Gegenüber der unbeseelten Pflanze steht der ästhetische Zuschauer noch außerhalb des angeschauten Gegenstandes und findet sich selbst darin nur soweit er sich ihm leihend unterschiebt. Er soll aber wirklich sich selbst im Gegenstande begegnen, der Zuschauer soll auch im Gegenstande, dieser soll wirklich persönlich sein. Der Verwirklichung dieses Gesetzes tritt die Natur um einen Schritt näher, indem sie das beseelte, lebendige Wesen, das Thier hervorbringt. Es tritt hiemit ein Wesen auf, dem seine Außenwelt nicht nur thatsächlich Object ist, sondern so, daß es sie nach vielerlei Seiten mit Gefühl seiner selbst, des Gegenstandes und seines Verhältnisses zu ihm durcharbeitend, in sich aufnehmend genießt; die Natur gibt sich ein Centrum, worin sie sich selbst vernimmt.
"Die ganze Schöpfung sollte durchgenossen, durchgefühlt, durchgearbeitet werden", sagt Herder (a. a. O.). Dieß ist zunächst Gang und Gesetz der Idee in ihrer Verwirklichung überhaupt; der §. drückt das Gesetz im ästhetischen Sinne aus. Dürften wir bereits Kunstausdrücke brauchen, so würden wir sagen: die Landschaft will ihre Staffage; die Luft will sich im schwebenden Vogel, das Wasser im schwimmenden Fisch zum lebendigen Centrum sammeln, das Land seinen Bewohner haben; naschende Ziegen sollen Fels und Gesträuche, flüchtiges Wild soll den Wald beleben, der Stier sich bequem am Boden lagern u. s. w. Unser Stoff wird immer concreter, die unorganische Natur belebte sich durch die Pflanzenwelt, jetzt bewegt sich in Licht, Luft, Farbenglanz, Wasser, Erde, Gras, Busch und Wald das warme Thierleben. Es gibt allerdings Landschaften, die wir lieber ohne Staffage sehen; es sind solche, deren Stimmung die höchste Stille der Einsamkeit ist, wo der Naturgeist nur durch Licht, Luft, Wasser, Erde und Pflanze mit sich selbst sprechen zu wollen scheint. Doch etwas Lebendiges wird das Auge immer suchen, wäre es auch nur ein Rabe oder ein lauschender Fuchs; es fragt sich aber, warum das Auge dieß bedarf, und darauf antwortet der §. Es könnte indeß einseitig scheinen, daß hier das Thier mit der umgebenden Natur durchaus zusammengenommen wird; es muß ja auch für sich ästhetischer Gegenstand sein können, so daß
b. Die thieriſche Schönheit.
§. 282.
Gegenüber der unbeſeelten Pflanze ſteht der äſthetiſche Zuſchauer noch außerhalb des angeſchauten Gegenſtandes und findet ſich ſelbſt darin nur ſoweit er ſich ihm leihend unterſchiebt. Er ſoll aber wirklich ſich ſelbſt im Gegenſtande begegnen, der Zuſchauer ſoll auch im Gegenſtande, dieſer ſoll wirklich perſönlich ſein. Der Verwirklichung dieſes Geſetzes tritt die Natur um einen Schritt näher, indem ſie das beſeelte, lebendige Weſen, das Thier hervorbringt. Es tritt hiemit ein Weſen auf, dem ſeine Außenwelt nicht nur thatſächlich Object iſt, ſondern ſo, daß es ſie nach vielerlei Seiten mit Gefühl ſeiner ſelbſt, des Gegenſtandes und ſeines Verhältniſſes zu ihm durcharbeitend, in ſich aufnehmend genießt; die Natur gibt ſich ein Centrum, worin ſie ſich ſelbſt vernimmt.
