und wie wir die Insecten individualisirte Luft nennen, so erscheint bei zwar ungleich höherer Selbständigkeit des Lebens das Reich der Fische und Vögel nur wie eine allgemeine Belebung des Wassers und der Luft. Dieß gilt allerdings ungleich mehr von jenen als von diesen. Ist doch das Element, außer welchem die Fische gar nicht leben können, zwar durchsichtig, doch eine schwerere Masse, so daß man sie nur sterbend oder todt deutlich zu Gesichte bekommt und sich die ästhetische Anschauung beinahe mit dem unbestimmten Bilde des von seltsamen Gestalten durchwimmelten Elements begnügen muß. Der Vogel dagegen tritt in dem feinen Medium der Luft deutlich vor uns; die größeren und bedeutenderen Arten, die Raubvögel namentlich, sind auch von so charaktervoller Gestalt, daß Ein Thier allein für sich schon ein nicht zu verachtender ästhetischer Stoff ist. Doch sind der kleinen Arten mehr und das Element wiegt sie alle. Das Landthier dagegen gehört nicht so dem Boden, an den es gewiesen ist. Es liegt, steht, geht auf ihm; liegt es, so ist er nur seine Stütze, zum Stehen und noch mehr zum Gehen braucht es schon Muskelthätigkeit bis zur Anstrengung und ver- hältnißmäßig früher Ermüdung. In der Luft athmet es, aber wird nicht von ihr getragen. Diese Thiere sind also ungleich gelöster vom elemen- tarischen Leben, sind gespannt als feste Einheiten gegen die feste Grundlage der Erde, müßen sich durch thätigere Ueberwindung des Raums in der Bewegung, also durch stärkeren Kampf als selbständige Monaden behaupten. Sie können zum Theil auch schwimmen, aber nicht im Wasser, sondern auf dem Wasser. Das Gebären lebendiger Jungen ist eines der wesentlichsten Momente, worin sich ihr freieres Dasein ausspricht; nicht das verbreitete Element, auch nicht die thierische Wärme überhaupt, sondern der innere Organismus reift den Keim im Mutterleibe und übergibt ihn schon als selbständiges Leben der elementarischen Außenwelt. Die niederen Thiere verhalten sich überhaupt zu den Elementen noch wie ein Fötus zum Mutterleib. Dennoch stellen wir das Moment der Fortpflanzung nicht als grundwesentliches, nicht als Eintheilungsprinzip auf. Die Cetaceen sind Säugthiere, aber ihr ganzer Habitus ist der des Fischs; er ist es, weil das Wasser schlechtweg ihr einziges Element ist und umgekehrt. Die Zoologie trennt sie als Säugethiere von den Fischen; ästhetisch wäre dieß jedenfalls unthunlich, aber auch die Naturwissenschaft geräth durch diese Trennung in einen Widerspruch zwischen der Motivirung der Einreihung durch ein vereinzeltes Moment und zwischen jenem Gesammt-Habitus und würde sie vielleicht zweckmäßiger bei den Fischen behalten als einen Versuch der Natur, in diesem ursprünglichsten Wirbelthier auch schon die höchste Klasse vorzubilden.
Daß sich nun in den unteren Klassen der Wirbelthiere die Stufen der wirbellosen wiederholen, hat in neuerer Zeit namentlich Oken aus-
und wie wir die Inſecten individualiſirte Luft nennen, ſo erſcheint bei zwar ungleich höherer Selbſtändigkeit des Lebens das Reich der Fiſche und Vögel nur wie eine allgemeine Belebung des Waſſers und der Luft. Dieß gilt allerdings ungleich mehr von jenen als von dieſen. Iſt doch das Element, außer welchem die Fiſche gar nicht leben können, zwar durchſichtig, doch eine ſchwerere Maſſe, ſo daß man ſie nur ſterbend oder todt deutlich zu Geſichte bekommt und ſich die äſthetiſche Anſchauung beinahe mit dem unbeſtimmten Bilde des von ſeltſamen Geſtalten durchwimmelten Elements begnügen muß. Der Vogel dagegen tritt in dem feinen Medium der Luft deutlich vor uns; die größeren und bedeutenderen Arten, die Raubvögel namentlich, ſind auch von ſo charaktervoller Geſtalt, daß Ein Thier allein für ſich ſchon ein nicht zu verachtender äſthetiſcher Stoff iſt. Doch ſind der kleinen Arten mehr und das Element wiegt ſie alle. Das Landthier dagegen gehört nicht ſo dem Boden, an den es gewieſen iſt. Es liegt, ſteht, geht auf ihm; liegt es, ſo iſt er nur ſeine Stütze, zum Stehen und noch mehr zum Gehen braucht es ſchon Muskelthätigkeit bis zur Anſtrengung und ver- hältnißmäßig früher Ermüdung. In der Luft athmet es, aber wird nicht von ihr getragen. Dieſe Thiere ſind alſo ungleich gelöster vom elemen- tariſchen Leben, ſind geſpannt als feſte Einheiten gegen die feſte Grundlage der Erde, müßen ſich durch thätigere Ueberwindung des Raums in der Bewegung, alſo durch ſtärkeren Kampf als ſelbſtändige Monaden behaupten. Sie können zum Theil auch ſchwimmen, aber nicht im Waſſer, ſondern auf dem Waſſer. Das Gebären lebendiger Jungen iſt eines der weſentlichſten Momente, worin ſich ihr freieres Daſein ausſpricht; nicht das verbreitete Element, auch nicht die thieriſche Wärme überhaupt, ſondern der innere Organismus reift den Keim im Mutterleibe und übergibt ihn ſchon als ſelbſtändiges Leben der elementariſchen Außenwelt. Die niederen Thiere verhalten ſich überhaupt zu den Elementen noch wie ein Fötus zum Mutterleib. Dennoch ſtellen wir das Moment der Fortpflanzung nicht als grundweſentliches, nicht als Eintheilungsprinzip auf. Die Cetaceen ſind Säugthiere, aber ihr ganzer Habitus iſt der des Fiſchs; er iſt es, weil das Waſſer ſchlechtweg ihr einziges Element iſt und umgekehrt. Die Zoologie trennt ſie als Säugethiere von den Fiſchen; äſthetiſch wäre dieß jedenfalls unthunlich, aber auch die Naturwiſſenſchaft geräth durch dieſe Trennung in einen Widerſpruch zwiſchen der Motivirung der Einreihung durch ein vereinzeltes Moment und zwiſchen jenem Geſammt-Habitus und würde ſie vielleicht zweckmäßiger bei den Fiſchen behalten als einen Verſuch der Natur, in dieſem urſprünglichſten Wirbelthier auch ſchon die höchſte Klaſſe vorzubilden.
