Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
die Kleidung war persönlich lebendig und beseelt. Die abstracte moderne 3. Durch Fischerei, Jagd, Viehzucht, Landbau, Schifffahrt
die Kleidung war perſönlich lebendig und beſeelt. Die abſtracte moderne 3. Durch Fiſcherei, Jagd, Viehzucht, Landbau, Schifffahrt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0197" n="185"/> die Kleidung war perſönlich lebendig und beſeelt. Die abſtracte moderne<lb/> Bildung hat die nördlichen Trachten vorgefunden und nach der flachen<lb/> Allgemeinheit der Mode alle Phantaſie und Individualität, die darin lebte,<lb/> in Mechanismus und knappe Geſtutztheit umgewandelt. Darüber ſowie<lb/> über Tracht überhaupt iſt an anderem Orte mehr zu ſagen. — Der<lb/> höhere Inſtinct, der im §. neben dem klimatiſchen Bedürfniß, neben der<lb/> Lebensart (wir könnten in der antiken Tracht unſere moderne Lebensweiſe<lb/> gar nicht führen), der ganzen angebornen nationalen Sinnesweiſe erwähnt<lb/> wird, iſt ein unbewußter Trieb, der jeweiligen ſittlichen Stimmung einer<lb/> Zeit in der Kleidung ihren Ausdruck zu geben.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">3. Durch <hi rendition="#g">Fiſcherei, Jagd, Viehzucht, Landbau, Schifffahrt</hi><lb/> entſteht eine neue äſthetiſche Zuſammenſtellung des Menſchen mit der um-<lb/> gebenden Natur, eine ſolche, worin der Menſch thätig auf dieſe einwirkt.<lb/> Wir ſehen den Fiſcher die zappelnden Thiere aus ihrem Elemente ſchleudern,<lb/> den Jäger mit der Waffe das Wild verfolgen und erlegen, den Hirten<lb/> in behaglicher Muße bei den weidenden Thieren gelagert, den Bauern<lb/> mit Hilfe derſelben den Boden umackern, ſäen, die Erndte einheimſen.<lb/> Der Fiſchfang freilich wirft wenig Stoff ab, friedlichen und ſanften<lb/> gewöhnlich, furchtbaren in der gefährlichen Walfiſchjagd. Die Jagd gibt<lb/> natürlich, ſo wie auch die auf ſie beſchränkten Völker in roherem Zuſtande<lb/> verbleiben, bewegtere, mehr oder weniger im Sinne des Furchtbaren<lb/> wirkende Bilder, um ſo äſthetiſcher, je anſtrengender und gefahrvoller ſie<lb/> iſt: der kühne, freie, waldfriſche Jäger iſt ein vielbenützter äſthetiſcher<lb/> Stoff. Die Grenze des Schönen iſt auf der einen Seite der Verzweif-<lb/> lungskampf aus Noth, auf der andern die blaſirte Grauſamkeit, die zum<lb/> Zeitvertreib hetzt, ebenſo die Jagdeitelkeit ohne Object, weil Alles weg-<lb/> geſchoſſen iſt, und die Reduction des Jägers auf den Forſtbeamten. Vieh-<lb/> zucht und Landbau geben an ſich ein milderes, ruhigeres Bild, wie ſie<lb/> im Culturzuſammenhang Geſittung und Staatenbau vermitteln. Das<lb/> Wild zum vertrauten Hausthiere heranziehen war ein ſchöner menſchlicher<lb/> Act und es iſt ein freundliches Schauſpiel, wenn der Senner in die<lb/> Berge zieht, die Kühe mit den Glocken ſich fleißig nach den Kälbern um-<lb/> ſehen, der trutzige Stier voranwandelt, die Ziege um Salz bettelnd<lb/> die Hand leckt; es liegt hier ein Reichthum von Stoffen: Hinaustreiben,<lb/> Weidenlaſſen, Mittagsruhe im Schatten, Tränke, Heimtreiben. Hirten<lb/> ſind aufgeräumt, luſtig, die Arbeit macht geſund bei mäßiger Anſtrengung,<lb/> einfach und tüchtig. Ein Wink genügt, um die reiche Quelle äſthetiſcher<lb/> Motive anzuzeigen, die im Landbau liegen. Er nimmt allerdings der<lb/> Landſchaft von ihrer freien Schönheit, doch erhöht er ſie auch, wo<lb/> ſeine Pflanzungen nicht allzu ſchnurgerade in’s Auge fallen; die Grenze<lb/> iſt, wo kein unbebauter Fleck mehr bleibt, wo Zerſtücklung und Ueber-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [185/0197]
