welchem nicht nur Kopf, Brust und Rumpf ununterbrochen ineinanderfließen, sondern selbst die Glieder, als Floßen nur zum Rudern, nicht zum Greifen oder Anderem bestimmt, ohne selbständigere Abhebung an das Ganze gelegt sind. Der Kopf, horizontal vorgestreckt, spricht durch das schnappende Maul Gefräßigkeit als Haupteigenschaft aus, im klotzenden Auge wohnt Dummheit, der Mangel an Concentration der Empfindung überhaupt verräth sich in der Stummheit. Durch diese Eigenschaften wäre der Fisch wildfremd und unschön, wenn nicht sein austrengungsloses Schweben im behaglich tragenden Elemente Wohligkeit ausdrückte, seine Bewegungen, seine raschen Windungen schöne Linien dar- stellten, seine Schuppen durch Glanz und Farbe prangten.
Zu dieser allgemeinen Charakteristik des Fisches ist wenig zu fügen. Das Auge wäre durch seinen Silber- und Goldglanz schön, aber es hat keine Lider und "muß daher wider Willen sehen" (Oken); dieß gibt dem Fisch seinen klotzenden Ausdruck und ist ein Hauptgrund, warum kein höheres Thier bei so großer Unähnlichkeit mit dem Menschen ihm so verzerrt ähnlich vorkommt: es erinnert nämlich durchaus im ersten Anblick an einen Menschen, der in stumpfer, stierer Verwunderung die Augen aufreißt. Dieß Auge ist es namentlich, das die Dummheit des Fisches ausspricht. Es fehlt ihm nicht an einiger List, allein seine Seele ist doch so ungetheilt und gedrückt, wie sein Leib. Alle jungen Thiere spielen, kein Fisch; nur hin und wieder meint man an den raschen Schüssen der Forelle und anderer kleiner Fische etwas Scherz und Muthwillen zu bemerken. Die weiteren Ursachen der Unschönheit spricht der §. aus. Unter die Momente, welche mit dieser versöhnen, könnte unter gewissen Bedingungen auch die Gestalt abgesehen von der Bewegung aufgenommen werden. Sobald man sie an die der anderen höheren Thiere oder gar die mensch- liche hält, so hat man ein Gefühl, als sollte man sich mit abgehauenen Armen und Füßen bewegen; sobald man sie aber mit dem Insect ver- gleicht, so erscheint sie wohlthuend satt, ganz, voll, zeigt hübsch geschwungene Linien und verläuft sich nach hinten in die angenehm gezeichnete Gabel der Schwanzfloßen. Der §. konnte sich dabei nur nicht aufhalten, weil er zu dem wichtigeren fortzueilen hatte, wo er dann an eine bekannte Stelle in Göthes Fischer erinnert, dann die schönen Wellenformen der Bewegung, endlich die Farbe hervorhebt. Die Schuppen, dachziegelartig ineinander geschoben, sind an sich eine zwar noch mineral- oder vegetabilienartige, doch solide, wohl- gefügte allgemeine Bekleidung. Sie haben Perlmutterglanz, was an die Verwandtschaft mit den Schaalthieren erinnert (Göthe Farbenl. §. 644). Neben Grau und Weiß kommen alle Farben in Streifen, Flecken, Tupfen in voller Pracht, feurigem Metallglanz, den feinsten Tönen und Schattirungen vor und werden durch die Reflexe des durchsichtigen Elements noch erhöht.
welchem nicht nur Kopf, Bruſt und Rumpf ununterbrochen ineinanderfließen, ſondern ſelbſt die Glieder, als Floßen nur zum Rudern, nicht zum Greifen oder Anderem beſtimmt, ohne ſelbſtändigere Abhebung an das Ganze gelegt ſind. Der Kopf, horizontal vorgeſtreckt, ſpricht durch das ſchnappende Maul Gefräßigkeit als Haupteigenſchaft aus, im klotzenden Auge wohnt Dummheit, der Mangel an Concentration der Empfindung überhaupt verräth ſich in der Stummheit. Durch dieſe Eigenſchaften wäre der Fiſch wildfremd und unſchön, wenn nicht ſein auſtrengungsloſes Schweben im behaglich tragenden Elemente Wohligkeit ausdrückte, ſeine Bewegungen, ſeine raſchen Windungen ſchöne Linien dar- ſtellten, ſeine Schuppen durch Glanz und Farbe prangten.
