kann nicht weiter verfolgt werden. Die Gruppe kann sich wieder in Gruppen sondern, das allgemeine Gesetz ein reicher gegliedertes Ganzes beherrschen. Der äußerste Umriß des Ganzen muß sich in einem Gipfel abschließen, wenn wir den Zufall günstig nennen sollen. Das einst mit Vorliebe auf- gestellte Prinzip der pyramidalischen Gruppirung, das schon hier erwähnt werden kann, gehört, ängstlich festgehalten, in die Zeit des Kunst-Mechanis- mus, und nur so viel läßt sich sagen, daß der höchste Gipfel nicht zu weit auf die Seite geschoben sein darf. Allein wie sehr man sich vor Abstraction zu hüten hat, erhellt sogleich auch hier daraus, daß neben dem Boden, worauf die Bäume sich erheben, und der ihnen natürlich verschiedene Stellung und Höhe gibt, der Hintergrund wesentlich mitwirkend eintritt. Ein Gebäude, ein Berggipfel kann gegen die Mitte aufsteigen und so dürfen die höchsten Baumwipfel unbeschadet des guten Verhältnisses ganz auf die Seite treten. Ueberhaupt käme es nun darauf an, die Pflanzen- welt mit allen Momenten der unorganischen Schönheit zusammenzustellen; allein die Wissenschaft muß sich ihre Grenzen ziehen. So erscheint z. B. das Ueberhängende heiterer, wenn es sich im Wasser bespiegelt, das hellere Grün dunkler, wenn es sich nur vom Himmel abhebt, Wiesengrund gibt zu finsteren Tannen eine muntere Stimmung u. s. w. Alles läßt sich nicht verfolgen und wird sich selbst dann nicht lassen, wenn wir in der Phan- tasie des Künstlers die wahre, Gesammtwirkung bildende Einheit werden gefunden haben.
2. Mächtige, kräftige Wirkung waldiger Bergrücken, wild und finster im Schwarzwalde mit den dunkel stahlblauen Schatten, freundlich und mild im Platanenwalde, urgewaltig im Eichenwalde u. s. w. Schauer im Innern des Waldes, Waldeinsamkeit in der grün überschatteten, harzig duftenden Halle, wo die Vegetation mit sich allein ist und in ihrer Frische nichts von dem Schweiße des kämpfenden Menschenlebens weiß. Im Urwalde der heißen Zone wird die Ueppigkeit erdrückend, die überfüllte Anschauung wird müde, die Pflanzenwelt nimmt zu viel Raum für sich in Anspruch und der Mensch erinnert sich, daß andere, höhere Wesen auch ihren Raum fordern.
Wie jede folgende Stufe die vorhergehenden in ästhetischer Zusammen- wirkung ergänzt, zeigt sich z. B., wenn wir mit Nadelholz bewachsenes Hochgebirge durchwandern, wenn mit den mächtigen Gipfeln und Rücken, den wilden Schluchten, den tosenden Wassern, den umhergeschleuderten Felsblöcken das ernst erfrischende feuchte Dunkel unter den gewaltig auf- geschossenen Stämmen, das Wurzelgeschlinge, der saftige Geruch der grünenden, der modernde der gefallenen Bäume, der Anblick des allgemeinen Ueberwucherns, das jede Stelle benützt, all das Rauschen und Sausen in den Wipfeln das Gemüth umfängt.
kann nicht weiter verfolgt werden. Die Gruppe kann ſich wieder in Gruppen ſondern, das allgemeine Geſetz ein reicher gegliedertes Ganzes beherrſchen. Der äußerſte Umriß des Ganzen muß ſich in einem Gipfel abſchließen, wenn wir den Zufall günſtig nennen ſollen. Das einſt mit Vorliebe auf- geſtellte Prinzip der pyramidaliſchen Gruppirung, das ſchon hier erwähnt werden kann, gehört, ängſtlich feſtgehalten, in die Zeit des Kunſt-Mechanis- mus, und nur ſo viel läßt ſich ſagen, daß der höchſte Gipfel nicht zu weit auf die Seite geſchoben ſein darf. Allein wie ſehr man ſich vor Abſtraction zu hüten hat, erhellt ſogleich auch hier daraus, daß neben dem Boden, worauf die Bäume ſich erheben, und der ihnen natürlich verſchiedene Stellung und Höhe gibt, der Hintergrund weſentlich mitwirkend eintritt. Ein Gebäude, ein Berggipfel kann gegen die Mitte aufſteigen und ſo dürfen die höchſten Baumwipfel unbeſchadet des guten Verhältniſſes ganz auf die Seite treten. Ueberhaupt käme es nun darauf an, die Pflanzen- welt mit allen Momenten der unorganiſchen Schönheit zuſammenzuſtellen; allein die Wiſſenſchaft muß ſich ihre Grenzen ziehen. So erſcheint z. B. das Ueberhängende heiterer, wenn es ſich im Waſſer beſpiegelt, das hellere Grün dunkler, wenn es ſich nur vom Himmel abhebt, Wieſengrund gibt zu finſteren Tannen eine muntere Stimmung u. ſ. w. Alles läßt ſich nicht verfolgen und wird ſich ſelbſt dann nicht laſſen, wenn wir in der Phan- taſie des Künſtlers die wahre, Geſammtwirkung bildende Einheit werden gefunden haben.
