farbe nur als Eigenschaft von Körpern in Betracht kommen kann, und zu diesen können wir hier immer auch die blos physikalischen Potenzen als Ursachen von Farben ziehen, denn wiewohl sie gegen die Farben, die wechselnd aus ihrer Stellung zum Lichte entstehen, gleichgiltig sind (§. 246), so sehen wir sie im ästhetischen Gebiete doch so an, als nähmen sie selbst an der Stimmung Theil, welche sie durch Farbe über bestimmte Gegenstände verbreiten; die blutroth beleuchtende Sonne scheint vor einer Mordthat zu erröthen u. s. w. Diese Medien nun sind es allerdings wesentlich, von welchen der allgemeine Farbenton eines Ganzen erzeugt wird; zuerst aber behauptet die charakteristische Farbe der in diesem Ganzen ver- einigten individuellen Körper ihr Recht. Die tiefe Bedeutung der Farbe in ihrer bezeichnenden Kraft als Eigenschaft bestimmter Körper ist in §. 247 ausgesprochen und wie sich eine Disharmonie der Farbe mit dem Wesen des Individuums, das sie trägt, ästhetisch ausgleichen kann, in §. 248 angegeben. Der Sinn der Farbe verlangt aber, daß abgesehen davon die Gestalten, welche in einem Ganzen die wichtigeren sind, auch durch volle Farbenkraft sich hervorheben; die unbedeutenderen mögen bunter sein, allein etwas ganz Anderes, als Menge der Farben, ist die ungebrochene Reinheit weniger und die Kraft lichtvoller Farben. Alle den individuellen Körpern und den einzelnen Theilen nicht individualisirter Körper (Theile des Luftraums, Wolken, Wasser) eigenen Farben nun erhalten in jedem sichtbaren Ganzen noch ein allgemeines Farben-Element, worin sie schwimmen. Diese all- gemeine Farbe ("ein Schleier, von einer einzigen Farbe über das ganze Bild gezogen" Göthe) ist es, welche vorzüglich vom Licht oder Feuer in seiner Brechung durch das allgemeine Medium der Luft hervorgebracht wird. Es wird Ton genannt. Der Ton soll mit der Bedeutung seiner Farbe der Stimmung des Ganzen entsprechen. Es entsteht Disharmonie, wenn eine arme und öde Landschaft in glänzendem, eine reiche und freudige in trübem Tone erscheint; doch kann auch hier eine gegensätzliche Form des Schönen ausgleichend eintreten, so daß dort die glänzende Beleuchtung wie eine tragische Ironie, hier die trübe in elegischem Sinne gefühlt wird. Ueberhaupt wird in der landschaftlichen Natur, weil die Gegenstände in ihr kein eigenes Leben führen, sondern Sinn und Wirkung durch den Ton des Ganzen erst erhalten, ein unlösbarer Widerspruch nicht leicht auftreten. Menschliche Scenen aber bringen eine so selbständige Stimmung mit sich,
wünſchen können; die Farbe, die ihr paßt, iſt, da ihre Geſichtsfarbe und Haare zuſammen ſich dem Orange nähern, Blau. Tritt aber nicht als Farbe ihres Kleids, ſondern anderswie ein Gelb in ihre Nähe, ſo kann durch die verſchiedenſten anderweitigen Farbentöne, Schatten die ſich da- zwiſchen ziehen, der Mißklang ſich aufheben.
2. Es iſt aber Zeit, die abſtracte Betrachtung zu verlaſſen und ſich zu erinnern, daß in der Aeſthetik die Farbe nur als Eigenſchaft von Körpern in Betracht kommen kann, und zu dieſen können wir hier immer auch die blos phyſikaliſchen Potenzen als Urſachen von Farben ziehen, denn wiewohl ſie gegen die Farben, die wechſelnd aus ihrer Stellung zum Lichte entſtehen, gleichgiltig ſind (§. 246), ſo ſehen wir ſie im äſthetiſchen Gebiete doch ſo an, als nähmen ſie ſelbſt an der Stimmung Theil, welche ſie durch Farbe über beſtimmte Gegenſtände verbreiten; die blutroth beleuchtende Sonne ſcheint vor einer Mordthat zu erröthen u. ſ. w. Dieſe Medien nun ſind es allerdings weſentlich, von welchen der allgemeine Farbenton eines Ganzen erzeugt wird; zuerſt aber behauptet die charakteriſtiſche Farbe der in dieſem Ganzen ver- einigten individuellen Körper ihr Recht. Die tiefe Bedeutung der Farbe in ihrer bezeichnenden Kraft als Eigenſchaft beſtimmter Körper iſt in §. 247 ausgeſprochen und wie ſich eine Disharmonie der Farbe mit dem Weſen des Individuums, das ſie trägt, äſthetiſch ausgleichen kann, in §. 