Zu dieſer allgemeinen Charakteriſtik des Fiſches iſt wenig zu fügen. Das Auge wäre durch ſeinen Silber- und Goldglanz ſchön, aber es hat keine Lider und „muß daher wider Willen ſehen“ (Oken); dieß gibt dem Fiſch ſeinen klotzenden Ausdruck und iſt ein Hauptgrund, warum kein höheres Thier bei ſo großer Unähnlichkeit mit dem Menſchen ihm ſo verzerrt ähnlich vorkommt: es erinnert nämlich durchaus im erſten Anblick an einen Menſchen, der in ſtumpfer, ſtierer Verwunderung die Augen aufreißt. Dieß Auge iſt es namentlich, das die Dummheit des Fiſches ausſpricht. Es fehlt ihm nicht an einiger Liſt, allein ſeine Seele iſt doch ſo ungetheilt und gedrückt, wie ſein Leib. Alle jungen Thiere ſpielen, kein Fiſch; nur hin und wieder meint man an den raſchen Schüſſen der Forelle und anderer kleiner Fiſche etwas Scherz und Muthwillen zu bemerken. Die weiteren Urſachen der Unſchönheit ſpricht der §. aus. Unter die Momente, welche mit dieſer verſöhnen, könnte unter gewiſſen Bedingungen auch die Geſtalt abgeſehen von der Bewegung aufgenommen werden. Sobald man ſie an die der anderen höheren Thiere oder gar die menſch- liche hält, ſo hat man ein Gefühl, als ſollte man ſich mit abgehauenen Armen und Füßen bewegen; ſobald man ſie aber mit dem Inſect ver- gleicht, ſo erſcheint ſie wohlthuend ſatt, ganz, voll, zeigt hübſch geſchwungene Linien und verläuft ſich nach hinten in die angenehm gezeichnete Gabel der Schwanzfloßen. Der §. konnte ſich dabei nur nicht aufhalten, weil er zu dem wichtigeren fortzueilen hatte, wo er dann an eine bekannte Stelle in Göthes Fiſcher erinnert, dann die ſchönen Wellenformen der Bewegung, endlich die Farbe hervorhebt. Die Schuppen, dachziegelartig ineinander geſchoben, ſind an ſich eine zwar noch mineral- oder vegetabilienartige, doch ſolide, wohl- gefügte allgemeine Bekleidung. Sie haben Perlmutterglanz, was an die Verwandtſchaft mit den Schaalthieren erinnert (Göthe Farbenl. §. 644). Neben Grau und Weiß kommen alle Farben in Streifen, Flecken, Tupfen in voller Pracht, feurigem Metallglanz, den feinſten Tönen und Schattirungen vor und werden durch die Reflexe des durchſichtigen Elements noch erhöht.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0142"n="130"/><hirendition="#fr">welchem nicht nur Kopf, Bruſt und Rumpf ununterbrochen ineinanderfließen,<lb/>ſondern ſelbſt die Glieder, als Floßen nur zum Rudern, nicht zum Greifen oder<lb/>
Anderem beſtimmt, ohne ſelbſtändigere Abhebung an das Ganze gelegt ſind.<lb/>
Der Kopf, horizontal vorgeſtreckt, ſpricht durch das ſchnappende Maul Gefräßigkeit<lb/>
als Haupteigenſchaft aus, im klotzenden Auge wohnt Dummheit, der Mangel<lb/>
an Concentration der Empfindung überhaupt verräth ſich in der Stummheit.<lb/>
Durch dieſe Eigenſchaften wäre der Fiſch wildfremd und unſchön, wenn nicht<lb/>ſein auſtrengungsloſes Schweben im behaglich tragenden Elemente Wohligkeit<lb/>
ausdrückte, ſeine Bewegungen, ſeine raſchen Windungen ſchöne Linien dar-<lb/>ſtellten, ſeine Schuppen durch Glanz und Farbe prangten.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">Zu dieſer allgemeinen Charakteriſtik des Fiſches iſt wenig zu fügen.<lb/>
Das Auge wäre durch ſeinen Silber- und Goldglanz ſchön, aber es hat<lb/>
keine Lider und „muß daher wider Willen ſehen“ (Oken); dieß gibt dem<lb/>
Fiſch ſeinen klotzenden Ausdruck und iſt ein Hauptgrund, warum kein<lb/>
höheres Thier bei ſo großer Unähnlichkeit mit dem Menſchen ihm ſo<lb/>
verzerrt ähnlich vorkommt: es erinnert nämlich durchaus im erſten Anblick<lb/>
an einen Menſchen, der in ſtumpfer, ſtierer Verwunderung die Augen<lb/>
aufreißt. Dieß Auge iſt es namentlich, das die Dummheit des Fiſches<lb/>
ausſpricht. Es fehlt ihm nicht an einiger Liſt, allein ſeine Seele iſt doch<lb/>ſo ungetheilt und gedrückt, wie ſein Leib. Alle jungen Thiere ſpielen,<lb/>
kein Fiſch; nur hin und wieder meint man an den raſchen Schüſſen der<lb/>
Forelle und anderer kleiner Fiſche etwas Scherz und Muthwillen zu bemerken.<lb/>
Die weiteren Urſachen der Unſchönheit ſpricht der §. aus. Unter die<lb/>
Momente, welche mit dieſer verſöhnen, könnte unter gewiſſen Bedingungen<lb/>
auch die Geſtalt abgeſehen von der Bewegung aufgenommen werden.<lb/>
Sobald man ſie an die der anderen höheren Thiere oder gar die menſch-<lb/>