2. Mächtige, kräftige Wirkung waldiger Bergrücken, wild und finſter im Schwarzwalde mit den dunkel ſtahlblauen Schatten, freundlich und mild im Platanenwalde, urgewaltig im Eichenwalde u. ſ. w. Schauer im Innern des Waldes, Waldeinſamkeit in der grün überſchatteten, harzig duftenden Halle, wo die Vegetation mit ſich allein iſt und in ihrer Friſche nichts von dem Schweiße des kämpfenden Menſchenlebens weiß. Im Urwalde der heißen Zone wird die Ueppigkeit erdrückend, die überfüllte Anſchauung wird müde, die Pflanzenwelt nimmt zu viel Raum für ſich in Anſpruch und der Menſch erinnert ſich, daß andere, höhere Weſen auch ihren Raum fordern.
Wie jede folgende Stufe die vorhergehenden in äſthetiſcher Zuſammen- wirkung ergänzt, zeigt ſich z. B., wenn wir mit Nadelholz bewachſenes Hochgebirge durchwandern, wenn mit den mächtigen Gipfeln und Rücken, den wilden Schluchten, den toſenden Waſſern, den umhergeſchleuderten Felsblöcken das ernſt erfriſchende feuchte Dunkel unter den gewaltig auf- geſchoſſenen Stämmen, das Wurzelgeſchlinge, der ſaftige Geruch der grünenden, der modernde der gefallenen Bäume, der Anblick des allgemeinen Ueberwucherns, das jede Stelle benützt, all das Rauſchen und Sauſen in den Wipfeln das Gemüth umfängt.
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kann nicht weiter verfolgt werden. Die Gruppe kann ſich wieder in Gruppen
ſondern, das allgemeine Geſetz ein reicher gegliedertes Ganzes beherrſchen.
Der äußerſte Umriß des Ganzen muß ſich in einem Gipfel abſchließen,
wenn wir den Zufall günſtig nennen ſollen. Das einſt mit Vorliebe auf-
geſtellte Prinzip der pyramidaliſchen Gruppirung, das ſchon hier erwähnt
werden kann, gehört, ängſtlich feſtgehalten, in die Zeit des Kunſt-Mechanis-
mus, und nur ſo viel läßt ſich ſagen, daß der höchſte Gipfel nicht zu weit
auf die Seite geſchoben ſein darf. Allein wie ſehr man ſich vor Abſtraction
zu hüten hat, erhellt ſogleich auch hier daraus, daß neben dem Boden,
worauf die Bäume ſich erheben, und der ihnen natürlich verſchiedene
Stellung und Höhe gibt, der Hintergrund weſentlich mitwirkend eintritt.
Ein Gebäude, ein Berggipfel kann gegen die Mitte aufſteigen und ſo
dürfen die höchſten Baumwipfel unbeſchadet des guten Verhältniſſes ganz
auf die Seite treten. Ueberhaupt käme es nun darauf an, die Pflanzen-
welt mit allen Momenten der unorganiſchen Schönheit zuſammenzuſtellen;
allein die Wiſſenſchaft muß ſich ihre Grenzen ziehen. So erſcheint z. B.
das Ueberhängende heiterer, wenn es ſich im Waſſer beſpiegelt, das hellere
Grün dunkler, wenn es ſich nur vom Himmel abhebt, Wieſengrund gibt
zu finſteren Tannen eine muntere Stimmung u. ſ. w. Alles läßt ſich nicht
verfolgen und wird ſich ſelbſt dann nicht laſſen, wenn wir in der Phan-
taſie des Künſtlers die wahre, Geſammtwirkung bildende Einheit werden
gefunden haben.
2. Mächtige, kräftige Wirkung waldiger Bergrücken, wild und finſter
im Schwarzwalde mit den dunkel ſtahlblauen Schatten, freundlich und
mild im Platanenwalde, urgewaltig im Eichenwalde u. ſ. w. Schauer im
Innern des Waldes, Waldeinſamkeit in der grün überſchatteten, harzig
duftenden Halle, wo die Vegetation mit ſich allein iſt und in ihrer Friſche
nichts von dem Schweiße des kämpfenden Menſchenlebens weiß. Im
Urwalde der heißen Zone wird die Ueppigkeit erdrückend, die überfüllte
Anſchauung wird müde, die Pflanzenwelt nimmt zu viel Raum für ſich
in Anſpruch und der Menſch erinnert ſich, daß andere, höhere Weſen
auch ihren Raum fordern.
Wie jede folgende Stufe die vorhergehenden in äſthetiſcher Zuſammen-
wirkung ergänzt, zeigt ſich z. B., wenn wir mit Nadelholz bewachſenes
Hochgebirge durchwandern, wenn mit den mächtigen Gipfeln und Rücken,
den wilden Schluchten, den toſenden Waſſern, den umhergeſchleuderten
Felsblöcken das ernſt erfriſchende feuchte Dunkel unter den gewaltig auf-
geſchoſſenen Stämmen, das Wurzelgeſchlinge, der ſaftige Geruch der
grünenden, der modernde der gefallenen Bäume, der Anblick des allgemeinen
Ueberwucherns, das jede Stelle benützt, all das Rauſchen und Sauſen in
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/112>, abgerufen am 16.02.2025.
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