die Kleidung war perſönlich lebendig und beſeelt. Die abſtracte moderne
Bildung hat die nördlichen Trachten vorgefunden und nach der flachen
Allgemeinheit der Mode alle Phantaſie und Individualität, die darin lebte,
in Mechanismus und knappe Geſtutztheit umgewandelt. Darüber ſowie
über Tracht überhaupt iſt an anderem Orte mehr zu ſagen. — Der
höhere Inſtinct, der im §. neben dem klimatiſchen Bedürfniß, neben der
Lebensart (wir könnten in der antiken Tracht unſere moderne Lebensweiſe
gar nicht führen), der ganzen angebornen nationalen Sinnesweiſe erwähnt
wird, iſt ein unbewußter Trieb, der jeweiligen ſittlichen Stimmung einer
Zeit in der Kleidung ihren Ausdruck zu geben.
3. Durch Fiſcherei, Jagd, Viehzucht, Landbau, Schifffahrt
entſteht eine neue äſthetiſche Zuſammenſtellung des Menſchen mit der um-
gebenden Natur, eine ſolche, worin der Menſch thätig auf dieſe einwirkt.
Wir ſehen den Fiſcher die zappelnden Thiere aus ihrem Elemente ſchleudern,
den Jäger mit der Waffe das Wild verfolgen und erlegen, den Hirten
in behaglicher Muße bei den weidenden Thieren gelagert, den Bauern
mit Hilfe derſelben den Boden umackern, ſäen, die Erndte einheimſen.
Der Fiſchfang freilich wirft wenig Stoff ab, friedlichen und ſanften
gewöhnlich, furchtbaren in der gefährlichen Walfiſchjagd. Die Jagd gibt
natürlich, ſo wie auch die auf ſie beſchränkten Völker in roherem Zuſtande
verbleiben, bewegtere, mehr oder weniger im Sinne des Furchtbaren
wirkende Bilder, um ſo äſthetiſcher, je anſtrengender und gefahrvoller ſie
iſt: der kühne, freie, waldfriſche Jäger iſt ein vielbenützter äſthetiſcher
Stoff. Die Grenze des Schönen iſt auf der einen Seite der Verzweif-
lungskampf aus Noth, auf der andern die blaſirte Grauſamkeit, die zum
Zeitvertreib hetzt, ebenſo die Jagdeitelkeit ohne Object, weil Alles weg-
geſchoſſen iſt, und die Reduction des Jägers auf den Forſtbeamten. Vieh-
zucht und Landbau geben an ſich ein milderes, ruhigeres Bild, wie ſie
im Culturzuſammenhang Geſittung und Staatenbau vermitteln. Das
Wild zum vertrauten Hausthiere heranziehen war ein ſchöner menſchlicher
Act und es iſt ein freundliches Schauſpiel, wenn der Senner in die
Berge zieht, die Kühe mit den Glocken ſich fleißig nach den Kälbern um-
ſehen, der trutzige Stier voranwandelt, die Ziege um Salz bettelnd
die Hand leckt; es liegt hier ein Reichthum von Stoffen: Hinaustreiben,
Weidenlaſſen, Mittagsruhe im Schatten, Tränke, Heimtreiben. Hirten
ſind aufgeräumt, luſtig, die Arbeit macht geſund bei mäßiger Anſtrengung,
einfach und tüchtig. Ein Wink genügt, um die reiche Quelle äſthetiſcher
Motive anzuzeigen, die im Landbau liegen. Er nimmt allerdings der
Landſchaft von ihrer freien Schönheit, doch erhöht er ſie auch, wo
ſeine Pflanzungen nicht allzu ſchnurgerade in’s Auge fallen; die Grenze
iſt, wo kein unbebauter Fleck mehr bleibt, wo Zerſtücklung und Ueber-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |