keinen besondern Stand für ihn geben. Weil der Krieg momentan ist, so wird auch sein fortgesetzter Anblick wüst, ermüdend. Wir wollen das sittliche Leben, das sich in ihm Raum schafft, auch wieder in seinem wahren, positiven Bilden, in der Regung des bürgerlichen Lebens und seiner Sphären anschauen.
Alle diese Sphären müßen noch anderwärts berührt und diese flüchtigen Bemerkungen ergänzt werden.
§. 328.
Aus diesen bildenden Thätigkeiten erwächst der Staat, in dessen gesetz- licher Ordnung die Völker aus dem Naturzustande zur freien sittlichen Persön- lichkeit sich erheben. Das Schöne findet daher hier erst den wahrhaft bedeutenden Gehalt, ein Reich und Schauspiel der sittlichen Idee (§. 24). Wenn aber die Durchführung der sittlichen Idee zur Allgemeinheit öffentlicher Geltung eine immer abstractere Ablösung von der unmittelbaren Einheit mit der lebendigen Individualität zu fordern scheint, so erheischt dagegen das Schöne (vergl. 327, 1.), daß eine solche bestehe, und eignet sich daher vorzüglich diejenigen Zustände an, worin das Allgemeine wesentlich in der zwar mit Zufälligkeit behafteten, aber auch gewaltiger Regung der Kräfte im Guten und Bösen freien Raum gebenden Form der starken Individualität sich bewirkt. Solche Zustände waren nach den patriarchalischen insbesondere die heroischen des sagenhaften Jugendalters der historischen Völker vor ihrem Eintritt in das reife Staatsleben.
Der §. setzt als anerkannt voraus, daß der Gehalt, der in §. 24 als der bedeutendste aufgeführt wurde, das Gute, nicht zuerst im engen Kreise des Familienlebens und der subjectiven Moral, sondern da zu suchen sei, wo freie Männer zusammentreten, Gesetze geben und aus- führen, Recht pflegen, Wahrheit verbreiten, Menschen erziehen, für das Vaterland Gut und Blut einsetzen, veraltete Gesetze mit kühnem Wagen umstürzen, um der Freiheit neue Wege zu brechen. Das ganze Seelen- leben (§. 319) wird nur im Staate zum geistigen, aus dem Systeme der Triebe das System der Tugenden. Nun begegnet uns die viel- besprochene Thatsache, daß je vollkommener, je garantirter das Staats- leben, desto abstracter, naturloser die Formen werden, und doch gilt vom Staate natürlich dasselbe, was in §. 327, 1. für die Culturformen als ästhetisches Gesetz aufgestellt wurde: rohe Natur und Naturlosigkeit bezeichnen auf zwei Seiten die Grenze des Schönen. Der vorliegende §. wiederholt dieß Gesetz nur in der besonderen Anwendung auf die Sphäre, zu der wir jetzt gelangt sind. Vorläufig läßt er jedoch durch ein "scheint" der
keinen beſondern Stand für ihn geben. Weil der Krieg momentan iſt, ſo wird auch ſein fortgeſetzter Anblick wüſt, ermüdend. Wir wollen das ſittliche Leben, das ſich in ihm Raum ſchafft, auch wieder in ſeinem wahren, poſitiven Bilden, in der Regung des bürgerlichen Lebens und ſeiner Sphären anſchauen.
Alle dieſe Sphären müßen noch anderwärts berührt und dieſe flüchtigen Bemerkungen ergänzt werden.
§. 328.
Aus dieſen bildenden Thätigkeiten erwächst der Staat, in deſſen geſetz- licher Ordnung die Völker aus dem Naturzuſtande zur freien ſittlichen Perſön- lichkeit ſich erheben. Das Schöne findet daher hier erſt den wahrhaft bedeutenden Gehalt, ein Reich und Schauſpiel der ſittlichen Idee (§. 24). Wenn aber die Durchführung der ſittlichen Idee zur Allgemeinheit öffentlicher Geltung eine immer abſtractere Ablöſung von der unmittelbaren Einheit mit der lebendigen Individualität zu fordern ſcheint, ſo erheiſcht dagegen das Schöne (vergl. 327, 1.), daß eine ſolche beſtehe, und eignet ſich daher vorzüglich diejenigen Zuſtände an, worin das Allgemeine weſentlich in der zwar mit Zufälligkeit behafteten, aber auch gewaltiger Regung der Kräfte im Guten und Böſen freien Raum gebenden Form der ſtarken Individualität ſich bewirkt. Solche Zuſtände waren nach den patriarchaliſchen insbeſondere die heroiſchen des ſagenhaften Jugendalters der hiſtoriſchen Völker vor ihrem Eintritt in das reife Staatsleben.
