Nase, das schmale und spitze Kinn, wozu hier als besonderer Ausdruck des schneidenden Charakters die dünneren, scharf geschlossenen Lippen treten. Der Leib ist sehnigt und schlank, die Adern treten heraus, sagt ein alt- arabisches Volkslied, wie Moosflechten. Aezende Schärfe des Verstandes und Leidenschaft verbinden sich in diesen Völkern zu einem Eigensinn der Zweckthätigkeit, der nur mit Ausnahme der phantasiereich liberaleren Araber bis zu unleidlicher Verbissenheit geht. Sie sind die eigentlich praktischen Orientalen, aber darum nicht frei von dem allgemeinen Dualismus morgenländischer Natur. Verstand und Leidenschaft vereinigen sich zwar im Zwecke, fallen aber auch auseinander und dieß zeigt sich bei den Syrern und Phönizern in der frechen und tollen Sinnlichkeit ihrer Religion im Gegensatz gegen ihre praktische Aufklärung und Verständigkeit, bei den Juden, deren Zweck nur ihr geschlossenes Gottesreich ist, im Kampfe zwischen dem Einen Gott, den sich ihr Verstand abstrahirt hat, und dem widerstrebenden menschlichen Willen, in den Schwankungen des Abfalls zum umgebenden Heidenthum, in den grausamen Vertilgungskriegen gegen die Nachbarn und in dem zweckwidrigen Wahnsinn, womit sie sich durch Sekten selbst zerstörten, übermächtige Gegner zur Unzeit reizten. Kein semitisches Volk ging durch einen raschen Schlag unter, hartlebig und zäh raffen sie nach tiefer Muthlosigkeit sich immer wieder auf, verbluten in langem, schmerzvollem Kampfe, bis ein letzter Todesstoß ein Ende macht. In der Geschichte der heidnischen Semiten gibt nach den colossalen Gründungen des assyrischen und phönizischen Reichs der Fall von Tyrus durch Alexander ein großes Bild, das bedeutendste aber die punischen Kriege, Hannibal, der furchtbare Fall Karthagos. Die jüdische Geschichte nun wimmelt zwar bekanntlich von großen, vielfach benützten Stoffen. Die patriarchalischen, idyllischen sind erwähnt, Moses ist eine herrliche Gestalt, die Zeit der Richter bietet schöne Helden-Erscheinungen dar, die Zeit der Könige edle und hohe Charaktere, gewaltig leuchten die Propheten, ein Bild voll schöner Trauer ist die babylonische Gefangenschaft, eine Reihe der schönsten heroischen Stoffe bietet der edle Kampf der Maccabäer, einen der ungeheuersten und bedeutungsvollsten in aller Geschichte die Zerstörung Jerusalems, und selbst das neuere Schicksal der Juden ist noch eine reiche Quelle ästhetischer Motive. Mit der antiken jüdischen Geschichte hat es aber seine besondere Schwierigkeit. Sie war immer religiöse Domäne und ihre Stoffe gehörten daher unter die heiligen, sie wurden nicht frei ästhetisch, sondern obligat kirchlich idealisirt. Dieß geht uns zwar im jetzigen Zusammenhange nichts an, wo wir nicht von den Formen des Ideals, sondern vom realen Stoffe reden. Soll nun aber dieser als freies ästhetisches Object ergriffen werden, so hindert daran eben die überlieferte Gewohnheit, ihn im Lichte kirchlich bestimmter Idealität
Naſe, das ſchmale und ſpitze Kinn, wozu hier als beſonderer Ausdruck des ſchneidenden Charakters die dünneren, ſcharf geſchloſſenen Lippen treten. Der Leib iſt ſehnigt und ſchlank, die Adern treten heraus, ſagt ein alt- arabiſches Volkslied, wie Moosflechten. Aezende Schärfe des Verſtandes und Leidenſchaft verbinden ſich in dieſen Völkern zu einem Eigenſinn der Zweckthätigkeit, der nur mit Ausnahme der phantaſiereich liberaleren Araber bis zu unleidlicher Verbiſſenheit geht. Sie ſind die eigentlich praktiſchen Orientalen, aber darum nicht frei von dem allgemeinen Dualiſmus morgenländiſcher Natur. Verſtand und Leidenſchaft vereinigen ſich zwar im Zwecke, fallen aber auch auseinander und dieß zeigt ſich bei den Syrern und Phönizern in der frechen und tollen Sinnlichkeit ihrer Religion im Gegenſatz gegen ihre praktiſche Aufklärung und Verſtändigkeit, bei den Juden, deren Zweck nur ihr geſchloſſenes Gottesreich iſt, im Kampfe zwiſchen dem Einen Gott, den ſich ihr Verſtand abſtrahirt hat, und dem widerſtrebenden menſchlichen Willen, in den Schwankungen des Abfalls zum umgebenden Heidenthum, in den grauſamen Vertilgungskriegen gegen die Nachbarn und in dem zweckwidrigen Wahnſinn, womit ſie ſich durch Sekten ſelbſt zerſtörten, übermächtige Gegner zur Unzeit reizten. Kein ſemitiſches Volk ging durch einen raſchen Schlag unter, hartlebig und zäh raffen ſie nach tiefer Muthloſigkeit ſich immer wieder auf, verbluten in langem, ſchmerzvollem Kampfe, bis ein letzter Todesſtoß ein Ende macht. In der Geſchichte der heidniſchen Semiten gibt nach den