„Die ganze Schöpfung ſollte durchgenoſſen, durchgefühlt, durchgearbeitet werden“, ſagt Herder (a. a. O.). Dieß iſt zunächſt Gang und Geſetz der Idee in ihrer Verwirklichung überhaupt; der §. drückt das Geſetz im äſthetiſchen Sinne aus. Dürften wir bereits Kunſtausdrücke brauchen, ſo würden wir ſagen: die Landſchaft will ihre Staffage; die Luft will ſich im ſchwebenden Vogel, das Waſſer im ſchwimmenden Fiſch zum lebendigen Centrum ſammeln, das Land ſeinen Bewohner haben; naſchende Ziegen ſollen Fels und Geſträuche, flüchtiges Wild ſoll den Wald beleben, der Stier ſich bequem am Boden lagern u. ſ. w. Unſer Stoff wird immer concreter, die unorganiſche Natur belebte ſich durch die Pflanzenwelt, jetzt bewegt ſich in Licht, Luft, Farbenglanz, Waſſer, Erde, Gras, Buſch und Wald das warme Thierleben. Es gibt allerdings Landſchaften, die wir lieber ohne Staffage ſehen; es ſind ſolche, deren Stimmung die höchſte Stille der Einſamkeit iſt, wo der Naturgeiſt nur durch Licht, Luft, Waſſer, Erde und Pflanze mit ſich ſelbſt ſprechen zu wollen ſcheint. Doch etwas Lebendiges wird das Auge immer ſuchen, wäre es auch nur ein Rabe oder ein lauſchender Fuchs; es fragt ſich aber, warum das Auge dieß bedarf, und darauf antwortet der §. Es könnte indeß einſeitig ſcheinen, daß hier das Thier mit der umgebenden Natur durchaus zuſammengenommen wird; es muß ja auch für ſich äſthetiſcher Gegenſtand ſein können, ſo daß
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b.
Die thieriſche Schönheit.
§. 282.
Gegenüber der unbeſeelten Pflanze ſteht der äſthetiſche Zuſchauer noch
außerhalb des angeſchauten Gegenſtandes und findet ſich ſelbſt darin nur
ſoweit er ſich ihm leihend unterſchiebt. Er ſoll aber wirklich ſich ſelbſt im
Gegenſtande begegnen, der Zuſchauer ſoll auch im Gegenſtande, dieſer ſoll
wirklich perſönlich ſein. Der Verwirklichung dieſes Geſetzes tritt die Natur
um einen Schritt näher, indem ſie das beſeelte, lebendige Weſen, das Thier
hervorbringt. Es tritt hiemit ein Weſen auf, dem ſeine Außenwelt nicht nur
thatſächlich Object iſt, ſondern ſo, daß es ſie nach vielerlei Seiten mit Gefühl
ſeiner ſelbſt, des Gegenſtandes und ſeines Verhältniſſes zu ihm durcharbeitend,
in ſich aufnehmend genießt; die Natur gibt ſich ein Centrum, worin ſie ſich
ſelbſt vernimmt.
„Die ganze Schöpfung ſollte durchgenoſſen, durchgefühlt, durchgearbeitet
werden“, ſagt Herder (a. a. O.). Dieß iſt zunächſt Gang und Geſetz
der Idee in ihrer Verwirklichung überhaupt; der §. drückt das Geſetz im
äſthetiſchen Sinne aus. Dürften wir bereits Kunſtausdrücke brauchen, ſo
würden wir ſagen: die Landſchaft will ihre Staffage; die Luft will ſich
im ſchwebenden Vogel, das Waſſer im ſchwimmenden Fiſch zum lebendigen
Centrum ſammeln, das Land ſeinen Bewohner haben; naſchende Ziegen
ſollen Fels und Geſträuche, flüchtiges Wild ſoll den Wald beleben, der
Stier ſich bequem am Boden lagern u. ſ. w. Unſer Stoff wird immer
concreter, die unorganiſche Natur belebte ſich durch die Pflanzenwelt, jetzt
bewegt ſich in Licht, Luft, Farbenglanz, Waſſer, Erde, Gras, Buſch
und Wald das warme Thierleben. Es gibt allerdings Landſchaften, die
wir lieber ohne Staffage ſehen; es ſind ſolche, deren Stimmung die höchſte
Stille der Einſamkeit iſt, wo der Naturgeiſt nur durch Licht, Luft, Waſſer,
Erde und Pflanze mit ſich ſelbſt ſprechen zu wollen ſcheint. Doch etwas
Lebendiges wird das Auge immer ſuchen, wäre es auch nur ein Rabe
oder ein lauſchender Fuchs; es fragt ſich aber, warum das Auge dieß
bedarf, und darauf antwortet der §. Es könnte indeß einſeitig ſcheinen,
daß hier das Thier mit der umgebenden Natur durchaus zuſammengenommen
wird; es muß ja auch für ſich äſthetiſcher Gegenſtand ſein können, ſo daß
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/113>, abgerufen am 16.07.2024.
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