Bewegungen, deren kein Thier fähig ist. Seine ganze Haltung hat einen tonus der straffsten Lebendigkeit, schwebend, wie in Stahlfedern sich schwingend. Auch das Pferd wiegt sich elastisch, aber mit willenloserem Ausdruck, im beweglichen Fußgelenk, das menschliche ist fester, der Fuß tritt breiter auf, das ganze Muskelleben aber hebt den Leib mit jenem Ausdrucke des Gehenwollens, der erst den wahren Druck und Schwung gibt. Und doch ist in dieser emphatischen Straffheit Alles weich, warm, leicht, mühelos. Insbesondere zeigt sich die Schwungfähigkeit im Tanze; dieser aber gehört schon in ein höheres Gebiet.
3. Außer den Zähnen Haare und Nägel. Die letzteren, ein Rest der Hufe, Klauen, sind durchsichtig geworden, lassen die Blutfarbe durch- schimmern, die ersteren, ein Rest des Pelzes, beschränken sich auf Haupt- haar, Barthaar, Brusthaar, Schamhaar, ein beschattender Ansatz und Umgrenzung, der den dunkleren Nachdruck zur hellen Haut gibt, wie die Vegetation zur Landschaft. Ueber das "ideelle Ineinander der Farben, -- den glanzlosen Seelenduft" der Haut spricht trefflich Hegel Aesth. B. 3. S. 71. 72. und erinnert an die feinen Aeußerungen Diderots bei Göthe in den "Versuchen über Malerei mit Noten des Uebersetzers" (Göthes Werke B. 36). Es erscheint hier "durchaus keine Elementarfarbe mehr, sondern eine durch organische Kochung höchst bearbeitete Erscheinung" (Göthes Farbenl. §. 670). Es handelt sich aber nicht blos von Farbe; die haarlose Haut des Menschen läßt überall die Form sehen, während bei dem Thiere der Pelz sie bedeckt, was sie hier, wo weniger schön vertheilte Muskel-Umkleidung statt findet, wo mehr Knochen eckig heraus- stehen, zur letzten Abrundung der Linien freilich auch bedarf. Zugleich fühlt sich die Haut warm, sammten an und dieß sieht fühlend auch das Auge. Ueber diese Haut ist nun natürlich eine zartere Empfindung ver- breitet, als über das Fell; sie sammelt sich als Tastsinn in den Finger- spitzen zu einer Feinheit, welche dieser Sinn in keiner Thierpfote haben kann, denn da diese, auch die Hand des Affen, zum Gehen dient, so ist die Haut rauh und schwielig.
§. 318.
1
Wie nun an dieser Gestalt Alles spricht, so ist insbesondere das Haupt nicht nur die Vereinigung der zu geistigem Ausdruck umgebildeten Sinne, sondern überhaupt durch Stellung, Gestalt, namentlich durch die gedankenvoll hervortretende und dadurch die Grundlinie bedingende Stirn der absolute Sitz des unendlichen Ausdrucks, der sich wesentlich auch durch das Sprachorgan in 2der seelenvollen Stimme und in dem articulirten Worte kund gibt. Zugleich steigert sich hier die Schönheit der menschlichen Farbe zum höchsten Zauber.
Bewegungen, deren kein Thier fähig iſt. Seine ganze Haltung hat einen tonus der ſtraffſten Lebendigkeit, ſchwebend, wie in Stahlfedern ſich ſchwingend. Auch das Pferd wiegt ſich elaſtiſch, aber mit willenloſerem Ausdruck, im beweglichen Fußgelenk, das menſchliche iſt feſter, der Fuß tritt breiter auf, das ganze Muskelleben aber hebt den Leib mit jenem Ausdrucke des Gehenwollens, der erſt den wahren Druck und Schwung gibt. Und doch iſt in dieſer emphatiſchen Straffheit Alles weich, warm, leicht, mühelos. Insbeſondere zeigt ſich die Schwungfähigkeit im Tanze; dieſer aber gehört ſchon in ein höheres Gebiet.
3. Außer den Zähnen Haare und Nägel. Die letzteren, ein Reſt der Hufe, Klauen, ſind durchſichtig geworden, laſſen die Blutfarbe durch- ſchimmern, die erſteren, ein Reſt des Pelzes, beſchränken ſich auf Haupt- haar, Barthaar, Bruſthaar, Schamhaar, ein beſchattender Anſatz und Umgrenzung, der den dunkleren Nachdruck zur hellen Haut gibt, wie die Vegetation zur Landſchaft. Ueber das „ideelle Ineinander der Farben, — den glanzloſen Seelenduft“ der Haut ſpricht trefflich Hegel Aeſth. B. 3. S. 71. 72. und erinnert an die feinen Aeußerungen Diderots bei Göthe in den „Verſuchen über Malerei mit Noten des Ueberſetzers“ (Göthes Werke B. 36). Es erſcheint hier „durchaus keine Elementarfarbe mehr, ſondern eine durch organiſche Kochung höchſt bearbeitete Erſcheinung“ (Göthes Farbenl. §. 670). Es handelt ſich aber nicht blos von Farbe; die haarloſe Haut des Menſchen läßt überall die Form ſehen, während bei dem Thiere der Pelz ſie bedeckt, was ſie hier, wo weniger ſchön vertheilte Muskel-Umkleidung ſtatt findet, wo mehr Knochen eckig heraus- ſtehen, zur letzten Abrundung der Linien freilich auch bedarf. Zugleich fühlt ſich die Haut warm, ſammten an und dieß ſieht fühlend auch das Auge. Ueber dieſe Haut iſt nun natürlich eine zartere Empfindung ver- breitet, als über das Fell; ſie ſammelt ſich als Taſtſinn in den Finger- ſpitzen zu einer Feinheit, welche dieſer Sinn in keiner Thierpfote haben kann, denn da dieſe, auch die Hand des Affen, zum Gehen dient, ſo iſt die Haut rauh und ſchwielig.