liche hält, ſo hat man ein Gefühl, als ſollte man ſich mit abgehauenen<lb/>
Armen und Füßen bewegen; ſobald man ſie aber mit dem Inſect ver-<lb/>
gleicht, ſo erſcheint ſie wohlthuend ſatt, ganz, voll, zeigt hübſch geſchwungene<lb/>
Linien und verläuft ſich nach hinten in die angenehm gezeichnete Gabel der<lb/>
Schwanzfloßen. Der §. konnte ſich dabei nur nicht aufhalten, weil er zu dem<lb/>
wichtigeren fortzueilen hatte, wo er dann an eine bekannte Stelle in Göthes<lb/>
Fiſcher erinnert, dann die ſchönen Wellenformen der Bewegung, endlich die<lb/>
Farbe hervorhebt. Die Schuppen, dachziegelartig ineinander geſchoben, ſind<lb/>
an ſich eine zwar noch mineral- oder vegetabilienartige, doch ſolide, wohl-<lb/>
gefügte allgemeine Bekleidung. Sie haben Perlmutterglanz, was an die<lb/>
Verwandtſchaft mit den Schaalthieren erinnert (<hirendition="#g">Göthe</hi> Farbenl. §. 644).<lb/>
Neben Grau und Weiß kommen alle Farben in Streifen, Flecken, Tupfen in<lb/>
voller Pracht, feurigem Metallglanz, den feinſten Tönen und Schattirungen<lb/>
vor und werden durch die Reflexe des durchſichtigen Elements noch erhöht.</hi></p></div><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[130/0142]
welchem nicht nur Kopf, Bruſt und Rumpf ununterbrochen ineinanderfließen,
ſondern ſelbſt die Glieder, als Floßen nur zum Rudern, nicht zum Greifen oder
Anderem beſtimmt, ohne ſelbſtändigere Abhebung an das Ganze gelegt ſind.
Der Kopf, horizontal vorgeſtreckt, ſpricht durch das ſchnappende Maul Gefräßigkeit
als Haupteigenſchaft aus, im klotzenden Auge wohnt Dummheit, der Mangel
an Concentration der Empfindung überhaupt verräth ſich in der Stummheit.
Durch dieſe Eigenſchaften wäre der Fiſch wildfremd und unſchön, wenn nicht
ſein auſtrengungsloſes Schweben im behaglich tragenden Elemente Wohligkeit
ausdrückte, ſeine Bewegungen, ſeine raſchen Windungen ſchöne Linien dar-
ſtellten, ſeine Schuppen durch Glanz und Farbe prangten.
Zu dieſer allgemeinen Charakteriſtik des Fiſches iſt wenig zu fügen.
Das Auge wäre durch ſeinen Silber- und Goldglanz ſchön, aber es hat
keine Lider und „muß daher wider Willen ſehen“ (Oken); dieß gibt dem
Fiſch ſeinen klotzenden Ausdruck und iſt ein Hauptgrund, warum kein
höheres Thier bei ſo großer Unähnlichkeit mit dem Menſchen ihm ſo
verzerrt ähnlich vorkommt: es erinnert nämlich durchaus im erſten Anblick
an einen Menſchen, der in ſtumpfer, ſtierer Verwunderung die Augen
aufreißt. Dieß Auge iſt es namentlich, das die Dummheit des Fiſches
ausſpricht. Es fehlt ihm nicht an einiger Liſt, allein ſeine Seele iſt doch
ſo ungetheilt und gedrückt, wie ſein Leib. Alle jungen Thiere ſpielen,
kein Fiſch; nur hin und wieder meint man an den raſchen Schüſſen der
Forelle und anderer kleiner Fiſche etwas Scherz und Muthwillen zu bemerken.
Die weiteren Urſachen der Unſchönheit ſpricht der §. aus. Unter die
Momente, welche mit dieſer verſöhnen, könnte unter gewiſſen Bedingungen
auch die Geſtalt abgeſehen von der Bewegung aufgenommen werden.
Sobald man ſie an die der anderen höheren Thiere oder gar die menſch-
liche hält, ſo hat man ein Gefühl, als ſollte man ſich mit abgehauenen
Armen und Füßen bewegen; ſobald man ſie aber mit dem Inſect ver-
gleicht, ſo erſcheint ſie wohlthuend ſatt, ganz, voll, zeigt hübſch geſchwungene
Linien und verläuft ſich nach hinten in die angenehm gezeichnete Gabel der
Schwanzfloßen. Der §. konnte ſich dabei nur nicht aufhalten, weil er zu dem
wichtigeren fortzueilen hatte, wo er dann an eine bekannte Stelle in Göthes
Fiſcher erinnert, dann die ſchönen Wellenformen der Bewegung, endlich die
Farbe hervorhebt. Die Schuppen, dachziegelartig ineinander geſchoben, ſind
an ſich eine zwar noch mineral- oder vegetabilienartige, doch ſolide, wohl-
gefügte allgemeine Bekleidung. Sie haben Perlmutterglanz, was an die
Verwandtſchaft mit den Schaalthieren erinnert (Göthe Farbenl. §. 644).
Neben Grau und Weiß kommen alle Farben in Streifen, Flecken, Tupfen in
voller Pracht, feurigem Metallglanz, den feinſten Tönen und Schattirungen
vor und werden durch die Reflexe des durchſichtigen Elements noch erhöht.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/142>, abgerufen am 15.08.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.