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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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möchte, blos gelegt, in diesem will ihr innerstes Naturleben reagiren; in
der Furcht tritt das Blut in seine verborgenen Gefässe zurück, wie der
ganze Mensch sich in sich zurückzieht, in sich hineinsinkt. Mund: Lachen
und Weinen ist eine äußerst sprechende Symbolik. Vom Lachen war in
§. 226 die Rede. Die Lippen haben noch ein vielfältiges feineres Spiel,
Lächeln, Schmollen, Spitzen, die Oberlippe unzufrieden, die Unterlippe
trotzig Hervordrücken u. s. w. Mit Zuziehung der Zähne und Kiefer
entsteht das Knirschen, Zähneklappen u. s. w. Thiere weisen die Zähne;
hätte uns nicht nothwendige Kürze abgehalten, so hätte allerdings die
zwar dürftige Mimik des Thiers und zwar auch die schwierigere des
thierischen Kopfs uns beschäftigen müssen. Ein Hund z. B. kann doch
über seine Gesichtsmuskeln in sprechenderer Weise verfügen, als man
glaubt; das Spiel geht allerdings wesentlich von den Ohren aus. -- Haar:
Sträuben. Der ganze Kopf: richtet sich stolz auf, senkt sich sanft, traurig,
bescheiden, schüttelt verneinend, legt sich bedenklich, lauschend, wehmüthig
zur Seite, wirft sich anmaßend, bewundernd zurück, streckt sich neugierig
vor u. s. w. Schultern: Achselzucken, Hinabsinken. Brust: Auftreiben im
Muth und Zorn, Einsinken in Furcht und Trauer. Bauchmuskeln:
Zusammenziehen in Angst und Anstrengung, Schütteln im Lachen u. s. w.
Die Beine sind es namentlich, welche durch Stampfen, Vorstellen, Zurück-
stellen, Aufspringen, Knieen, Zusammensinken, Stehen, Gehen u. s. w. die
Verbreitung der Gebärde über den ganzen Leib ausdrücken. Das Haupt-
Organ der Gebärde sind die Hände mit den Armen. Ihr unendliches
Spiel kann nicht in seine einzelne Formen verfolgt werden. Der Satz,
daß die Handbewegungen eine klare Symbolik darstellen, unterliegt keinem
Zweifel; Niemand kann das Faustballen, das Händeringen, das bittende
Händefalten u. s. w. mißverstehen. Die Hände sind es nun besonders,
obwohl nicht allein, bei welchen der im §. hervorgehobene Unterschied
objectiver und subjectiver Mimik in Betracht kommt. Engel (Ideen zu
einer Mimik Br. 8) bezeichnet ihn durch: malende und ausdrückende
Gebärden. Er führt unter jenen nur die eigentlich nachahmenden auf,
z. B. wenn ich durch Handbewegungen Größe eines Bergs, durch sie und
Bewegung des ganzen Leibs die Gestalt, die Bewegungen eines Dritten
darstelle: dieß gehört freilich auch hieher und ist nicht, wie es scheinen
könnte, ein Vorgriff in die mimische Kunst, es gehört noch zum Stoffe,
denn der Schauspieler hat unter Anderem auch dieß Nachahmen nach-
zuahmen. Die malende Gebärde zeichnet aber auch Solches, was erst
geschehen soll, sie streckt den Finger zum Befehle aus, sie streicht die
Gurgel, um Durst zu bezeichnen, sie deutet auf die Stirne, einen Andern
zum Nachdenken aufzufordern. Auch diese Gebärden üben eine, aus
unbewußter Wurzel mit sicherem Gesetz aufsteigende, sehr verständliche

möchte, blos gelegt, in dieſem will ihr innerſtes Naturleben reagiren; in
der Furcht tritt das Blut in ſeine verborgenen Gefäſſe zurück, wie der
ganze Menſch ſich in ſich zurückzieht, in ſich hineinſinkt. Mund: Lachen
und Weinen iſt eine äußerſt ſprechende Symbolik. Vom Lachen war in
§. 226 die Rede. Die Lippen haben noch ein vielfältiges feineres Spiel,
Lächeln, Schmollen, Spitzen, die Oberlippe unzufrieden, die Unterlippe
trotzig Hervordrücken u. ſ. w. Mit Zuziehung der Zähne und Kiefer
entſteht das Knirſchen, Zähneklappen u. ſ. w. Thiere weiſen die Zähne;
hätte uns nicht nothwendige Kürze abgehalten, ſo hätte allerdings die
zwar dürftige Mimik des Thiers und zwar auch die ſchwierigere des
thieriſchen Kopfs uns beſchäftigen müſſen. Ein Hund z. B. kann doch
über ſeine Geſichtsmuskeln in ſprechenderer Weiſe verfügen, als man
glaubt; das Spiel geht allerdings weſentlich von den Ohren aus. — Haar:
Sträuben. Der ganze Kopf: richtet ſich ſtolz auf, ſenkt ſich ſanft, traurig,
beſcheiden, ſchüttelt verneinend, legt ſich bedenklich, lauſchend, wehmüthig
zur Seite, wirft ſich anmaßend, bewundernd zurück, ſtreckt ſich neugierig
vor u. ſ. w. Schultern: Achſelzucken, Hinabſinken. Bruſt: Auftreiben im
Muth und Zorn, Einſinken in Furcht und Trauer. Bauchmuskeln:
Zuſammenziehen in Angſt und Anſtrengung, Schütteln im Lachen u. ſ. w.
Die Beine ſind es namentlich, welche durch Stampfen, Vorſtellen, Zurück-
ſtellen, Aufſpringen, Knieen, Zuſammenſinken, Stehen, Gehen u. ſ. w. die
Verbreitung der Gebärde über den ganzen Leib ausdrücken. Das Haupt-
Organ der Gebärde ſind die Hände mit den Armen. Ihr unendliches
Spiel kann nicht in ſeine einzelne Formen verfolgt werden. Der Satz,
daß die Handbewegungen eine klare Symbolik darſtellen, unterliegt keinem
Zweifel; Niemand kann das Fauſtballen, das Händeringen, das bittende
Händefalten u. ſ. w. mißverſtehen. Die Hände ſind es nun beſonders,
obwohl nicht allein, bei welchen der im §. hervorgehobene Unterſchied
objectiver und ſubjectiver Mimik in Betracht kommt. Engel (Ideen zu
einer Mimik Br. 8) bezeichnet ihn durch: malende und ausdrückende
Gebärden. Er führt unter jenen nur die eigentlich nachahmenden auf,
z. B. wenn ich durch Handbewegungen Größe eines Bergs, durch ſie und
Bewegung des ganzen Leibs die Geſtalt, die Bewegungen eines Dritten
darſtelle: dieß gehört freilich auch hieher und iſt nicht, wie es ſcheinen
könnte, ein Vorgriff in die mimiſche Kunſt, es gehört noch zum Stoffe,
denn der Schauſpieler hat unter Anderem auch dieß Nachahmen nach-
zuahmen. Die malende Gebärde zeichnet aber auch Solches, was erſt
geſchehen ſoll, ſie ſtreckt den Finger zum Befehle aus, ſie ſtreicht die
Gurgel, um Durſt zu bezeichnen, ſie deutet auf die Stirne, einen Andern
zum Nachdenken aufzufordern. Auch dieſe Gebärden üben eine, aus
unbewußter Wurzel mit ſicherem Geſetz aufſteigende, ſehr verſtändliche

