freienden Kraft willen einen erfrischenden Thau vom Himmel, der uns zugleich von dem Elend der Gemeinheit und von der ermüdenden Be- mühung um das Höhere zum glücklichen Gleichgewichte der Schönheit aufrichtet (Erwin. Th. 1, S. 252). Die Einmischung des Komischen in die Tragödie, das Satyrspiel der Griechen, die Farce der Italiener und Franzosen nach dieser begründen sich auf dieses Bedürfniß der Er- holung. Freilich ist aber die Erholung nicht das Ganze. Sie ist blos das eine Angesicht der komischen Lust, das rückwärts sieht nach der Un- lust der Spannung und Zumuthung. Das andere sieht vorwärts auf die restituirte Welt der Schranke und des Zufalls; daraus erst fließt das erfüllte, positive Lustgefühl. Es fehlt aber noch, daß dieses, im §. zwar nach seinem allgemeinen Charakter bestimmt, erst in seiner Bewegung anerkannt werde.
§. 225.
Dieses Lustgefühl darf aber mit demjenigen nicht verwechselt werden, welches aus der Anschauung des Schönen fließt, denn es ist ein gegensätzlich bewegtes. Nicht einfach nämlich ist die Schranke und die Zufälligkeit in ihr Recht eingesetzt, sondern in dem bestimmten Sinne einer Negation des Ueber- schwungs zum Schrankenlosen und des zwingenden Gesetzes. Das Erhabene, das mit der Zumuthung dieser Jenseitigkeit auftrat, reißt so schnell, daß es über den Riß hinauswirkt. Der Zuschauer sieht daher zurück, fühlt sich auf's Neue angespannt, sieht vor sich auf den gewonnenen Boden, aber dieser ist, was er ist, gerade durch den Gegenstoß gegen jene Zumuthung, er schwankt; die gegensätzlichen Glieder bilden eine widerspruchsvolle Einheit und ihr Inein- ander nöthigt das Gefühl, zwischen ihnen herüber und hinüberzugehen, was als ein rascher Wechsel zwischen Lust und Unlust empfunden wird, so zwar, daß jene durch diese verdoppelt, aber auch durch sie bedingt ist.
Das Zurücksehen auf den täuschenden Schein hat schon Kant als ein wesentliches Moment im komischen Eindruck hervorgehoben; man blicke zurück, sagt er, um es mit dem Gegenstand noch einmal zu versuchen. Das schnelle Abreißen bewirkt im Gefühl ein Fortsausen wie von einem ganz augen- blicklichen starken Schall oder Schlag. Wirklich hat ja aber das einge- setzte Recht des Niedrigen seine Bedeutung gerade in der Zurückweisung einer Anmaßung des Erhabenen. Verliert oder gewinnt es dadurch, daß
freienden Kraft willen einen erfriſchenden Thau vom Himmel, der uns zugleich von dem Elend der Gemeinheit und von der ermüdenden Be- mühung um das Höhere zum glücklichen Gleichgewichte der Schönheit aufrichtet (Erwin. Th. 1, S. 252). Die Einmiſchung des Komiſchen in die Tragödie, das Satyrſpiel der Griechen, die Farce der Italiener und Franzoſen nach dieſer begründen ſich auf dieſes Bedürfniß der Er- holung. Freilich iſt aber die Erholung nicht das Ganze. Sie iſt blos das eine Angeſicht der komiſchen Luſt, das rückwärts ſieht nach der Un- luſt der Spannung und Zumuthung. Das andere ſieht vorwärts auf die reſtituirte Welt der Schranke und des Zufalls; daraus erſt fließt das erfüllte, poſitive Luſtgefühl. Es fehlt aber noch, daß dieſes, im §. zwar nach ſeinem allgemeinen Charakter beſtimmt, erſt in ſeiner Bewegung anerkannt werde.
§. 225.
