Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.Bewegungen, deren kein Thier fähig ist. Seine ganze Haltung hat einen 3. Außer den Zähnen Haare und Nägel. Die letzteren, ein Rest §. 318. 1 Wie nun an dieser Gestalt Alles spricht, so ist insbesondere das Haupt Bewegungen, deren kein Thier fähig iſt. Seine ganze Haltung hat einen 3. Außer den Zähnen Haare und Nägel. Die letzteren, ein Reſt §. 318. 1 Wie nun an dieſer Geſtalt Alles ſpricht, ſo iſt insbeſondere das Haupt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <pb facs="#f0174" n="162"/> <hi rendition="#et">Bewegungen, deren kein Thier fähig iſt. Seine ganze Haltung hat einen<lb/><hi rendition="#aq">tonus</hi> der ſtraffſten Lebendigkeit, ſchwebend, wie in Stahlfedern ſich<lb/> ſchwingend. Auch das Pferd wiegt ſich elaſtiſch, aber mit willenloſerem<lb/> Ausdruck, im beweglichen Fußgelenk, das menſchliche iſt feſter, der Fuß<lb/> tritt breiter auf, das ganze Muskelleben aber hebt den Leib mit jenem<lb/> Ausdrucke des Gehe<hi rendition="#g">nwollens</hi>, der erſt den wahren Druck und Schwung<lb/> gibt. Und doch iſt in dieſer emphatiſchen Straffheit Alles weich, warm,<lb/> leicht, mühelos. Insbeſondere zeigt ſich die Schwungfähigkeit im Tanze;<lb/> dieſer aber gehört ſchon in ein höheres Gebiet.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">3. Außer den Zähnen Haare und Nägel. Die letzteren, ein Reſt<lb/> der Hufe, Klauen, ſind durchſichtig geworden, laſſen die Blutfarbe durch-<lb/> ſchimmern, die erſteren, ein Reſt des Pelzes, beſchränken ſich auf Haupt-<lb/> haar, Barthaar, Bruſthaar, Schamhaar, ein beſchattender Anſatz und<lb/> Umgrenzung, der den dunkleren Nachdruck zur hellen Haut gibt, wie die<lb/> Vegetation zur Landſchaft. Ueber das „ideelle Ineinander der Farben, —<lb/> den glanzloſen Seelenduft“ der Haut ſpricht trefflich <hi rendition="#g">Hegel</hi> Aeſth. B. 3.<lb/> S. 71. 72. und erinnert an die feinen Aeußerungen <hi rendition="#g">Diderots</hi> bei <hi rendition="#g">Göthe</hi><lb/> in den „Verſuchen über Malerei mit Noten des Ueberſetzers“ (Göthes<lb/> Werke B. 36). Es erſcheint hier „durchaus keine Elementarfarbe mehr,<lb/> ſondern eine durch organiſche Kochung höchſt bearbeitete Erſcheinung“<lb/> (Göthes Farbenl. §. 670). Es handelt ſich aber nicht blos von Farbe;<lb/> die haarloſe Haut des Menſchen läßt überall die Form ſehen, während<lb/> bei dem Thiere der Pelz ſie bedeckt, was ſie hier, wo weniger ſchön<lb/> vertheilte Muskel-Umkleidung ſtatt findet, wo mehr Knochen eckig heraus-<lb/> ſtehen, zur letzten Abrundung der Linien freilich auch bedarf. Zugleich<lb/> fühlt ſich die Haut warm, ſammten an und dieß ſieht fühlend auch das<lb/> Auge. Ueber dieſe Haut iſt nun natürlich eine zartere Empfindung ver-<lb/> breitet, als über das Fell; ſie ſammelt ſich als Taſtſinn in den Finger-<lb/> ſpitzen zu einer Feinheit, welche dieſer Sinn in keiner Thierpfote haben<lb/> kann, denn da dieſe, auch die Hand des Affen, zum Gehen dient, ſo iſt<lb/> die Haut rauh und ſchwielig.</hi> </p> </div><lb/> <div n="6"> <head>§. 318.