Weichheit an. Anders wirkt nun natürlich die aufstrebende Pyramide der italienischen, anders die rundliche Krone der Silber- und Zitter-Pappel. Die erstere scheint schon dem Namen nach zum südlichen Typus zu gehören, allein der Baum ist in Deutschland wirklich häufiger als in Italien und es ist vorzüglich sein spielendes Laub, was uns bestimmt, ihn zum dritten Typus zu ziehen. Diese sehr hochgestreckte Art sieht nun freilich stolz und vornehm aus, wird aber auch, in Reihen gepflanzt, leicht langweilig, weil die Individuen weniger Verschiedenheit haben, als bei runden Bäumen, und, da sie kein schattiges Dach bilden, getrennt wahrgenommen werden. Besonders schön spielt die Silberpappel im Winde, welcher die untere weiße Seite der Blätter umlegt. Durch das bewegte Spiel des Baum- schlags nun hat die ganze Gattung das Schwebende, was das innere Erzittern subjectiver Empfindung hervorruft; dieß Flüstern des Objects wird zu einem innern. Wehmüthig weich stimmt die weißrindige, hohe, dünnkronige, mit den überhängenden Zweigen und dünngestielten dreieckigen Blättern ebenfalls stets im Winde spielende Birke, noch entschiedener die völlig überhängende Thränen-Weide, deren graulichgrüne, lanzettförmige Blätter an den fließenden, weichen, biegsamen Zweigen herabwallendem Wasser gleichen. Man denke an so manches Volkslied, auch an das, welches Desdemona singt. Unsere gewöhnliche Weide wird leider fast immer durch Beschneiden um ihre Form gebracht; sie bildet ganz mächtige, herrlich modellirte Bäume, aber ihr wässerigter Ton, die weichen, bei großen Bäumen immer etwas überhängenden Zweige, die lanzettförmigen Blätter, das grauliche Grün, das Hingestrichene im ganzen Wurfe des Baumschlags, das sie mit der Thränenweide gemein hat, geben immer einen weichen, mehr zerfließenden Stimmungston. Unsere schönsten Bäume sind Eichen und Linden. Die ersteren vorzüglich verbinden auf die im §. genannte Weise das Starke und Weiche. Stamm und Aeste der Eiche sind hart, knorrig, diese meist rechtwinklicht abstehend, aber in rohen Linien verkrümmt; sie wächst zu mächtiger Größe auf, heißt mit Recht der Baum der Stärke. Bei allem Eindruck ursprünglicher Kraft aber ist sie nicht steif und herb wie die Buche, denn ihre Blätter, obwohl an kurzen Stielen sitzend und daher wenig bewegt, sind von der weichen, gebuchteten Zeichnung und saftig hellgrün; sie sammelt ferner ihre Massen an den mächtigen, reichbelaubten Aesten zu wohlgegliederten, stattlichen Gruppen. In viel weniger harter Form ist derselbe Gegensatz in der Linde ausgesprochen. Sie ist gewaltig an Größe, wie die Eiche, aber ihre spitzwinklicht vom Stamm aufsteigenden Aeste sind weniger rauh gekrümmt, ihre herzförmigen Blätter spielen vielbewegt am dünnen Stiele und geben dem mächtigen Ganzen zarte, weichere Empfindung erregende, in den äußersten Umrissen ungewisser verschwebende Ueberkleidung, während
Weichheit an. Anders wirkt nun natürlich die aufſtrebende Pyramide der italieniſchen, anders die rundliche Krone der Silber- und Zitter-Pappel. Die erſtere ſcheint ſchon dem Namen nach zum ſüdlichen Typus zu gehören, allein der Baum iſt in Deutſchland wirklich häufiger als in Italien und es iſt vorzüglich ſein ſpielendes Laub, was uns beſtimmt, ihn zum dritten Typus zu ziehen. Dieſe ſehr hochgeſtreckte Art ſieht nun freilich ſtolz und vornehm aus, wird aber auch, in Reihen gepflanzt, leicht langweilig, weil die Individuen weniger Verſchiedenheit haben, als bei runden Bäumen, und, da ſie kein ſchattiges Dach bilden, getrennt wahrgenommen werden. Beſonders ſchön ſpielt die Silberpappel im Winde, welcher die untere weiße Seite der Blätter umlegt. Durch das bewegte Spiel des Baum- ſchlags nun hat die ganze Gattung das Schwebende, was das innere Erzittern ſubjectiver Empfindung hervorruft; dieß Flüſtern des Objects wird zu einem innern. Wehmüthig weich ſtimmt die weißrindige, hohe, dünnkronige, mit den überhängenden Zweigen und dünngeſtielten dreieckigen Blättern ebenfalls ſtets im Winde ſpielende Birke, noch entſchiedener die völlig überhängende Thränen-Weide, deren graulichgrüne, lanzettförmige Blätter an den fließenden, weichen, biegſamen Zweigen herabwallendem Waſſer gleichen. Man denke an ſo manches Volkslied, auch an das, welches Desdemona ſingt. Unſere gewöhnliche Weide wird leider faſt immer durch Beſchneiden um ihre Form gebracht; ſie bildet ganz mächtige, herrlich modellirte Bäume, aber ihr wäſſerigter