Dieſes Luſtgefühl darf aber mit demjenigen nicht verwechſelt werden, welches aus der Anſchauung des Schönen fließt, denn es iſt ein gegenſätzlich bewegtes. Nicht einfach nämlich iſt die Schranke und die Zufälligkeit in ihr Recht eingeſetzt, ſondern in dem beſtimmten Sinne einer Negation des Ueber- ſchwungs zum Schrankenloſen und des zwingenden Geſetzes. Das Erhabene, das mit der Zumuthung dieſer Jenſeitigkeit auftrat, reißt ſo ſchnell, daß es über den Riß hinauswirkt. Der Zuſchauer ſieht daher zurück, fühlt ſich auf’s Neue angeſpannt, ſieht vor ſich auf den gewonnenen Boden, aber dieſer iſt, was er iſt, gerade durch den Gegenſtoß gegen jene Zumuthung, er ſchwankt; die gegenſätzlichen Glieder bilden eine widerſpruchsvolle Einheit und ihr Inein- ander nöthigt das Gefühl, zwiſchen ihnen herüber und hinüberzugehen, was als ein raſcher Wechſel zwiſchen Luſt und Unluſt empfunden wird, ſo zwar, daß jene durch dieſe verdoppelt, aber auch durch ſie bedingt iſt.
Das Zurückſehen auf den täuſchenden Schein hat ſchon Kant als ein weſentliches Moment im komiſchen Eindruck hervorgehoben; man blicke zurück, ſagt er, um es mit dem Gegenſtand noch einmal zu verſuchen. Das ſchnelle Abreißen bewirkt im Gefühl ein Fortſauſen wie von einem ganz augen- blicklichen ſtarken Schall oder Schlag. Wirklich hat ja aber das einge- ſetzte Recht des Niedrigen ſeine Bedeutung gerade in der Zurückweiſung einer Anmaßung des Erhabenen. Verliert oder gewinnt es dadurch, daß
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0490"n="476"/>
freienden Kraft willen einen erfriſchenden Thau vom Himmel, der uns<lb/>
zugleich von dem Elend der Gemeinheit und von der ermüdenden Be-<lb/>
mühung um das Höhere zum glücklichen Gleichgewichte der Schönheit<lb/>
aufrichtet (Erwin. Th. 1, S. 252). Die Einmiſchung des Komiſchen<lb/>
in die Tragödie, das Satyrſpiel der Griechen, die Farce der Italiener<lb/>
und Franzoſen nach dieſer begründen ſich auf dieſes Bedürfniß der Er-<lb/>
holung. Freilich iſt aber die Erholung nicht das Ganze. Sie iſt blos<lb/>
das eine Angeſicht der komiſchen Luſt, das rückwärts ſieht nach der Un-<lb/>
luſt der Spannung und Zumuthung. Das andere ſieht vorwärts auf die<lb/>
reſtituirte Welt der Schranke und des Zufalls; daraus erſt fließt das<lb/>
erfüllte, poſitive Luſtgefühl. Es fehlt aber noch, daß dieſes, im §. zwar<lb/>
nach ſeinem allgemeinen Charakter beſtimmt, erſt in ſeiner Bewegung<lb/>
anerkannt werde.</hi></p></div><lb/><divn="5"><head>§. 225.</head><lb/><p><hirendition="#fr">Dieſes Luſtgefühl darf aber mit demjenigen nicht verwechſelt werden,<lb/>
welches aus der Anſchauung des Schönen fließt, denn es iſt ein gegenſätzlich<lb/>
bewegtes. Nicht einfach nämlich iſt die Schranke und die Zufälligkeit in ihr<lb/>
Recht eingeſetzt, ſondern in dem beſtimmten Sinne einer Negation des Ueber-<lb/>ſchwungs zum Schrankenloſen und des zwingenden Geſetzes. Das Erhabene,<lb/>
das mit der Zumuthung dieſer Jenſeitigkeit auftrat, reißt ſo ſchnell, daß es<lb/>
über den Riß hinauswirkt. Der Zuſchauer ſieht daher zurück, fühlt ſich auf’s<lb/>
Neue angeſpannt, ſieht vor ſich auf den gewonnenen Boden, aber dieſer iſt,<lb/>
was er iſt, gerade durch den Gegenſtoß gegen jene Zumuthung, er ſchwankt;<lb/>
die gegenſätzlichen Glieder bilden eine widerſpruchsvolle Einheit und ihr Inein-<lb/>
