Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
man meinen, seien ästhetisch gleichgiltig, in Wahrheit aber sind sie höchst
man meinen, ſeien äſthetiſch gleichgiltig, in Wahrheit aber ſind ſie höchſt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0050" n="38"/> man meinen, ſeien äſthetiſch gleichgiltig, in Wahrheit aber ſind ſie höchſt<lb/> ſprechend, verbreiten über ganze Gegenden und Scenen eine durchaus<lb/> ſpezifiſche Stimmung. Obwohl ſie nun die Aeſthetik nur in der ſteten<lb/> Vorausſetzung einer ſolchen Wirkung im Zuſammentreffen mit gewiſſen<lb/> Objecten in Betracht ziehen kann, ſo geben ſie doch eben darum, weil ſie<lb/> dieſe ſo entſcheidende Wirkung haben können, den Beweis, daß wir von<lb/> der Farbe an ſich als einem äſthetiſchen Objecte zu reden haben. Es<lb/> widerſpricht dieß keineswegs dem in §. 35 und 36 aufgeſtellten Satze, daß<lb/> jede Difinition des Schönen durch eine abſtracte Eigenſchaft verwerflich ſei,<lb/> denn etwas Anderes iſt eine ſolche Definition, etwas Anderes die geſonderte<lb/> Betrachtung eines der Momente des wirklichen Schönen. — Um nun die<lb/> Thatſache der ſpezifiſchen äſthetiſchen Wirkung der Farben zu erklären,<lb/> dazu ſollte die Farbenlehre der Aeſthetik die Mittel an die Hand geben;<lb/> allein hier befindet ſich die letztere in der Schwierigkeit, daß die Theorie<lb/> Göthes und Hegels als widerlegt durch die neuere Lehre von den Aether-<lb/> ſchwingungen behauptet wird, während ſie doch die Erklärung der geheimen<lb/> und unbewußten Symbolik, welche bei der Farbenwahrnehmung das Gemüth<lb/> beſchäftigt, ungleich mehr zu erleichtern ſcheint, als dieſe, ſoweit ſie<lb/> bis jetzt ausgebildet iſt. Wenn das Gelbe dadurch entſteht, daß ich durch<lb/> ein erhelltes Trübes auf das Licht hindurchblicke, das Blaue dadurch, daß<lb/> ich durch ein ebenſolches Medium in das Dunkel ſehe, ſo wird begreiflich,<lb/> warum dort mein Gemüth durch die freudige Gewißheit des Hereinwirkens<lb/> des Lichts in das ſpezifiſch Trübe erwärmt, hier durch die Vorſtellung,<lb/> als verliere ich mich, indem mich ein reizender Schein hinauszieht, in ein<lb/> fernes Nichts, zugleich angelockt und erkältet wird. Wenn das Rothe als<lb/> die geſteigerte Einheit dieſer Gegenſätze betrachtet wird, ſo wird erklärlich,<lb/> warum es als voll eindringende Lichtwirkung höchſt ermunternd, als Er-<lb/> haltung des Dunkels aber zugleich niederhaltend, daher in ſeiner Pracht<lb/> würdig erſcheint; wenn dagegen im Grünen die Gegenſätze zur Indifferenz<lb/> erlöſchen, ſo leuchtet der beruhigende Charakter deſſelben ein. So kann<lb/> die innige Beziehung des ganzen Spiels menſchlicher Gemüthsſtimmungen<lb/> zur Farbe dem Verſtändniß nahe gelegt werden, wenn der Satz richtig iſt,<lb/> daß die Farbe auf einer Einheit des Hellen und des Finſteren beruht,<lb/> welche aber in der Einheit noch auseinandergehalten ſind, ſo daß in der<lb/> Trennung zugleich Eins ins Andere ſcheint und die verſchiedenen Stellungen<lb/> des Hellen vor das Finſtere und umgekehrt die verſchiedenen Farben geben.<lb/> Dagegen legt die Undulationstheorie die verſchiedenen Farben als Wellen<lb/> verſchiedener Breite und Schnelligkeit in das Licht hinüber und es ſoll nun<lb/> in den verſchiedenen Oberflächen der Körper der Grund liegen, warum die-<lb/> jenige Aetherſchwingung, welche die Empfindung von Roth oder Gelb u. ſ. w.<lb/> hervorbringt, durch zerlegendes Zurückwerfen von einem Körper aus dem<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [38/0050]
