diesem Theile ihres Inhalts zur Kunstgeschichte, wie die Philosophie der Ge- schichte zur Geschichte.
Der §. nennt den objectiven innern Grund, warum der reine Begriff sich erst bildet, wenn der erfahrungsmäßige Stoff bis auf einen gewissen Punkt gesammelt ist, wobei freilich ein subsectives Moment vorausgesetzt ist, das Bedürfniß der Erinnerung nämlich. Das heißt: das allgemeine Wesen oder der Begriff des Schönen an sich ist wirklich in der Geschichte der Kunst. Derselbe ruht zugleich als Möglichkeit, sich in der Form des Denkens zu fassen, in dem Geistet welcher, wie er auch übrigens sich schon als philosophischer ausgebilde, haben mag, in dieser Richtung wenigstens noch nicht begonnen hat zu philosophiren. Hier tritt das subjective Bedürfniß der anamnesis ein; das Urbild tritt im Subjecte erst nach reicherer Anschauung des Abbilds hervor in's Bewußtseyn. Es würde dies aber nicht, wäre das Abbild nicht wirklich das Abbild, oder vielmehr wissenschaftlicher ausgedrückt mehr als dies: die objective Wirklichkeit des, nur noch nicht in der Form des reinen Begriffs gedachten, Urbilds. Dieser subjective Anstoß hebt sich aber durch die wirkliche Bildung des Begriffs wieder auf, der Ausgang von der Erfahrung wird überwunden, der Begriff erzeugt sich selbstständig. Dann erst kehrt sich das Verhältniß wieder um, der reine Begriff entwickelt sich, und breitet sich aus, und der zuerst in der Erfahrung vorgefundene Stoff wird wieder aufgenommen, denn die Entwicklung und Ausbreitung des Begriffs ist eben die Geschichte dessen, was durch ihn begriffen ist. Dieser Stoff ist aber jetzt ein Anderes geworden; der Begriff verliert seine Freiheit, das Element des reinen Denkens, nicht, indem er sich in dieses Reich der scheinbaren Zufälligkeit hineinarbeitet, er tilgt vielmehr am Stoffe die Unmittelbarkeit und begreift ihn als die nothwendige Wirklichkeit des Begriffs, worin die Gegensätze, welche logisch in diesem liegen, als Zeitfolge hervortreten. Es wird sich dies bewähren, wenn sich der Begriff des Schönen als Phantasie in die großen geschichtlichen Gegensätze des Ideals aufschließen und der Begriff der einzelnen Künste die verschiedenen Zweige, die in ihm enthalten sind, als geschichtlich nach einander hervortretende darstellen wird. Diese Umwandlung des Stoffs ist aber zugleich wesentlich eine Zusammenziehung der Masse auf die bedeutenden Hauptmomente, auf jene großen Uebergänge und durch- greifenden Formen in der Kunstgeschichte, worin so zu sagen ihre Seele an die Oberfläche tritt. Nicht zur Kunstgeschichte, sondern zur Philosophie
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dieſem Theile ihres Inhalts zur Kunſtgeſchichte, wie die Philoſophie der Ge- ſchichte zur Geſchichte.
Der §. nennt den objectiven innern Grund, warum der reine Begriff ſich erſt bildet, wenn der erfahrungsmäßige Stoff bis auf einen gewiſſen Punkt geſammelt iſt, wobei freilich ein ſubſectives Moment vorausgeſetzt iſt, das Bedürfniß der Erinnerung nämlich. Das heißt: das allgemeine Weſen oder der Begriff des Schönen an ſich iſt wirklich in der Geſchichte der Kunſt. Derſelbe ruht zugleich als Möglichkeit, ſich in der Form des Denkens zu faſſen, in dem Geiſtet welcher, wie er auch übrigens ſich ſchon als philoſophiſcher ausgebilde, haben mag, in dieſer Richtung wenigſtens noch nicht begonnen hat zu philoſophiren. Hier tritt das ſubjective Bedürfniß der ἀνάμνησις ein; das Urbild tritt im Subjecte erſt nach reicherer Anſchauung des Abbilds hervor in’s Bewußtſeyn. Es würde dies aber nicht, wäre das Abbild nicht wirklich das Abbild, oder vielmehr wiſſenſchaftlicher ausgedrückt mehr als dies: die objective Wirklichkeit des, nur noch nicht in der Form des reinen Begriffs gedachten, Urbilds. Dieſer ſubjective Anſtoß hebt ſich aber durch die wirkliche Bildung des Begriffs wieder auf, der Ausgang von der Erfahrung wird überwunden, der Begriff erzeugt ſich ſelbſtſtändig. Dann erſt kehrt ſich das Verhältniß wieder um, der reine Begriff entwickelt