ander nöthigt das Gefühl, zwiſchen ihnen herüber und hinüberzugehen, was als<lb/>
ein raſcher Wechſel zwiſchen Luſt und Unluſt empfunden wird, ſo zwar, daß<lb/>
jene durch dieſe verdoppelt, aber auch durch ſie bedingt iſt.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">Das Zurückſehen auf den täuſchenden Schein hat ſchon <hirendition="#g">Kant</hi> als ein<lb/>
weſentliches Moment im komiſchen Eindruck hervorgehoben; man blicke zurück,<lb/>ſagt er, um es mit dem Gegenſtand noch einmal zu verſuchen. Das ſchnelle<lb/>
Abreißen bewirkt im Gefühl ein Fortſauſen wie von einem ganz augen-<lb/>
blicklichen ſtarken Schall oder Schlag. Wirklich hat ja aber das einge-<lb/>ſetzte Recht des Niedrigen ſeine Bedeutung gerade in der Zurückweiſung<lb/>
einer Anmaßung des Erhabenen. Verliert oder gewinnt es dadurch, daß<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[476/0490]
freienden Kraft willen einen erfriſchenden Thau vom Himmel, der uns
zugleich von dem Elend der Gemeinheit und von der ermüdenden Be-
mühung um das Höhere zum glücklichen Gleichgewichte der Schönheit
aufrichtet (Erwin. Th. 1, S. 252). Die Einmiſchung des Komiſchen
in die Tragödie, das Satyrſpiel der Griechen, die Farce der Italiener
und Franzoſen nach dieſer begründen ſich auf dieſes Bedürfniß der Er-
holung. Freilich iſt aber die Erholung nicht das Ganze. Sie iſt blos
das eine Angeſicht der komiſchen Luſt, das rückwärts ſieht nach der Un-
luſt der Spannung und Zumuthung. Das andere ſieht vorwärts auf die
reſtituirte Welt der Schranke und des Zufalls; daraus erſt fließt das
erfüllte, poſitive Luſtgefühl. Es fehlt aber noch, daß dieſes, im §. zwar
nach ſeinem allgemeinen Charakter beſtimmt, erſt in ſeiner Bewegung
anerkannt werde.
§. 225.
Dieſes Luſtgefühl darf aber mit demjenigen nicht verwechſelt werden,
welches aus der Anſchauung des Schönen fließt, denn es iſt ein gegenſätzlich
bewegtes. Nicht einfach nämlich iſt die Schranke und die Zufälligkeit in ihr
Recht eingeſetzt, ſondern in dem beſtimmten Sinne einer Negation des Ueber-
ſchwungs zum Schrankenloſen und des zwingenden Geſetzes. Das Erhabene,
das mit der Zumuthung dieſer Jenſeitigkeit auftrat, reißt ſo ſchnell, daß es
über den Riß hinauswirkt. Der Zuſchauer ſieht daher zurück, fühlt ſich auf’s
Neue angeſpannt, ſieht vor ſich auf den gewonnenen Boden, aber dieſer iſt,
was er iſt, gerade durch den Gegenſtoß gegen jene Zumuthung, er ſchwankt;
die gegenſätzlichen Glieder bilden eine widerſpruchsvolle Einheit und ihr Inein-
ander nöthigt das Gefühl, zwiſchen ihnen herüber und hinüberzugehen, was als
ein raſcher Wechſel zwiſchen Luſt und Unluſt empfunden wird, ſo zwar, daß
jene durch dieſe verdoppelt, aber auch durch ſie bedingt iſt.
Das Zurückſehen auf den täuſchenden Schein hat ſchon Kant als ein
weſentliches Moment im komiſchen Eindruck hervorgehoben; man blicke zurück,
ſagt er, um es mit dem Gegenſtand noch einmal zu verſuchen. Das ſchnelle
Abreißen bewirkt im Gefühl ein Fortſauſen wie von einem ganz augen-
blicklichen ſtarken Schall oder Schlag. Wirklich hat ja aber das einge-
ſetzte Recht des Niedrigen ſeine Bedeutung gerade in der Zurückweiſung
einer Anmaßung des Erhabenen. Verliert oder gewinnt es dadurch, daß
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/490>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.