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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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ist in der neuesten Philosophie, welche über den Pantheismus Hegels
hinausstrebt, der des Willens, des absoluten Willens nämlich, durch den
ein persönlicher Gott die Welt setzt. So ist ein Wille da vor dem
Willen und ein Subject vor dem Subject. Denn erst über der Natur,
auf ihrer Grundlage und in der Spannung der Thätigkeit gegen sie ist
Wille und Subject möglich; erhebt sich die Natur über sich selbst in
Subject und Wille, so muß sie freilich schon vorher die Möglichkeit von
Subject und Wille sein, jene Behauptung aber setzt wirkliches Subject
und Willen vor diese Möglichkeit, sie setzt die reichste Existenz voraus,
um die einfachste und ärmste zu erklären, sie schickt den Geist des Ganzen
als einzelne Existenz seinem Ganzen voran. Nach demselben Begriffe
müßte in der Aesthetik ein das Schöne schaffender Wille sein vor diesem
Willen, d. h. ein Künstler müßte da sein, ehe wir das Naturschöne haben,
das dem Künstler vorliegt, in dessen Angesichte und in dessen überwindender
Umbildung der Künstler erst wird. Man sage nicht: jener Künstler vor
dem Künstler sei der absolute Künstler oder Gott, und der andere,
menschliche Künstler bilde die Schönheit, die jener in der Natur aus-
gebreitet, nach. Denn die Naturschönheit müßte dann höher sein als die
Kunstschönheit, da doch jede Prüfung derselben zeigt, daß sie auf allen
Punkten darum mangelhaft ist, weil sie nicht als solche gewollt ist, weil
sie von keinem Bewußtsein des Schönen herrührt. Gehen wir auf den
allgemeinen dialektischen Satz zurück, der hier in Anwendung kommt:
daß in einem Stufensystem die höhere Stufe die Wahrheit der niedrigeren
sei. Die innere Zweckmäßigkeit in der Natur weist hinauf zu dem Willen,
wie er im geistigen Leben in angemessener Form sich offenbart, er ist ihre
Wahrheit; so erscheint das Ganze als Wille, als Gewolltes. Allein
daraus schließen, daß vor jenem implicirten Willen ein explicirter zu
setzen sei in der Person Gottes, dieß heißt den Sinn jenes dialektischen
Satzes geradezu wieder aufheben und das Räthsel unlösbar machen.
Wenn das Geheimniß der Natur dieß ist, daß sie das, wozu nach unserer
Vorstellung Wille gehört, ohne Willen, also, da Bewußtsein und Denken
im Willen miteinbegriffen sind, ohne Bewußtsein und Denken thut, so
habe ich zur Lösung desselben rein nichts beigetragen, wenn ich sage, es
sei ihr, was sie vollbringe, von einem persönlichen Willen vorgedacht,
vorgewollt; sie muß es ja doch Alles selbst thun, was sie thut, und es
hilft dem Baume nichts, daß ein entferntes Wesen, da er nicht denken
kann, für ihn denkt, er ist dennoch genöthigt, ohne Denken zu thun, wozu
Denken zu gehören scheint. Dieß ist das vergebliche Doppeltsetzen des
Theismus (§. 10, Anm. 1.). Ebenso wenn das Geheimniß der Natur-
schönheit dieß ist, daß sie schön ist, ohne daß doch die Naturkräfte mit
Wissen und Willen auf Schönheit arbeiten, so ist nichts zur Erklärung

iſt in der neueſten Philoſophie, welche über den Pantheismus Hegels
hinausſtrebt, der des Willens, des abſoluten Willens nämlich, durch den
ein perſönlicher Gott die Welt ſetzt. So iſt ein Wille da vor dem
Willen und ein Subject vor dem Subject. Denn erſt über der Natur,
auf ihrer Grundlage und in der Spannung der Thätigkeit gegen ſie iſt
Wille und Subject möglich; erhebt ſich die Natur über ſich ſelbſt in
Subject und Wille, ſo muß ſie freilich ſchon vorher die Möglichkeit von
Subject und Wille ſein, jene Behauptung aber ſetzt wirkliches Subject
und Willen vor dieſe Möglichkeit, ſie ſetzt die reichſte Exiſtenz voraus,
um die einfachſte und ärmſte zu erklären, ſie ſchickt den Geiſt des Ganzen
als einzelne Exiſtenz ſeinem Ganzen voran. Nach demſelben Begriffe
müßte in der Aeſthetik ein das Schöne ſchaffender Wille ſein vor dieſem
Willen, d. h. ein Künſtler müßte da ſein, ehe wir das Naturſchöne haben,
das dem Künſtler vorliegt, in deſſen Angeſichte und in deſſen überwindender
Umbildung der Künſtler erſt wird. Man ſage nicht: jener Künſtler vor
dem Künſtler ſei der abſolute Künſtler oder Gott, und der andere,
menſchliche Künſtler bilde die Schönheit, die jener in der Natur aus-
gebreitet, nach. Denn die Naturſchönheit müßte dann höher ſein als die
Kunſtſchönheit, da doch jede Prüfung derſelben zeigt, daß ſie auf allen
Punkten darum mangelhaft iſt, weil ſie nicht als ſolche gewollt iſt, weil
ſie von keinem Bewußtſein des Schönen herrührt. Gehen wir auf den
allgemeinen dialektiſchen Satz zurück, der hier in Anwendung kommt:
daß in einem Stufenſyſtem die höhere Stufe die Wahrheit der niedrigeren
ſei. Die innere Zweckmäßigkeit in der Natur weist hinauf zu dem Willen,
wie er im geiſtigen Leben in angemeſſener Form ſich offenbart, er iſt ihre
Wahrheit; ſo erſcheint das Ganze als Wille, als Gewolltes. Allein
daraus ſchließen, daß vor jenem implicirten Willen ein explicirter zu
ſetzen ſei in der Perſon Gottes, dieß heißt den Sinn jenes dialektiſchen
Satzes geradezu wieder aufheben und das Räthſel unlösbar machen.
Wenn das Geheimniß der Natur dieß iſt, daß ſie das, wozu nach unſerer
Vorſtellung Wille gehört, ohne Willen, alſo, da Bewußtſein und Denken
im Willen miteinbegriffen ſind, ohne Bewußtſein und Denken thut, ſo
habe ich zur Löſung desſelben rein nichts beigetragen, wenn ich ſage, es
ſei ihr, was ſie vollbringe, von einem perſönlichen Willen vorgedacht,
vorgewollt; ſie muß es ja doch Alles ſelbſt thun, was ſie thut, und es
hilft dem Baume nichts, daß ein entferntes Weſen, da er nicht denken
kann, für ihn denkt, er iſt dennoch genöthigt, ohne Denken zu thun, wozu
Denken zu gehören ſcheint. Dieß iſt das vergebliche Doppeltſetzen des
Theismus (§. 10, Anm. 1.). Ebenſo wenn das Geheimniß der Natur-
ſchönheit dieß iſt, daß ſie ſchön iſt, ohne daß doch die Naturkräfte mit
Wiſſen und Willen auf Schönheit arbeiten, ſo iſt nichts zur Erklärung

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/18>, abgerufen am 23.11.2024.