coloſſalen Gründungen des aſſyriſchen und phöniziſchen Reichs der Fall von Tyrus durch Alexander ein großes Bild, das bedeutendſte aber die puniſchen Kriege, Hannibal, der furchtbare Fall Karthagos. Die jüdiſche Geſchichte nun wimmelt zwar bekanntlich von großen, vielfach benützten Stoffen. Die patriarchaliſchen, idylliſchen ſind erwähnt, Moſes iſt eine herrliche Geſtalt, die Zeit der Richter bietet ſchöne Helden-Erſcheinungen dar, die Zeit der Könige edle und hohe Charaktere, gewaltig leuchten die Propheten, ein Bild voll ſchöner Trauer iſt die babyloniſche Gefangenſchaft, eine Reihe der ſchönſten heroiſchen Stoffe bietet der edle Kampf der Maccabäer, einen der ungeheuerſten und bedeutungsvollſten in aller Geſchichte die Zerſtörung Jeruſalems, und ſelbſt das neuere Schickſal der Juden iſt noch eine reiche Quelle äſthetiſcher Motive. Mit der antiken jüdiſchen Geſchichte hat es aber ſeine beſondere Schwierigkeit. Sie war immer religiöſe Domäne und ihre Stoffe gehörten daher unter die heiligen, ſie wurden nicht frei äſthetiſch, ſondern obligat kirchlich idealiſirt. Dieß geht uns zwar im jetzigen Zuſammenhange nichts an, wo wir nicht von den Formen des Ideals, ſondern vom realen Stoffe reden. Soll nun aber dieſer als freies äſthetiſches Object ergriffen werden, ſo hindert daran eben die überlieferte Gewohnheit, ihn im Lichte kirchlich beſtimmter Idealität
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Naſe, das ſchmale und ſpitze Kinn, wozu hier als beſonderer Ausdruck
des ſchneidenden Charakters die dünneren, ſcharf geſchloſſenen Lippen treten.
Der Leib iſt ſehnigt und ſchlank, die Adern treten heraus, ſagt ein alt-
arabiſches Volkslied, wie Moosflechten. Aezende Schärfe des Verſtandes
und Leidenſchaft verbinden ſich in dieſen Völkern zu einem Eigenſinn der
Zweckthätigkeit, der nur mit Ausnahme der phantaſiereich liberaleren Araber
bis zu unleidlicher Verbiſſenheit geht. Sie ſind die eigentlich praktiſchen
Orientalen, aber darum nicht frei von dem allgemeinen Dualiſmus
morgenländiſcher Natur. Verſtand und Leidenſchaft vereinigen ſich zwar
im Zwecke, fallen aber auch auseinander und dieß zeigt ſich bei den
Syrern und Phönizern in der frechen und tollen Sinnlichkeit ihrer Religion
im Gegenſatz gegen ihre praktiſche Aufklärung und Verſtändigkeit, bei
den Juden, deren Zweck nur ihr geſchloſſenes Gottesreich iſt, im Kampfe
zwiſchen dem Einen Gott, den ſich ihr Verſtand abſtrahirt hat, und dem
widerſtrebenden menſchlichen Willen, in den Schwankungen des Abfalls
zum umgebenden Heidenthum, in den grauſamen Vertilgungskriegen gegen
die Nachbarn und in dem zweckwidrigen Wahnſinn, womit ſie ſich durch
Sekten ſelbſt zerſtörten, übermächtige Gegner zur Unzeit reizten. Kein
ſemitiſches Volk ging durch einen raſchen Schlag unter, hartlebig und
zäh raffen ſie nach tiefer Muthloſigkeit ſich immer wieder auf, verbluten
in langem, ſchmerzvollem Kampfe, bis ein letzter Todesſtoß ein Ende
macht. In der Geſchichte der heidniſchen Semiten gibt nach den coloſſalen
Gründungen des aſſyriſchen und phöniziſchen Reichs der Fall von Tyrus
durch Alexander ein großes Bild, das bedeutendſte aber die puniſchen
Kriege, Hannibal, der furchtbare Fall Karthagos. Die jüdiſche Geſchichte
nun wimmelt zwar bekanntlich von großen, vielfach benützten Stoffen.
Die patriarchaliſchen, idylliſchen ſind erwähnt, Moſes iſt eine herrliche
Geſtalt, die Zeit der Richter bietet ſchöne Helden-Erſcheinungen dar, die
Zeit der Könige edle und hohe Charaktere, gewaltig leuchten die Propheten,
ein Bild voll ſchöner Trauer iſt die babyloniſche Gefangenſchaft, eine
Reihe der ſchönſten heroiſchen Stoffe bietet der edle Kampf der Maccabäer,
einen der ungeheuerſten und bedeutungsvollſten in aller Geſchichte die
Zerſtörung Jeruſalems, und ſelbſt das neuere Schickſal der Juden iſt
noch eine reiche Quelle äſthetiſcher Motive. Mit der antiken jüdiſchen
Geſchichte hat es aber ſeine beſondere Schwierigkeit. Sie war immer
religiöſe Domäne und ihre Stoffe gehörten daher unter die heiligen, ſie
wurden nicht frei äſthetiſch, ſondern obligat kirchlich idealiſirt. Dieß geht
uns zwar im jetzigen Zuſammenhange nichts an, wo wir nicht von den
Formen des Ideals, ſondern vom realen Stoffe reden. Soll nun aber
dieſer als freies äſthetiſches Object ergriffen werden, ſo hindert daran
eben die überlieferte Gewohnheit, ihn im Lichte kirchlich beſtimmter Idealität
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/244>, abgerufen am 16.02.2025.
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