man meinen, ſeien äſthetiſch gleichgiltig, in Wahrheit aber ſind ſie höchſt
ſprechend, verbreiten über ganze Gegenden und Scenen eine durchaus
ſpezifiſche Stimmung. Obwohl ſie nun die Aeſthetik nur in der ſteten
Vorausſetzung einer ſolchen Wirkung im Zuſammentreffen mit gewiſſen
Objecten in Betracht ziehen kann, ſo geben ſie doch eben darum, weil ſie
dieſe ſo entſcheidende Wirkung haben können, den Beweis, daß wir von
der Farbe an ſich als einem äſthetiſchen Objecte zu reden haben. Es
widerſpricht dieß keineswegs dem in §. 35 und 36 aufgeſtellten Satze, daß
jede Difinition des Schönen durch eine abſtracte Eigenſchaft verwerflich ſei,
denn etwas Anderes iſt eine ſolche Definition, etwas Anderes die geſonderte
Betrachtung eines der Momente des wirklichen Schönen. — Um nun die
Thatſache der ſpezifiſchen äſthetiſchen Wirkung der Farben zu erklären,
dazu ſollte die Farbenlehre der Aeſthetik die Mittel an die Hand geben;
allein hier befindet ſich die letztere in der Schwierigkeit, daß die Theorie
Göthes und Hegels als widerlegt durch die neuere Lehre von den Aether-
ſchwingungen behauptet wird, während ſie doch die Erklärung der geheimen
und unbewußten Symbolik, welche bei der Farbenwahrnehmung das Gemüth
beſchäftigt, ungleich mehr zu erleichtern ſcheint, als dieſe, ſoweit ſie
bis jetzt ausgebildet iſt. Wenn das Gelbe dadurch entſteht, daß ich durch
ein erhelltes Trübes auf das Licht hindurchblicke, das Blaue dadurch, daß
ich durch ein ebenſolches Medium in das Dunkel ſehe, ſo wird begreiflich,
warum dort mein Gemüth durch die freudige Gewißheit des Hereinwirkens
des Lichts in das ſpezifiſch Trübe erwärmt, hier durch die Vorſtellung,
als verliere ich mich, indem mich ein reizender Schein hinauszieht, in ein
fernes Nichts, zugleich angelockt und erkältet wird. Wenn das Rothe als
die geſteigerte Einheit dieſer Gegenſätze betrachtet wird, ſo wird erklärlich,
warum es als voll eindringende Lichtwirkung höchſt ermunternd, als Er-
haltung des Dunkels aber zugleich niederhaltend, daher in ſeiner Pracht
würdig erſcheint; wenn dagegen im Grünen die Gegenſätze zur Indifferenz
erlöſchen, ſo leuchtet der beruhigende Charakter deſſelben ein. So kann
die innige Beziehung des ganzen Spiels menſchlicher Gemüthsſtimmungen
zur Farbe dem Verſtändniß nahe gelegt werden, wenn der Satz richtig iſt,
daß die Farbe auf einer Einheit des Hellen und des Finſteren beruht,
welche aber in der Einheit noch auseinandergehalten ſind, ſo daß in der
Trennung zugleich Eins ins Andere ſcheint und die verſchiedenen Stellungen
des Hellen vor das Finſtere und umgekehrt die verſchiedenen Farben geben.
Dagegen legt die Undulationstheorie die verſchiedenen Farben als Wellen
verſchiedener Breite und Schnelligkeit in das Licht hinüber und es ſoll nun
in den verſchiedenen Oberflächen der Körper der Grund liegen, warum die-
jenige Aetherſchwingung, welche die Empfindung von Roth oder Gelb u. ſ. w.
hervorbringt, durch zerlegendes Zurückwerfen von einem Körper aus dem
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |