Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.§. 309. 1 Die zweite Ordnung umfaßt die fast durchaus gehörnten, auf gespaltene 1. Die Wiederkäuer sind das vorzugsweise genährige Thiergeschlecht, 2. Es war nicht Raum, die wilden Stiere -- denn durchgängig §. 309. 1 Die zweite Ordnung umfaßt die faſt durchaus gehörnten, auf geſpaltene 1. Die Wiederkäuer ſind das vorzugsweiſe genährige Thiergeſchlecht, 2. Es war nicht Raum, die wilden Stiere — denn durchgängig <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0158" n="146"/> <div n="5"> <head>§. 309.</head><lb/> <note place="left"> <hi rendition="#fr">1</hi> </note> <p> <hi rendition="#fr">Die zweite Ordnung umfaßt die faſt durchaus gehörnten, auf geſpaltene<lb/> Hufe geſtellten, im Durchſchnitt mit ſehr beſchränktem Inſtincte begabten<lb/><note place="left">2</note><hi rendition="#g">Wiederkäuer</hi>. Sie theilt ſich in das Geſchlecht der maſſigen, ſtarken, am<lb/> Hinterleib häßlich gebauten und die Hinterfüße nachſchleppenden, nach vornen<lb/> zu Druck und Stoß, an Wamme, Nacken, Bruſt, Schulter mächtig und ſchön<lb/> entwickelten, breitſtirnigen, großaugigen, horngeſchmückten, dumpfen, doch im<lb/> Zorn furchtbaren <hi rendition="#g">Rinder</hi>, deren glatthaariger zähmbarer Theil geduldig, doch<lb/><note place="left">3</note>auch ſtörriſch und ſtößig iſt, und in das durchaus weniger maſſige, ſchlankere,<lb/><hi rendition="#g">ziegenartige</hi> Geſchlecht: die wolligen, gähnenden, ſtets weidenden, dummen,<lb/> ſtrenggeſelligen Schaafe, die geilen, naſchhaften, bärtigen, zottigen, aufgeweckteren<lb/> und ſtoßluſtigen eigentlichen Ziegen, nebſt dem größeren, höckerigten, langhalſig<lb/> vorgeſtreckten, hornlos und widerſtandslos dienenden Kameele mit der gebogenen<lb/> Geſichtslinie und dem hängenden Maule, die ſchwungvoll und zierlich gebauten,<lb/> leichtfüßigen, ſchlankhalſigen, ſchönaugigen, furchtſamen, waldliebenden, mit<lb/> ſtolzem Geweih gezierten Hirſche mit Nehen, Gemſen, woneben die ſeltſame<lb/> Geſtalt der Giraffe auftritt.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">1. Die Wiederkäuer ſind das vorzugsweiſe genährige Thiergeſchlecht,<lb/> das in ſeiner Weideluſt das maſtige, ſich ſelbſt genießende, gedeihliche<lb/> Naturleben darſtellt, am meiſten im Geſchlechte der Rinder. Dieſer<lb/> Charakter iſt bei allen ſchon durch die großen Kinnbacken angezeigt. Außer<lb/> dem Kameele ſind alle Wiederkäuer gehörnt und die Form der Hörner iſt<lb/> ſehr entſcheidend für die Phyſiognomie dieſer Thiere.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">2. Es war nicht Raum, die wilden Stiere — denn durchgängig<lb/> begleitet uns der Gegenſatz des Wilden und Zahmen —, den Auerochſen<lb/> (Urochſen, Wiſant), die amerikaniſche Art deſſelben, den zähmbareren<lb/> Büffel, ihre dunklere Farbe, zottiges Fell, dumpfen, wilden Blick u. ſ. w.<lb/> beſonders hervorzuheben, ebenſowenig den Gegenſatz zwiſchen dem ſüdlichen<lb/> Hausochſen mit den ungleich freieren, losgewickelteren Formen, größeren<lb/> Hörnern und dem nördlichen: ein Gegenſatz, der auch dem der Pflanzen-<lb/> welt (§. 279) entſpricht. — Bei den Rindern drängt die ganze Geſtalt<lb/> nach vornen, nicht in der Maſſe, denn der Bauch iſt ſehr dick und macht<lb/> die Geſtalt ſchwerfällig, ſondern in der Kraft, daher iſt die hinterſte<lb/> Parthie mit der eingeſunkenen Schüſſel des Afters, den Hinterfüßen, die<lb/> ſich im Halbkreiſe drehen müſſen, um nachzukommen, die ſchlechteſte. In<lb/> einem Fragmente zu <hi rendition="#g">Lavaters</hi> Phyſiognomik ſagt <hi rendition="#g">Göthe</hi> ſehr treffend<lb/> vom Rinde, es diene dem Menſchen „in geruhiger Würde.“ Die großen<lb/> klotzenden Augen werden im Zorn, indem ſie ihr blutrothes Weiß hervor-<lb/> drehen, furchtbar. Wie beſchränkt die Seele dieſer Thiere iſt, geht ſchon<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [146/0158]
§. 309.
Die zweite Ordnung umfaßt die faſt durchaus gehörnten, auf geſpaltene
Hufe geſtellten, im Durchſchnitt mit ſehr beſchränktem Inſtincte begabten
Wiederkäuer. Sie theilt ſich in das Geſchlecht der maſſigen, ſtarken, am
Hinterleib häßlich gebauten und die Hinterfüße nachſchleppenden, nach vornen
zu Druck und Stoß, an Wamme, Nacken, Bruſt, Schulter mächtig und ſchön
entwickelten, breitſtirnigen, großaugigen, horngeſchmückten, dumpfen, doch im
Zorn furchtbaren Rinder, deren glatthaariger zähmbarer Theil geduldig, doch
auch ſtörriſch und ſtößig iſt, und in das durchaus weniger maſſige, ſchlankere,
ziegenartige Geſchlecht: die wolligen, gähnenden, ſtets weidenden, dummen,
ſtrenggeſelligen Schaafe, die geilen, naſchhaften, bärtigen, zottigen, aufgeweckteren
und ſtoßluſtigen eigentlichen Ziegen, nebſt dem größeren, höckerigten, langhalſig
vorgeſtreckten, hornlos und widerſtandslos dienenden Kameele mit der gebogenen
Geſichtslinie und dem hängenden Maule, die ſchwungvoll und zierlich gebauten,
leichtfüßigen, ſchlankhalſigen, ſchönaugigen, furchtſamen, waldliebenden, mit
ſtolzem Geweih gezierten Hirſche mit Nehen, Gemſen, woneben die ſeltſame
Geſtalt der Giraffe auftritt.
1. Die Wiederkäuer ſind das vorzugsweiſe genährige Thiergeſchlecht,
das in ſeiner Weideluſt das maſtige, ſich ſelbſt genießende, gedeihliche
Naturleben darſtellt, am meiſten im Geſchlechte der Rinder. Dieſer
Charakter iſt bei allen ſchon durch die großen Kinnbacken angezeigt. Außer
dem Kameele ſind alle Wiederkäuer gehörnt und die Form der Hörner iſt
ſehr entſcheidend für die Phyſiognomie dieſer Thiere.
2. Es war nicht Raum, die wilden Stiere — denn durchgängig
begleitet uns der Gegenſatz des Wilden und Zahmen —, den Auerochſen
(Urochſen, Wiſant), die amerikaniſche Art deſſelben, den zähmbareren
Büffel, ihre dunklere Farbe, zottiges Fell, dumpfen, wilden Blick u. ſ. w.
beſonders hervorzuheben, ebenſowenig den Gegenſatz zwiſchen dem ſüdlichen
Hausochſen mit den ungleich freieren, losgewickelteren Formen, größeren
Hörnern und dem nördlichen: ein Gegenſatz, der auch dem der Pflanzen-
welt (§. 279) entſpricht. — Bei den Rindern drängt die ganze Geſtalt
nach vornen, nicht in der Maſſe, denn der Bauch iſt ſehr dick und macht
die Geſtalt ſchwerfällig, ſondern in der Kraft, daher iſt die hinterſte
Parthie mit der eingeſunkenen Schüſſel des Afters, den Hinterfüßen, die
ſich im Halbkreiſe drehen müſſen, um nachzukommen, die ſchlechteſte. In
einem Fragmente zu Lavaters Phyſiognomik ſagt Göthe ſehr treffend
vom Rinde, es diene dem Menſchen „in geruhiger Würde.“ Die großen
klotzenden Augen werden im Zorn, indem ſie ihr blutrothes Weiß hervor-
drehen, furchtbar. Wie beſchränkt die Seele dieſer Thiere iſt, geht ſchon
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