Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
er mißhandelt wird, aber er trägt es nicht nach, während er für Wohl- 3. Keine Thierart zeigt so viele Racen mit besonderen Formen und
er mißhandelt wird, aber er trägt es nicht nach, während er für Wohl- 3. Keine Thierart zeigt ſo viele Racen mit beſonderen Formen und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0166" n="154"/> er mißhandelt wird, aber er trägt es nicht nach, während er für Wohl-<lb/> thaten das treuſte Gedächtniß hat. Der Hund hat ſolchen Ordnungsſinn,<lb/> daß er nicht nur den Dieb und Räuber, ſondern auch den lumpig Geklei-<lb/> deten, ſelbſt den Anſtändigen, der ſchlechten Gang und ſchlotternde Stiefel<lb/> hat, den Rauſchigen angreift. Um ſeiner ſchmutzigen Sitten willen hat<lb/> er den Namen Cyniſmus hergeben müſſen. Nicht leicht iſt ein Thier in<lb/> der Verrichtung der Bedürfniſſe, Anknüpfung der gegenſeitigen Bekannt-<lb/> ſchaften daran und der Begattung ſo ſchamlos. Er hat freilich dadurch<lb/> etwas Gemeines, Hausknechtsmäßiges, weil er aber gut iſt, gibt es zu<lb/> lachen; dazu trägt er mit eigenem Humor, denn er ſpielt gern und treibt<lb/> Poſſen, ſo viel als möglich bei. Er iſt nicht kokett, aber etwas Renommiſt:<lb/> wo ausgegangen, geritten, gefahren wird, zeigt er mit prahleriſchem<lb/> Lärm an, daß er auch dabei iſt; wenn er dem Herrn etwas tragen darf,<lb/> ſtarrt ihm der Schweif hoch, richtet ſich der Hals vor Stolz auf. Wenn<lb/> er aber Dienſt hat, tritt die gemeſſenſte Amtswürde ein. Auf die Liebe<lb/> ſeines Herrn iſt er mit Recht höchſt eiferſüchtig. — <hi rendition="#g">Plato</hi> ſagt vom Hunde:<lb/> κομψόνγε φαίνεται τὸ πάϑος αὐτοῦ τῆς φύσεως καὶ ὡς ἀληϑῶς<lb/> φιλόσοφον. (<hi rendition="#aq">de repub. L. II</hi>).</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">3. Keine Thierart zeigt ſo viele Racen mit beſonderen Formen und<lb/> Charakteren, die anderen Thierarten und menſchlichen Charaktertypen ent-<lb/> ſprechen. Im Allgemeinen laſſen ſich drei Hauptformen unterſcheiden:<lb/> die hohe, ſchlanke Race der Windhunde, Schäferhunde u. ſ. w. mit langem,<lb/> ſpitzem Kopf, hechtähnlich und raubvogelähnlich; als anderes Extrem die<lb/> breitköpfigen, kurzſchnautzigen, muſculöſen Doggen, Bullen u. ſ. w., ſtier-<lb/> ähnlich; in der Mitte ſtehen die vielerlei Arten mit breiter Stirn, aber<lb/> etwas vorgezogener Schnauze, eingebogenem Profil: Spitz- und Jagdhunde,<lb/> Neufoundländer, Bracken u. ſ. w. Eigenthümlich iſt aber dann die Er-<lb/> ſcheinung, daß mehrfach eine und dieſelbe Form in verſchiedener Größe ſich<lb/> wiederholt: ſo der kleine Mops, mittelgroß die gelbe Bulldogge, noch größer<lb/> der (faſt verſchwundene) gelbe deutſche Bullenbeißer, alle von derſelben<lb/> Form; der Pincher, ihm ähnlich der mittelgroße Schweißhund und der<lb/> größere, ſchwarze, über den Augen gelb getupfte und an den Extremitäten<lb/> gelbe Metzgerhund. Theils die Racen im Großen, theils einzelne ihrer<lb/> Unterarten erſcheinen als ſpielende Wiederholung anderer Thiergeſchlechter. In<lb/> Beziehung auf jene ſind dieſe Analogieen ſo eben angedeutet, in Beziehung<lb/> auf die zweiten ſetzen wir hinzu: löwenartig ſind Bologneſer, Spitz, Pudel,<lb/> rehartig iſt der Pincher, wolfartig der Schäferhund, der langhaarige Ratten-<lb/> fänger, bärenartig der Neufoundländer, ſchlangenköpfig die Dogge, eidechſen-<lb/> ähnlich der Dachshund, adlerähnlich, in den ſchönen Wellen ſeines Laufs<lb/> aber delphinartig der Windhund u. ſ. w. Charaktertypen in der größten<lb/> Mannigfaltigkeit: Naſeweisheit des Rattenfängers, Leidenſchaftlichkeit des<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [154/0166]