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[215/0227] möchte, blos gelegt, in dieſem will ihr innerſtes Naturleben reagiren; in der Furcht tritt das Blut in ſeine verborgenen Gefäſſe zurück, wie der ganze Menſch ſich in ſich zurückzieht, in ſich hineinſinkt. Mund: Lachen und Weinen iſt eine äußerſt ſprechende Symbolik. Vom Lachen war in §. 226 die Rede. Die Lippen haben noch ein vielfältiges feineres Spiel, Lächeln, Schmollen, Spitzen, die Oberlippe unzufrieden, die Unterlippe trotzig Hervordrücken u. ſ. w. Mit Zuziehung der Zähne und Kiefer entſteht das Knirſchen, Zähneklappen u. ſ. w. Thiere weiſen die Zähne; hätte uns nicht nothwendige Kürze abgehalten, ſo hätte allerdings die zwar dürftige Mimik des Thiers und zwar auch die ſchwierigere des thieriſchen Kopfs uns beſchäftigen müſſen. Ein Hund z. B. kann doch über ſeine Geſichtsmuskeln in ſprechenderer Weiſe verfügen, als man glaubt; das Spiel geht allerdings weſentlich von den Ohren aus. — Haar: Sträuben. Der ganze Kopf: richtet ſich ſtolz auf, ſenkt ſich ſanft, traurig, beſcheiden, ſchüttelt verneinend, legt ſich bedenklich, lauſchend, wehmüthig zur Seite, wirft ſich anmaßend, bewundernd zurück, ſtreckt ſich neugierig vor u. ſ. w. Schultern: Achſelzucken, Hinabſinken. Bruſt: Auftreiben im Muth und Zorn, Einſinken in Furcht und Trauer. Bauchmuskeln: Zuſammenziehen in Angſt und Anſtrengung, Schütteln im Lachen u. ſ. w. Die Beine ſind es namentlich, welche durch Stampfen, Vorſtellen, Zurück- ſtellen, Aufſpringen, Knieen, Zuſammenſinken, Stehen, Gehen u. ſ. w. die Verbreitung der Gebärde über den ganzen Leib ausdrücken. Das Haupt- Organ der Gebärde ſind die Hände mit den Armen. Ihr unendliches Spiel kann nicht in ſeine einzelne Formen verfolgt werden. Der Satz, daß die Handbewegungen eine klare Symbolik darſtellen, unterliegt keinem Zweifel; Niemand kann das Fauſtballen, das Händeringen, das bittende Händefalten u. ſ. w. mißverſtehen. Die Hände ſind es nun beſonders, obwohl nicht allein, bei welchen der im §. hervorgehobene Unterſchied objectiver und ſubjectiver Mimik in Betracht kommt. Engel (Ideen zu einer Mimik Br. 8) bezeichnet ihn durch: malende und ausdrückende Gebärden. Er führt unter jenen nur die eigentlich nachahmenden auf, z. B. wenn ich durch Handbewegungen Größe eines Bergs, durch ſie und Bewegung des ganzen Leibs die Geſtalt, die Bewegungen eines Dritten darſtelle: dieß gehört freilich auch hieher und iſt nicht, wie es ſcheinen könnte, ein Vorgriff in die mimiſche Kunſt, es gehört noch zum Stoffe, denn der Schauſpieler hat unter Anderem auch dieß Nachahmen nach- zuahmen. Die malende Gebärde zeichnet aber auch Solches, was erſt geſchehen ſoll, ſie ſtreckt den Finger zum Befehle aus, ſie ſtreicht die Gurgel, um Durſt zu bezeichnen, ſie deutet auf die Stirne, einen Andern zum Nachdenken aufzufordern. Auch dieſe Gebärden üben eine, aus unbewußter Wurzel mit ſicherem Geſetz aufſteigende, ſehr verſtändliche

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/227>, abgerufen am 23.11.2024.