Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.sie mag die herrlichsten Momente für den Maler, für den Dichter darbieten; Eine eigenthümliche Verworrenheit herrscht in der Lehre vom Natur- ſie mag die herrlichſten Momente für den Maler, für den Dichter darbieten; Eine eigenthümliche Verworrenheit herrſcht in der Lehre vom Natur- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p> <pb facs="#f0032" n="20"/> <hi rendition="#et">ſie mag die herrlichſten Momente für den Maler, für den Dichter darbieten;<lb/> allein den Kämpfenden iſt es gewiß nicht darum zu thun, ein maleriſches<lb/> Schauſpiel darzuſtellen, nur der Zufall führt ſie in manchen Momenten des<lb/> Kampfes zu maleriſchen Gruppen zuſammen. So verhält es ſich mit allen<lb/> Erſcheinungen der moraliſchen Welt. Es mag theilweiſe wohl auch eine<lb/> Abſicht auf die Erſcheinung als ſolche gerichtet ſein, Kleidungen, Waffen,<lb/> Schmuck aller Art, Ceremonien, Bräuche, Haltung, Gebärde, Bewe-<lb/> gung mögen auf einen würdigen oder gefälligen Anblick berechnet ſein; aber<lb/> theils fällt die Berechnung nicht in den Moment, wo es ein ernſtliches Han-<lb/> deln gilt, ſondern hat ihre beſondere Zeit als Ankleiden, körperliche Uebung<lb/> u. ſ. w., theils iſt der anhängende Schmuck, obwohl durch eine Abſicht, doch<lb/> nur durch eine ſolche beſtimmt, welche unvermerkt ſelbſt von einem Inſtinkte<lb/> geleitet wird, wie dieß z. B. aus der Entſtehung der Trachten deutlich zu<lb/> erſehen iſt.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Eine eigenthümliche Verworrenheit herrſcht in der Lehre vom Natur-<lb/> ſchönen bei <hi rendition="#g">Hegel</hi>. Er verwechſelt nämlich die Idee überhaupt mit der Idee<lb/> des Schönen. Die Idee überhaupt gibt ſich Wirklichkeit in der natürlichen<lb/> und in der geiſtigen Welt, und die zweite dieſer Formen iſt die allein<lb/> wahre und adäquate; da nun Schönheit die Idee in adäquater Erſchei-<lb/> nung iſt, ſo meint er dieſelbe erſt in der geiſtigen Welt beginnen laſſen<lb/> zu dürfen. Dieß iſt jedoch nicht die eigentliche Confuſion, es iſt nur erſt<lb/> eine Unterſchätzung des äſthetiſchen Werths der nicht begeiſteten Natur;<lb/> jene liegt erſt darin, daß Hegel nun ſagt, die Mängel der unbegeiſteten<lb/> Natur leiten zur Nothwendigkeit des <hi rendition="#g">Ideals</hi> als <hi rendition="#g">des Kunſtſchönen</hi> hin.<lb/> Dahin leiten ja aber die Mängel <hi rendition="#g">alles</hi> Schönen, ſofern es in der vorge-<lb/> fundenen Wirklichkeit, von der Phantaſie noch nicht umgebildet, uns begegnet,<lb/> und von ſolchen iſt ja auch die geiſtige Welt, die Menſchenwelt getrübt, wie<lb/> Hegel ſelbſt, um die Verwirrung durch Widerſpruch mit ſich ſelbſt zu<lb/> vollenden, (Aeſth. Th. 1. S. 189 ff.) ausführt. Die Verwirrung löst<lb/> ſich einfach, wenn wir die Idee überhaupt und die Idee des Schönen richtig<lb/> unterſcheiden: reden wir von der Idee überhaupt, ſo iſt freilich die menſch-<lb/> liche Welt als adäquate Erſcheinung des Geiſtes erſt ihre wahre Wirk-<lb/> lichkeit. Sie iſt ebendaher das Gebiet, wo erſt volle Schönheit auftritt.<lb/> Allein das hat mit dem Gegenſatz, der die Idee der Schönheit als ſolche<lb/> in zwei Hauptgebiete, Naturſchönheit und Ideal theilt, noch gar nichts<lb/> zu ſchaffen. Vielmehr die geiſtig menſchliche Welt <hi rendition="#g">wie</hi> die unbegeiſtete<lb/> hat ihre äſthetiſchen Mängel, ſofern ſie uns ohne Zuthun der Kunſt vor-<lb/> liegt, wie ſie iſt, und an <hi rendition="#g">beiden</hi> Welten tilgt die Kunſt dieſe Mängel.<lb/> Beide Welten treten zweimal auf, als Naturſchönheit, dann als ideal<lb/> umgebildete Schönheit. Iſt auch die ſittliche Welt, wie ſie zufällig vorge-<lb/> funden wird, mangelhaft, ſo iſt umgekehrt die unbegeiſtete der idealen<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [20/0032]