er mißhandelt wird, aber er trägt es nicht nach, während er für Wohl-
thaten das treuſte Gedächtniß hat. Der Hund hat ſolchen Ordnungsſinn,
daß er nicht nur den Dieb und Räuber, ſondern auch den lumpig Geklei-
deten, ſelbſt den Anſtändigen, der ſchlechten Gang und ſchlotternde Stiefel
hat, den Rauſchigen angreift. Um ſeiner ſchmutzigen Sitten willen hat
er den Namen Cyniſmus hergeben müſſen. Nicht leicht iſt ein Thier in
der Verrichtung der Bedürfniſſe, Anknüpfung der gegenſeitigen Bekannt-
ſchaften daran und der Begattung ſo ſchamlos. Er hat freilich dadurch
etwas Gemeines, Hausknechtsmäßiges, weil er aber gut iſt, gibt es zu
lachen; dazu trägt er mit eigenem Humor, denn er ſpielt gern und treibt
Poſſen, ſo viel als möglich bei. Er iſt nicht kokett, aber etwas Renommiſt:
wo ausgegangen, geritten, gefahren wird, zeigt er mit prahleriſchem
Lärm an, daß er auch dabei iſt; wenn er dem Herrn etwas tragen darf,
ſtarrt ihm der Schweif hoch, richtet ſich der Hals vor Stolz auf. Wenn
er aber Dienſt hat, tritt die gemeſſenſte Amtswürde ein. Auf die Liebe
ſeines Herrn iſt er mit Recht höchſt eiferſüchtig. — Plato ſagt vom Hunde:
κομψόνγε φαίνεται τὸ πάϑος αὐτοῦ τῆς φύσεως καὶ ὡς ἀληϑῶς
φιλόσοφον. (de repub. L. II).
3. Keine Thierart zeigt ſo viele Racen mit beſonderen Formen und
Charakteren, die anderen Thierarten und menſchlichen Charaktertypen ent-
ſprechen. Im Allgemeinen laſſen ſich drei Hauptformen unterſcheiden:
die hohe, ſchlanke Race der Windhunde, Schäferhunde u. ſ. w. mit langem,
ſpitzem Kopf, hechtähnlich und raubvogelähnlich; als anderes Extrem die
breitköpfigen, kurzſchnautzigen, muſculöſen Doggen, Bullen u. ſ. w., ſtier-
ähnlich; in der Mitte ſtehen die vielerlei Arten mit breiter Stirn, aber
etwas vorgezogener Schnauze, eingebogenem Profil: Spitz- und Jagdhunde,
Neufoundländer, Bracken u. ſ. w. Eigenthümlich iſt aber dann die Er-
ſcheinung, daß mehrfach eine und dieſelbe Form in verſchiedener Größe ſich
wiederholt: ſo der kleine Mops, mittelgroß die gelbe Bulldogge, noch größer
der (faſt verſchwundene) gelbe deutſche Bullenbeißer, alle von derſelben
Form; der Pincher, ihm ähnlich der mittelgroße Schweißhund und der
größere, ſchwarze, über den Augen gelb getupfte und an den Extremitäten
gelbe Metzgerhund. Theils die Racen im Großen, theils einzelne ihrer
Unterarten erſcheinen als ſpielende Wiederholung anderer Thiergeſchlechter. In
Beziehung auf jene ſind dieſe Analogieen ſo eben angedeutet, in Beziehung
auf die zweiten ſetzen wir hinzu: löwenartig ſind Bologneſer, Spitz, Pudel,
rehartig iſt der Pincher, wolfartig der Schäferhund, der langhaarige Ratten-
fänger, bärenartig der Neufoundländer, ſchlangenköpfig die Dogge, eidechſen-
ähnlich der Dachshund, adlerähnlich, in den ſchönen Wellen ſeines Laufs
aber delphinartig der Windhund u. ſ. w. Charaktertypen in der größten
Mannigfaltigkeit: Naſeweisheit des Rattenfängers, Leidenſchaftlichkeit des
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