Ton, die weichen, bei großen Bäumen immer etwas überhängenden Zweige, die lanzettförmigen Blätter, das grauliche Grün, das Hingeſtrichene im ganzen Wurfe des Baumſchlags, das ſie mit der Thränenweide gemein hat, geben immer einen weichen, mehr zerfließenden Stimmungston. Unſere ſchönſten Bäume ſind Eichen und Linden. Die erſteren vorzüglich verbinden auf die im §. genannte Weiſe das Starke und Weiche. Stamm und Aeſte der Eiche ſind hart, knorrig, dieſe meiſt rechtwinklicht abſtehend, aber in rohen Linien verkrümmt; ſie wächst zu mächtiger Größe auf, heißt mit Recht der Baum der Stärke. Bei allem Eindruck urſprünglicher Kraft aber iſt ſie nicht ſteif und herb wie die Buche, denn ihre Blätter, obwohl an kurzen Stielen ſitzend und daher wenig bewegt, ſind von der weichen, gebuchteten Zeichnung und ſaftig hellgrün; ſie ſammelt ferner ihre Maſſen an den mächtigen, reichbelaubten Aeſten zu wohlgegliederten, ſtattlichen Gruppen. In viel weniger harter Form iſt derſelbe Gegenſatz in der Linde ausgeſprochen. Sie iſt gewaltig an Größe, wie die Eiche, aber ihre ſpitzwinklicht vom Stamm aufſteigenden Aeſte ſind weniger rauh gekrümmt, ihre herzförmigen Blätter ſpielen vielbewegt am dünnen Stiele und geben dem mächtigen Ganzen zarte, weichere Empfindung erregende, in den äußerſten Umriſſen ungewiſſer verſchwebende Ueberkleidung, während
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Weichheit an. Anders wirkt nun natürlich die aufſtrebende Pyramide der
italieniſchen, anders die rundliche Krone der Silber- und Zitter-Pappel.
Die erſtere ſcheint ſchon dem Namen nach zum ſüdlichen Typus zu gehören,
allein der Baum iſt in Deutſchland wirklich häufiger als in Italien und
es iſt vorzüglich ſein ſpielendes Laub, was uns beſtimmt, ihn zum dritten
Typus zu ziehen. Dieſe ſehr hochgeſtreckte Art ſieht nun freilich ſtolz und
vornehm aus, wird aber auch, in Reihen gepflanzt, leicht langweilig,
weil die Individuen weniger Verſchiedenheit haben, als bei runden Bäumen,
und, da ſie kein ſchattiges Dach bilden, getrennt wahrgenommen werden.
Beſonders ſchön ſpielt die Silberpappel im Winde, welcher die untere
weiße Seite der Blätter umlegt. Durch das bewegte Spiel des Baum-
ſchlags nun hat die ganze Gattung das Schwebende, was das innere
Erzittern ſubjectiver Empfindung hervorruft; dieß Flüſtern des Objects
wird zu einem innern. Wehmüthig weich ſtimmt die weißrindige, hohe,
dünnkronige, mit den überhängenden Zweigen und dünngeſtielten dreieckigen
Blättern ebenfalls ſtets im Winde ſpielende Birke, noch entſchiedener die
völlig überhängende Thränen-Weide, deren graulichgrüne, lanzettförmige
Blätter an den fließenden, weichen, biegſamen Zweigen herabwallendem
Waſſer gleichen. Man denke an ſo manches Volkslied, auch an das,
welches Desdemona ſingt. Unſere gewöhnliche Weide wird leider faſt
immer durch Beſchneiden um ihre Form gebracht; ſie bildet ganz mächtige,
herrlich modellirte Bäume, aber ihr wäſſerigter Ton, die weichen, bei
großen Bäumen immer etwas überhängenden Zweige, die lanzettförmigen
Blätter, das grauliche Grün, das Hingeſtrichene im ganzen Wurfe des
Baumſchlags, das ſie mit der Thränenweide gemein hat, geben immer
einen weichen, mehr zerfließenden Stimmungston. Unſere ſchönſten Bäume
ſind Eichen und Linden. Die erſteren vorzüglich verbinden auf die im §.
genannte Weiſe das Starke und Weiche. Stamm und Aeſte der Eiche
ſind hart, knorrig, dieſe meiſt rechtwinklicht abſtehend, aber in rohen
Linien verkrümmt; ſie wächst zu mächtiger Größe auf, heißt mit Recht
der Baum der Stärke. Bei allem Eindruck urſprünglicher Kraft aber iſt
ſie nicht ſteif und herb wie die Buche, denn ihre Blätter, obwohl an
kurzen Stielen ſitzend und daher wenig bewegt, ſind von der weichen,
gebuchteten Zeichnung und ſaftig hellgrün; ſie ſammelt ferner ihre Maſſen
an den mächtigen, reichbelaubten Aeſten zu wohlgegliederten, ſtattlichen
Gruppen. In viel weniger harter Form iſt derſelbe Gegenſatz in der
Linde ausgeſprochen. Sie iſt gewaltig an Größe, wie die Eiche, aber
ihre ſpitzwinklicht vom Stamm aufſteigenden Aeſte ſind weniger rauh
gekrümmt, ihre herzförmigen Blätter ſpielen vielbewegt am dünnen Stiele
und geben dem mächtigen Ganzen zarte, weichere Empfindung erregende,
in den äußerſten Umriſſen ungewiſſer verſchwebende Ueberkleidung, während
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/110>, abgerufen am 16.07.2024.
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