248 angegeben. Der Sinn der Farbe verlangt aber, daß abgeſehen davon die Geſtalten, welche in einem Ganzen die wichtigeren ſind, auch durch volle Farbenkraft ſich hervorheben; die unbedeutenderen mögen bunter ſein, allein etwas ganz Anderes, als Menge der Farben, iſt die ungebrochene Reinheit weniger und die Kraft lichtvoller Farben. Alle den individuellen Körpern und den einzelnen Theilen nicht individualiſirter Körper (Theile des Luftraums, Wolken, Waſſer) eigenen Farben nun erhalten in jedem ſichtbaren Ganzen noch ein allgemeines Farben-Element, worin ſie ſchwimmen. Dieſe all- gemeine Farbe („ein Schleier, von einer einzigen Farbe über das ganze Bild gezogen“ Göthe) iſt es, welche vorzüglich vom Licht oder Feuer in ſeiner Brechung durch das allgemeine Medium der Luft hervorgebracht wird. Es wird Ton genannt. Der Ton ſoll mit der Bedeutung ſeiner Farbe der Stimmung des Ganzen entſprechen. Es entſteht Disharmonie, wenn eine arme und öde Landſchaft in glänzendem, eine reiche und freudige in trübem Tone erſcheint; doch kann auch hier eine gegenſätzliche Form des Schönen ausgleichend eintreten, ſo daß dort die glänzende Beleuchtung wie eine tragiſche Ironie, hier die trübe in elegiſchem Sinne gefühlt wird. Ueberhaupt wird in der landſchaftlichen Natur, weil die Gegenſtände in ihr kein eigenes Leben führen, ſondern Sinn und Wirkung durch den Ton des Ganzen erſt erhalten, ein unlösbarer Widerſpruch nicht leicht auftreten. Menſchliche Scenen aber bringen eine ſo ſelbſtändige Stimmung mit ſich,
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[52/0064]
wünſchen können; die Farbe, die ihr paßt, iſt, da ihre Geſichtsfarbe und
Haare zuſammen ſich dem Orange nähern, Blau. Tritt aber nicht als
Farbe ihres Kleids, ſondern anderswie ein Gelb in ihre Nähe, ſo kann
durch die verſchiedenſten anderweitigen Farbentöne, Schatten die ſich da-
zwiſchen ziehen, der Mißklang ſich aufheben.
2. Es iſt aber Zeit, die abſtracte Betrachtung zu verlaſſen und ſich
zu erinnern, daß in der Aeſthetik die Farbe nur als Eigenſchaft von Körpern
in Betracht kommen kann, und zu dieſen können wir hier immer auch die
blos phyſikaliſchen Potenzen als Urſachen von Farben ziehen, denn wiewohl
ſie gegen die Farben, die wechſelnd aus ihrer Stellung zum Lichte entſtehen,
gleichgiltig ſind (§. 246), ſo ſehen wir ſie im äſthetiſchen Gebiete doch ſo an,
als nähmen ſie ſelbſt an der Stimmung Theil, welche ſie durch Farbe über
beſtimmte Gegenſtände verbreiten; die blutroth beleuchtende Sonne ſcheint vor
einer Mordthat zu erröthen u. ſ. w. Dieſe Medien nun ſind es allerdings
weſentlich, von welchen der allgemeine Farbenton eines Ganzen erzeugt wird;
zuerſt aber behauptet die charakteriſtiſche Farbe der in dieſem Ganzen ver-
einigten individuellen Körper ihr Recht. Die tiefe Bedeutung der Farbe in
ihrer bezeichnenden Kraft als Eigenſchaft beſtimmter Körper iſt in §. 247
ausgeſprochen und wie ſich eine Disharmonie der Farbe mit dem Weſen des
Individuums, das ſie trägt, äſthetiſch ausgleichen kann, in §. 248 angegeben.
Der Sinn der Farbe verlangt aber, daß abgeſehen davon die Geſtalten,
welche in einem Ganzen die wichtigeren ſind, auch durch volle Farbenkraft
ſich hervorheben; die unbedeutenderen mögen bunter ſein, allein etwas ganz
Anderes, als Menge der Farben, iſt die ungebrochene Reinheit weniger
und die Kraft lichtvoller Farben. Alle den individuellen Körpern und den
einzelnen Theilen nicht individualiſirter Körper (Theile des Luftraums,
Wolken, Waſſer) eigenen Farben nun erhalten in jedem ſichtbaren Ganzen
noch ein allgemeines Farben-Element, worin ſie ſchwimmen. Dieſe all-
gemeine Farbe („ein Schleier, von einer einzigen Farbe über das ganze
Bild gezogen“ Göthe) iſt es, welche vorzüglich vom Licht oder Feuer in
ſeiner Brechung durch das allgemeine Medium der Luft hervorgebracht wird.
Es wird Ton genannt. Der Ton ſoll mit der Bedeutung ſeiner Farbe
der Stimmung des Ganzen entſprechen. Es entſteht Disharmonie, wenn
eine arme und öde Landſchaft in glänzendem, eine reiche und freudige in
trübem Tone erſcheint; doch kann auch hier eine gegenſätzliche Form des
Schönen ausgleichend eintreten, ſo daß dort die glänzende Beleuchtung
wie eine tragiſche Ironie, hier die trübe in elegiſchem Sinne gefühlt wird.
Ueberhaupt wird in der landſchaftlichen Natur, weil die Gegenſtände in
ihr kein eigenes Leben führen, ſondern Sinn und Wirkung durch den Ton
des Ganzen erſt erhalten, ein unlösbarer Widerſpruch nicht leicht auftreten.
Menſchliche Scenen aber bringen eine ſo ſelbſtändige Stimmung mit ſich,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/64>, abgerufen am 16.07.2024.
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