ſie mag die herrlichſten Momente für den Maler, für den Dichter darbieten;
allein den Kämpfenden iſt es gewiß nicht darum zu thun, ein maleriſches
Schauſpiel darzuſtellen, nur der Zufall führt ſie in manchen Momenten des
Kampfes zu maleriſchen Gruppen zuſammen. So verhält es ſich mit allen
Erſcheinungen der moraliſchen Welt. Es mag theilweiſe wohl auch eine
Abſicht auf die Erſcheinung als ſolche gerichtet ſein, Kleidungen, Waffen,
Schmuck aller Art, Ceremonien, Bräuche, Haltung, Gebärde, Bewe-
gung mögen auf einen würdigen oder gefälligen Anblick berechnet ſein; aber
theils fällt die Berechnung nicht in den Moment, wo es ein ernſtliches Han-
deln gilt, ſondern hat ihre beſondere Zeit als Ankleiden, körperliche Uebung
u. ſ. w., theils iſt der anhängende Schmuck, obwohl durch eine Abſicht, doch
nur durch eine ſolche beſtimmt, welche unvermerkt ſelbſt von einem Inſtinkte
geleitet wird, wie dieß z. B. aus der Entſtehung der Trachten deutlich zu
erſehen iſt.
Eine eigenthümliche Verworrenheit herrſcht in der Lehre vom Natur-
ſchönen bei Hegel. Er verwechſelt nämlich die Idee überhaupt mit der Idee
des Schönen. Die Idee überhaupt gibt ſich Wirklichkeit in der natürlichen
und in der geiſtigen Welt, und die zweite dieſer Formen iſt die allein
wahre und adäquate; da nun Schönheit die Idee in adäquater Erſchei-
nung iſt, ſo meint er dieſelbe erſt in der geiſtigen Welt beginnen laſſen
zu dürfen. Dieß iſt jedoch nicht die eigentliche Confuſion, es iſt nur erſt
eine Unterſchätzung des äſthetiſchen Werths der nicht begeiſteten Natur;
jene liegt erſt darin, daß Hegel nun ſagt, die Mängel der unbegeiſteten
Natur leiten zur Nothwendigkeit des Ideals als des Kunſtſchönen hin.
Dahin leiten ja aber die Mängel alles Schönen, ſofern es in der vorge-
fundenen Wirklichkeit, von der Phantaſie noch nicht umgebildet, uns begegnet,
und von ſolchen iſt ja auch die geiſtige Welt, die Menſchenwelt getrübt, wie
Hegel ſelbſt, um die Verwirrung durch Widerſpruch mit ſich ſelbſt zu
vollenden, (Aeſth. Th. 1. S. 189 ff.) ausführt. Die Verwirrung löst
ſich einfach, wenn wir die Idee überhaupt und die Idee des Schönen richtig
unterſcheiden: reden wir von der Idee überhaupt, ſo iſt freilich die menſch-
liche Welt als adäquate Erſcheinung des Geiſtes erſt ihre wahre Wirk-
lichkeit. Sie iſt ebendaher das Gebiet, wo erſt volle Schönheit auftritt.
Allein das hat mit dem Gegenſatz, der die Idee der Schönheit als ſolche
in zwei Hauptgebiete, Naturſchönheit und Ideal theilt, noch gar nichts
zu ſchaffen. Vielmehr die geiſtig menſchliche Welt wie die unbegeiſtete
hat ihre äſthetiſchen Mängel, ſofern ſie uns ohne Zuthun der Kunſt vor-
liegt, wie ſie iſt, und an beiden Welten tilgt die Kunſt dieſe Mängel.
Beide Welten treten zweimal auf, als Naturſchönheit, dann als ideal
umgebildete Schönheit. Iſt auch die ſittliche Welt, wie ſie zufällig vorge-
funden wird, mangelhaft, ſo iſt umgekehrt die unbegeiſtete der idealen
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