Der §. ſetzt als anerkannt voraus, daß der Gehalt, der in §. 24 als der bedeutendſte aufgeführt wurde, das Gute, nicht zuerſt im engen Kreiſe des Familienlebens und der ſubjectiven Moral, ſondern da zu ſuchen ſei, wo freie Männer zuſammentreten, Geſetze geben und aus- führen, Recht pflegen, Wahrheit verbreiten, Menſchen erziehen, für das Vaterland Gut und Blut einſetzen, veraltete Geſetze mit kühnem Wagen umſtürzen, um der Freiheit neue Wege zu brechen. Das ganze Seelen- leben (§. 319) wird nur im Staate zum geiſtigen, aus dem Syſteme der Triebe das Syſtem der Tugenden. Nun begegnet uns die viel- beſprochene Thatſache, daß je vollkommener, je garantirter das Staats- leben, deſto abſtracter, naturloſer die Formen werden, und doch gilt vom Staate natürlich daſſelbe, was in §. 327, 1. für die Culturformen als äſthetiſches Geſetz aufgeſtellt wurde: rohe Natur und Naturloſigkeit bezeichnen auf zwei Seiten die Grenze des Schönen. Der vorliegende §. wiederholt dieß Geſetz nur in der beſonderen Anwendung auf die Sphäre, zu der wir jetzt gelangt ſind. Vorläufig läßt er jedoch durch ein „ſcheint“ der
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ſittliche Leben, das ſich in ihm Raum ſchafft, auch wieder in ſeinem
wahren, poſitiven Bilden, in der Regung des bürgerlichen Lebens und
ſeiner Sphären anſchauen.
Alle dieſe Sphären müßen noch anderwärts berührt und dieſe
flüchtigen Bemerkungen ergänzt werden.
§. 328.
Aus dieſen bildenden Thätigkeiten erwächst der Staat, in deſſen geſetz-
licher Ordnung die Völker aus dem Naturzuſtande zur freien ſittlichen Perſön-
lichkeit ſich erheben. Das Schöne findet daher hier erſt den wahrhaft bedeutenden
Gehalt, ein Reich und Schauſpiel der ſittlichen Idee (§. 24). Wenn aber die
Durchführung der ſittlichen Idee zur Allgemeinheit öffentlicher Geltung eine
immer abſtractere Ablöſung von der unmittelbaren Einheit mit der lebendigen
Individualität zu fordern ſcheint, ſo erheiſcht dagegen das Schöne (vergl. 327, 1.),
daß eine ſolche beſtehe, und eignet ſich daher vorzüglich diejenigen Zuſtände an, worin
das Allgemeine weſentlich in der zwar mit Zufälligkeit behafteten, aber auch
gewaltiger Regung der Kräfte im Guten und Böſen freien Raum gebenden
Form der ſtarken Individualität ſich bewirkt. Solche Zuſtände waren nach den
patriarchaliſchen insbeſondere die heroiſchen des ſagenhaften Jugendalters der
hiſtoriſchen Völker vor ihrem Eintritt in das reife Staatsleben.
Der §. ſetzt als anerkannt voraus, daß der Gehalt, der in §. 24
als der bedeutendſte aufgeführt wurde, das Gute, nicht zuerſt im engen
Kreiſe des Familienlebens und der ſubjectiven Moral, ſondern da zu
ſuchen ſei, wo freie Männer zuſammentreten, Geſetze geben und aus-
führen, Recht pflegen, Wahrheit verbreiten, Menſchen erziehen, für das
Vaterland Gut und Blut einſetzen, veraltete Geſetze mit kühnem Wagen
umſtürzen, um der Freiheit neue Wege zu brechen. Das ganze Seelen-
leben (§. 319) wird nur im Staate zum geiſtigen, aus dem Syſteme
der Triebe das Syſtem der Tugenden. Nun begegnet uns die viel-
beſprochene Thatſache, daß je vollkommener, je garantirter das Staats-
leben, deſto abſtracter, naturloſer die Formen werden, und doch gilt vom
Staate natürlich daſſelbe, was in §. 327, 1. für die Culturformen als
äſthetiſches Geſetz aufgeſtellt wurde: rohe Natur und Naturloſigkeit
bezeichnen auf zwei Seiten die Grenze des Schönen. Der vorliegende §.
wiederholt dieß Geſetz nur in der beſonderen Anwendung auf die Sphäre,
zu der wir jetzt gelangt ſind. Vorläufig läßt er jedoch durch ein „ſcheint“ der
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/199>, abgerufen am 17.02.2025.
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