ſich, und breitet ſich aus, und der zuerſt in der Erfahrung vorgefundene Stoff wird wieder aufgenommen, denn die Entwicklung und Ausbreitung des Begriffs iſt eben die Geſchichte deſſen, was durch ihn begriffen iſt. Dieſer Stoff iſt aber jetzt ein Anderes geworden; der Begriff verliert ſeine Freiheit, das Element des reinen Denkens, nicht, indem er ſich in dieſes Reich der ſcheinbaren Zufälligkeit hineinarbeitet, er tilgt vielmehr am Stoffe die Unmittelbarkeit und begreift ihn als die nothwendige Wirklichkeit des Begriffs, worin die Gegenſätze, welche logiſch in dieſem liegen, als Zeitfolge hervortreten. Es wird ſich dies bewähren, wenn ſich der Begriff des Schönen als Phantaſie in die großen geſchichtlichen Gegenſätze des Ideals aufſchließen und der Begriff der einzelnen Künſte die verſchiedenen Zweige, die in ihm enthalten ſind, als geſchichtlich nach einander hervortretende darſtellen wird. Dieſe Umwandlung des Stoffs iſt aber zugleich weſentlich eine Zuſammenziehung der Maſſe auf die bedeutenden Hauptmomente, auf jene großen Uebergänge und durch- greifenden Formen in der Kunſtgeſchichte, worin ſo zu ſagen ihre Seele an die Oberfläche tritt. Nicht zur Kunſtgeſchichte, ſondern zur Philoſophie
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dieſem Theile ihres Inhalts zur Kunſtgeſchichte, wie die Philoſophie der Ge-
ſchichte zur Geſchichte.
Der §. nennt den objectiven innern Grund, warum der reine
Begriff ſich erſt bildet, wenn der erfahrungsmäßige Stoff bis auf
einen gewiſſen Punkt geſammelt iſt, wobei freilich ein ſubſectives
Moment vorausgeſetzt iſt, das Bedürfniß der Erinnerung nämlich.
Das heißt: das allgemeine Weſen oder der Begriff des Schönen
an ſich iſt wirklich in der Geſchichte der Kunſt. Derſelbe ruht zugleich
als Möglichkeit, ſich in der Form des Denkens zu faſſen, in dem Geiſtet
welcher, wie er auch übrigens ſich ſchon als philoſophiſcher ausgebilde,
haben mag, in dieſer Richtung wenigſtens noch nicht begonnen hat zu
philoſophiren. Hier tritt das ſubjective Bedürfniß der ἀνάμνησις ein;
das Urbild tritt im Subjecte erſt nach reicherer Anſchauung des Abbilds
hervor in’s Bewußtſeyn. Es würde dies aber nicht, wäre das Abbild
nicht wirklich das Abbild, oder vielmehr wiſſenſchaftlicher ausgedrückt mehr
als dies: die objective Wirklichkeit des, nur noch nicht in der Form des
reinen Begriffs gedachten, Urbilds. Dieſer ſubjective Anſtoß hebt ſich
aber durch die wirkliche Bildung des Begriffs wieder auf, der Ausgang
von der Erfahrung wird überwunden, der Begriff erzeugt ſich ſelbſtſtändig.
Dann erſt kehrt ſich das Verhältniß wieder um, der reine Begriff entwickelt
ſich, und breitet ſich aus, und der zuerſt in der Erfahrung vorgefundene
Stoff wird wieder aufgenommen, denn die Entwicklung und Ausbreitung
des Begriffs iſt eben die Geſchichte deſſen, was durch ihn begriffen iſt.
Dieſer Stoff iſt aber jetzt ein Anderes geworden; der Begriff verliert
ſeine Freiheit, das Element des reinen Denkens, nicht, indem er ſich in
dieſes Reich der ſcheinbaren Zufälligkeit hineinarbeitet, er tilgt vielmehr
am Stoffe die Unmittelbarkeit und begreift ihn als die nothwendige
Wirklichkeit des Begriffs, worin die Gegenſätze, welche logiſch in dieſem
liegen, als Zeitfolge hervortreten. Es wird ſich dies bewähren, wenn
ſich der Begriff des Schönen als Phantaſie in die großen geſchichtlichen
Gegenſätze des Ideals aufſchließen und der Begriff der einzelnen Künſte
die verſchiedenen Zweige, die in ihm enthalten ſind, als geſchichtlich
nach einander hervortretende darſtellen wird. Dieſe Umwandlung des
Stoffs iſt aber zugleich weſentlich eine Zuſammenziehung der Maſſe auf
die bedeutenden Hauptmomente, auf jene großen Uebergänge und durch-
greifenden Formen in der Kunſtgeſchichte, worin ſo zu ſagen ihre Seele
an die Oberfläche tritt. Nicht zur Kunſtgeſchichte, ſondern zur Philoſophie
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/49>, abgerufen am 11.12.2024.
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