Daß ſich nun in den unteren Klaſſen der Wirbelthiere die Stufen der wirbelloſen wiederholen, hat in neuerer Zeit namentlich Oken aus-
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und wie wir die Inſecten individualiſirte Luft nennen, ſo erſcheint bei zwar
ungleich höherer Selbſtändigkeit des Lebens das Reich der Fiſche und Vögel
nur wie eine allgemeine Belebung des Waſſers und der Luft. Dieß gilt
allerdings ungleich mehr von jenen als von dieſen. Iſt doch das Element,
außer welchem die Fiſche gar nicht leben können, zwar durchſichtig, doch
eine ſchwerere Maſſe, ſo daß man ſie nur ſterbend oder todt deutlich zu
Geſichte bekommt und ſich die äſthetiſche Anſchauung beinahe mit dem
unbeſtimmten Bilde des von ſeltſamen Geſtalten durchwimmelten Elements
begnügen muß. Der Vogel dagegen tritt in dem feinen Medium der Luft
deutlich vor uns; die größeren und bedeutenderen Arten, die Raubvögel
namentlich, ſind auch von ſo charaktervoller Geſtalt, daß Ein Thier allein für
ſich ſchon ein nicht zu verachtender äſthetiſcher Stoff iſt. Doch ſind der kleinen
Arten mehr und das Element wiegt ſie alle. Das Landthier dagegen gehört
nicht ſo dem Boden, an den es gewieſen iſt. Es liegt, ſteht, geht auf
ihm; liegt es, ſo iſt er nur ſeine Stütze, zum Stehen und noch mehr zum
Gehen braucht es ſchon Muskelthätigkeit bis zur Anſtrengung und ver-
hältnißmäßig früher Ermüdung. In der Luft athmet es, aber wird nicht
von ihr getragen. Dieſe Thiere ſind alſo ungleich gelöster vom elemen-
tariſchen Leben, ſind geſpannt als feſte Einheiten gegen die feſte Grundlage
der Erde, müßen ſich durch thätigere Ueberwindung des Raums in der
Bewegung, alſo durch ſtärkeren Kampf als ſelbſtändige Monaden behaupten.
Sie können zum Theil auch ſchwimmen, aber nicht im Waſſer, ſondern auf
dem Waſſer. Das Gebären lebendiger Jungen iſt eines der weſentlichſten
Momente, worin ſich ihr freieres Daſein ausſpricht; nicht das verbreitete
Element, auch nicht die thieriſche Wärme überhaupt, ſondern der innere
Organismus reift den Keim im Mutterleibe und übergibt ihn ſchon als
ſelbſtändiges Leben der elementariſchen Außenwelt. Die niederen Thiere
verhalten ſich überhaupt zu den Elementen noch wie ein Fötus zum
Mutterleib. Dennoch ſtellen wir das Moment der Fortpflanzung nicht als
grundweſentliches, nicht als Eintheilungsprinzip auf. Die Cetaceen ſind
Säugthiere, aber ihr ganzer Habitus iſt der des Fiſchs; er iſt es, weil
das Waſſer ſchlechtweg ihr einziges Element iſt und umgekehrt. Die
Zoologie trennt ſie als Säugethiere von den Fiſchen; äſthetiſch wäre dieß
jedenfalls unthunlich, aber auch die Naturwiſſenſchaft geräth durch dieſe
Trennung in einen Widerſpruch zwiſchen der Motivirung der Einreihung
durch ein vereinzeltes Moment und zwiſchen jenem Geſammt-Habitus und
würde ſie vielleicht zweckmäßiger bei den Fiſchen behalten als einen Verſuch
der Natur, in dieſem urſprünglichſten Wirbelthier auch ſchon die höchſte
Klaſſe vorzubilden.
Daß ſich nun in den unteren Klaſſen der Wirbelthiere die Stufen
der wirbelloſen wiederholen, hat in neuerer Zeit namentlich Oken aus-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/140>, abgerufen am 16.02.2025.
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