Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
daher großartig und edel, welch letzterer Zug der ohne Einziehung hoch- Viel zu wenig werden die Formen des übrigen Körpers beobachtet, 14*
daher großartig und edel, welch letzterer Zug der ohne Einziehung hoch- Viel zu wenig werden die Formen des übrigen Körpers beobachtet, 14*
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daher großartig und edel, welch letzterer Zug der ohne Einziehung hoch-
gekrümmten, geiſtlos anmaßenden Ramsnaſe fehlt, die kurze, runde,
ſtumpfe Kartoffelnaſe plump ſinnlich, ohne Unterſcheidung im täppiſchen
Ergreifen des Genuſſes, die ſchmale, ſpitze mikrologiſch, pedantiſch,
kleinlich ſcharfſinnig. Von der geraden griechiſchen Naſe wird anderswo
und zugleich dann von der Naſenwurzel die Rede ſein. Weitoffene
Naſenflügel erſcheinen muthig, ſtürmiſch, leidenſchaftlich, aufgezogene
drücken ennuy aus u. ſ. w. — Der dritte Theil nun, Mund, Kinn und
Kiefer, iſt (insbeſondere nach den feinen Bemerkungen in dem Essai de
physiognomonie von R. Töpffer, der ſie aber freilich ſogleich auch in
der Bewegung betrachtet) der ſprechendſte. Größe dieſes Theils über-
haupt erſcheint, da die Werkzeuge des Eſſens hier die Formen abgeben,
entſchieden ſinnlich, Kleinheit drückt Mangel an Energie der Sinnlichkeit
aus. Der Mund für ſich aber, zugleich als Organ der Sprache höher
geadelt, iſt durch die Form der Lippen (volle und offene naiv, ſinnlich,
ſchmale und eingekniffene ſcharf, eigenſinnig, verbiſſen), durch ihre Lage
(Hervortreten der obern drückt fatuitas aus, Hervortreten der untern
mürriſchen Trotz, Hängen derſelben Schlaffheit, Grobheit, Neigung zum
Maulen), endlich durch die Mundwinkel, deren lauſchendes Grübchen im
Geheimniß ſeines Ausdrucks unfaßbar iſt, von der wichtigſten, nächſt
dem Auge von der einleuchtendſten phyſiognomiſchen Bedeutung. Aber
auch die Baſis des Geſichts, das Kinn iſt viel wichtiger, als man
gewöhnlich erkennt. Von dem vollen runden Kinn, deſſen markiger Schwung
den objectiven Sinn, die vollwiegende Kraft des Sinnenlebens ausſpricht,
ſchweift das Extrem des ſpitz vorragenden mit dem Ausdruck halsſtarriger
Zudringlichkeit und das andere des allzukleinen, wie durch eine ſtarke
Maulſchelle zurückgeworfenen mit dem Ausdruck von Dummheit, Mangel
an Selbſtändigkeit und, weil es den ganzen Kopf der Thierſchnauze
nähert, Gemeinheit gleich widerwärtig ab. Es wäre noch namentlich
von der Geſichtsform im Ganzen: viereckig, eiförmig, ſehr lang gezogen
u. ſ. w. zu reden, aber wir müſſen kurz ſein. Daher können wir von
der Farbe, welche bei dem Auge ſchon erwähnt wurde, nur ſagen, daß
ſie für den Ausdruck des ganzen Geſichts höchſt wichtig iſt, wobei Haut-
und Haar-Farbe zuſammenwirken. Ariſtoteles gibt auch hierüber Winke.
Da ſie ein aus dem Blute abgeſetztes Pigment iſt, ſo drückt ſie namentlich
das Temperament, das Leben der Gefühle, Triebe, Leidenſchaften aus.
Ein ſehr rother Kopf wird immer jähzornig ſcheinen u. ſ. w.
Viel zu wenig werden die Formen des übrigen Körpers beobachtet,
der naturloſe neuere Menſch ſieht nur nach dem Geſicht und vergißt die
Bedeutung des Halſes, Nackens, der Bruſt, Hüften, Schenkel, Waden, des
Schienbeins, der Füße, vorzüglich aber der Hände. Der gedrängten, ſtier-
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