§. 318.
1
Wie nun an dieſer Geſtalt Alles ſpricht, ſo iſt insbeſondere das Haupt nicht nur die Vereinigung der zu geiſtigem Ausdruck umgebildeten Sinne, ſondern überhaupt durch Stellung, Geſtalt, namentlich durch die gedankenvoll hervortretende und dadurch die Grundlinie bedingende Stirn der abſolute Sitz des unendlichen Ausdrucks, der ſich weſentlich auch durch das Sprachorgan in 2der ſeelenvollen Stimme und in dem articulirten Worte kund gibt. Zugleich ſteigert ſich hier die Schönheit der menſchlichen Farbe zum höchſten Zauber.
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tonus der ſtraffſten Lebendigkeit, ſchwebend, wie in Stahlfedern ſich
ſchwingend. Auch das Pferd wiegt ſich elaſtiſch, aber mit willenloſerem
Ausdruck, im beweglichen Fußgelenk, das menſchliche iſt feſter, der Fuß
tritt breiter auf, das ganze Muskelleben aber hebt den Leib mit jenem
Ausdrucke des Gehenwollens, der erſt den wahren Druck und Schwung
gibt. Und doch iſt in dieſer emphatiſchen Straffheit Alles weich, warm,
leicht, mühelos. Insbeſondere zeigt ſich die Schwungfähigkeit im Tanze;
dieſer aber gehört ſchon in ein höheres Gebiet.
3. Außer den Zähnen Haare und Nägel. Die letzteren, ein Reſt
der Hufe, Klauen, ſind durchſichtig geworden, laſſen die Blutfarbe durch-
ſchimmern, die erſteren, ein Reſt des Pelzes, beſchränken ſich auf Haupt-
haar, Barthaar, Bruſthaar, Schamhaar, ein beſchattender Anſatz und
Umgrenzung, der den dunkleren Nachdruck zur hellen Haut gibt, wie die
Vegetation zur Landſchaft. Ueber das „ideelle Ineinander der Farben, —
den glanzloſen Seelenduft“ der Haut ſpricht trefflich Hegel Aeſth. B. 3.
S. 71. 72. und erinnert an die feinen Aeußerungen Diderots bei Göthe
in den „Verſuchen über Malerei mit Noten des Ueberſetzers“ (Göthes
Werke B. 36). Es erſcheint hier „durchaus keine Elementarfarbe mehr,
ſondern eine durch organiſche Kochung höchſt bearbeitete Erſcheinung“
(Göthes Farbenl. §. 670). Es handelt ſich aber nicht blos von Farbe;
die haarloſe Haut des Menſchen läßt überall die Form ſehen, während
bei dem Thiere der Pelz ſie bedeckt, was ſie hier, wo weniger ſchön
vertheilte Muskel-Umkleidung ſtatt findet, wo mehr Knochen eckig heraus-
ſtehen, zur letzten Abrundung der Linien freilich auch bedarf. Zugleich
fühlt ſich die Haut warm, ſammten an und dieß ſieht fühlend auch das
Auge. Ueber dieſe Haut iſt nun natürlich eine zartere Empfindung ver-
breitet, als über das Fell; ſie ſammelt ſich als Taſtſinn in den Finger-
ſpitzen zu einer Feinheit, welche dieſer Sinn in keiner Thierpfote haben
kann, denn da dieſe, auch die Hand des Affen, zum Gehen dient, ſo iſt
die Haut rauh und ſchwielig.
§. 318.
Wie nun an dieſer Geſtalt Alles ſpricht, ſo iſt insbeſondere das Haupt
nicht nur die Vereinigung der zu geiſtigem Ausdruck umgebildeten Sinne,
ſondern überhaupt durch Stellung, Geſtalt, namentlich durch die gedankenvoll
hervortretende und dadurch die Grundlinie bedingende Stirn der abſolute Sitz
des unendlichen Ausdrucks, der ſich weſentlich auch durch das Sprachorgan in
der ſeelenvollen Stimme und in dem articulirten Worte kund gibt. Zugleich
ſteigert ſich hier die Schönheit der menſchlichen Farbe zum höchſten Zauber.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/174>, abgerufen am 22.02.2025.
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