</head><lb/> <note place="left"> <hi rendition="#fr">1</hi> </note> <p> <hi rendition="#fr">Wie nun an dieſer Geſtalt Alles ſpricht, ſo iſt insbeſondere das Haupt<lb/> nicht nur die Vereinigung der zu geiſtigem Ausdruck umgebildeten Sinne,<lb/> ſondern überhaupt durch Stellung, Geſtalt, namentlich durch die gedankenvoll<lb/> hervortretende und dadurch die Grundlinie bedingende Stirn der abſolute Sitz<lb/> des unendlichen Ausdrucks, der ſich weſentlich auch durch das Sprachorgan in<lb/><note place="left">2</note>der ſeelenvollen Stimme und in dem articulirten Worte kund gibt. Zugleich<lb/> ſteigert ſich hier die Schönheit der menſchlichen Farbe zum höchſten Zauber.</hi> </p><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [162/0174]
Bewegungen, deren kein Thier fähig iſt. Seine ganze Haltung hat einen
tonus der ſtraffſten Lebendigkeit, ſchwebend, wie in Stahlfedern ſich
ſchwingend. Auch das Pferd wiegt ſich elaſtiſch, aber mit willenloſerem
Ausdruck, im beweglichen Fußgelenk, das menſchliche iſt feſter, der Fuß
tritt breiter auf, das ganze Muskelleben aber hebt den Leib mit jenem
Ausdrucke des Gehenwollens, der erſt den wahren Druck und Schwung
gibt. Und doch iſt in dieſer emphatiſchen Straffheit Alles weich, warm,
leicht, mühelos. Insbeſondere zeigt ſich die Schwungfähigkeit im Tanze;
dieſer aber gehört ſchon in ein höheres Gebiet.
3. Außer den Zähnen Haare und Nägel. Die letzteren, ein Reſt
der Hufe, Klauen, ſind durchſichtig geworden, laſſen die Blutfarbe durch-
ſchimmern, die erſteren, ein Reſt des Pelzes, beſchränken ſich auf Haupt-
haar, Barthaar, Bruſthaar, Schamhaar, ein beſchattender Anſatz und
Umgrenzung, der den dunkleren Nachdruck zur hellen Haut gibt, wie die
Vegetation zur Landſchaft. Ueber das „ideelle Ineinander der Farben, —
den glanzloſen Seelenduft“ der Haut ſpricht trefflich Hegel Aeſth. B. 3.
S. 71. 72. und erinnert an die feinen Aeußerungen Diderots bei Göthe
in den „Verſuchen über Malerei mit Noten des Ueberſetzers“ (Göthes
Werke B. 36). Es erſcheint hier „durchaus keine Elementarfarbe mehr,
ſondern eine durch organiſche Kochung höchſt bearbeitete Erſcheinung“
(Göthes Farbenl. §. 670). Es handelt ſich aber nicht blos von Farbe;
die haarloſe Haut des Menſchen läßt überall die Form ſehen, während
bei dem Thiere der Pelz ſie bedeckt, was ſie hier, wo weniger ſchön
vertheilte Muskel-Umkleidung ſtatt findet, wo mehr Knochen eckig heraus-
ſtehen, zur letzten Abrundung der Linien freilich auch bedarf. Zugleich
fühlt ſich die Haut warm, ſammten an und dieß ſieht fühlend auch das
Auge. Ueber dieſe Haut iſt nun natürlich eine zartere Empfindung ver-
breitet, als über das Fell; ſie ſammelt ſich als Taſtſinn in den Finger-
ſpitzen zu einer Feinheit, welche dieſer Sinn in keiner Thierpfote haben
kann, denn da dieſe, auch die Hand des Affen, zum Gehen dient, ſo iſt
die Haut rauh und ſchwielig.
§. 318.
Wie nun an dieſer Geſtalt Alles ſpricht, ſo iſt insbeſondere das Haupt
nicht nur die Vereinigung der zu geiſtigem Ausdruck umgebildeten Sinne,
ſondern überhaupt durch Stellung, Geſtalt, namentlich durch die gedankenvoll
hervortretende und dadurch die Grundlinie bedingende Stirn der abſolute Sitz
des unendlichen Ausdrucks, der ſich weſentlich auch durch das Sprachorgan in
der ſeelenvollen Stimme und in dem articulirten Worte kund gibt. Zugleich
ſteigert ſich hier die Schönheit der menſchlichen Farbe zum höchſten Zauber.
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