Formen des Geistes herbeiziehen und aufnehmen; doch nicht sogleich zu der Bildung, die es zur Allgemeinheit des Denkens gebracht hat, dürfen wir übergehen, es liegt dazwischen noch eine wesentliche Stufe, welche zwischen dem naiven und dem wirklich reflectirten Humor die Mitte hält. Um diese, wie sie im §. dargestellt ist, sich zu vergegenwärtigen, denke man vorzüglich an edle weibliche Naturen, wie z. B. Rosalinde in Wie es euch gefällt. Ihr Eigenthum ist geistiges Leben, Bildung, Grazie. Eine Leidenschaft, eine unglückliche Liebe befällt sie; diese Erfahrung ist noch zu unmittelbar real, um völlige Freiheit des Humors zuzulassen, sie belächelt den Schmerz, an dessen schamhafter Schönheit sie sich zugleich weidet, sie ist in ihn verliebt, denn er ist das eingehüllte Bild des Ge- liebten, und sie sehnt sein Ende herbei, sie verbirgt ihn und sie verräth ihn mit der Anmuth der unschuldigen Koketterie, und Alles dies mit sprudelndem Witz und Scherz, der zwischen Thränen lächelt und in der eigenen Qual noch Zeit hat, den Geliebten selbst und jedermann zu necken. Diese Naturen im Zustande des Leidens sind doch zu unfrei, sie sind noch zu unglücklich, um sie dem reinen und vollen Humor zuzutheilen, und wie weit sie sich befreien, dies ist selbst wieder ebensosehr und noch mehr Geschenk der von Hause aus schönen Natur, als ein Werk erarbeiteten innerlichen Lebens. Was aber diese Form dem gebrochenen Humor zuweist, ist dies, daß sie, je mehr allerdings schon innerlich und gebildet, desto tiefer auch das Unglück ihres Bruches fühlt und desto weniger es völlig aufzulösen vermag. Die anmuthige Natur, die es freilich nicht zu vollem innerlichem Bewußtseyn kommen läßt, erleichtert diesen Bruch, aber eben weil sie blos Natur ist, erschwert sie auch die Befreiung wieder, denn das Schicksal kommt über sie und sie kann nicht seiner ganz Herr werden, wenn es nicht durch die Gunst des Zufalls eine glückliche Wendung nimmt. Es gibt freilich auch im Elemente schöner, glücklich organisirter Weiblichkeit höhere Naturen, die mehr Charakter zu nennen sind und in ihrer sittlichen Festigkeit eine so sichere Bürgschaft haben, selbst die trübsten Verwicklungen zu lösen, daß sie mitten in ihrer Verstrickung die innere Freiheit behaupten und das Widerwärtigste mit leichtem Scherze entwirren. Ein solches Wesen ist Porzia im Kaufm. v. Venedig, deren herrlicher Humor diese männliche Grundlage mit der Anmuth des flüssigen Scherzes umkleidet.. Naturen dieser Art können weder blos dem naiven Humor, noch auch der dritten Stufe desselben, wie sich aus ihrer Darstellung ergeben wird, zugetheilt werden, und da doch ihr Humor nichts weniger als gebrochen genannt werden kann, so scheint unsere Eintheilung für eine wesentliche
Formen des Geiſtes herbeiziehen und aufnehmen; doch nicht ſogleich zu der Bildung, die es zur Allgemeinheit des Denkens gebracht hat, dürfen wir übergehen, es liegt dazwiſchen noch eine weſentliche Stufe, welche zwiſchen dem naiven und dem wirklich reflectirten Humor die Mitte hält. Um dieſe, wie ſie im §. dargeſtellt iſt, ſich zu vergegenwärtigen, denke man vorzüglich an edle weibliche Naturen, wie z. B. Roſalinde in Wie es euch gefällt. Ihr Eigenthum iſt geiſtiges Leben, Bildung, Grazie. Eine Leidenſchaft, eine unglückliche Liebe befällt ſie; dieſe Erfahrung iſt noch zu unmittelbar real, um völlige Freiheit des Humors zuzulaſſen, ſie belächelt den Schmerz, an deſſen ſchamhafter Schönheit ſie ſich zugleich weidet, ſie iſt in ihn verliebt, denn er iſt das eingehüllte Bild des Ge- liebten, und ſie ſehnt ſein Ende herbei, ſie verbirgt ihn und ſie verräth ihn mit der Anmuth der unſchuldigen Koketterie, und Alles dies mit ſprudelndem Witz und Scherz, der zwiſchen Thränen lächelt und in der eigenen Qual noch Zeit hat, den Geliebten ſelbſt und jedermann zu necken. Dieſe Naturen im Zuſtande des Leidens ſind doch zu unfrei, ſie ſind noch zu unglücklich, um ſie dem reinen und vollen Humor zuzutheilen, und wie weit ſie ſich befreien, dies iſt ſelbſt wieder ebenſoſehr und noch mehr Geſchenk der von Hauſe aus ſchönen Natur, als ein Werk erarbeiteten innerlichen Lebens. Was aber dieſe Form dem gebrochenen Humor zuweist, iſt dies, daß ſie, je mehr allerdings ſchon innerlich und gebildet, deſto tiefer auch das Unglück ihres Bruches fühlt und deſto weniger es völlig aufzulöſen vermag. Die anmuthige Natur, die es freilich nicht zu vollem innerlichem Bewußtſeyn kommen läßt, erleichtert dieſen Bruch, aber eben weil ſie blos Natur iſt, erſchwert ſie auch die Befreiung wieder, denn das Schickſal kommt über ſie und ſie kann nicht ſeiner ganz Herr werden, wenn es nicht durch die Gunſt des Zufalls eine glückliche Wendung nimmt. Es gibt freilich auch im Elemente ſchöner, glücklich organiſirter Weiblichkeit höhere Naturen, die mehr Charakter zu nennen ſind und in ihrer ſittlichen Feſtigkeit eine ſo ſichere Bürgſchaft haben, ſelbſt die trübſten Verwicklungen zu löſen, daß ſie mitten in ihrer Verſtrickung die innere Freiheit behaupten und das Widerwärtigſte mit leichtem Scherze entwirren. Ein ſolches Weſen iſt Porzia im Kaufm. v. Venedig, deren herrlicher Humor dieſe männliche Grundlage mit der Anmuth des flüſſigen Scherzes umkleidet.. Naturen dieſer Art können weder blos dem naiven Humor, noch auch der dritten Stufe desſelben, wie ſich aus ihrer Darſtellung ergeben wird, zugetheilt werden, und da doch ihr Humor nichts weniger als gebrochen genannt werden kann, ſo ſcheint unſere Eintheilung für eine weſentliche
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Formen des Geiſtes herbeiziehen und aufnehmen; doch nicht ſogleich zu
der Bildung, die es zur Allgemeinheit des Denkens gebracht hat, dürfen
wir übergehen, es liegt dazwiſchen noch eine weſentliche Stufe, welche
zwiſchen dem naiven und dem wirklich reflectirten Humor die Mitte hält.
Um dieſe, wie ſie im §. dargeſtellt iſt, ſich zu vergegenwärtigen, denke
man vorzüglich an edle weibliche Naturen, wie z. B. Roſalinde in Wie
es euch gefällt. Ihr Eigenthum iſt geiſtiges Leben, Bildung, Grazie.
Eine Leidenſchaft, eine unglückliche Liebe befällt ſie; dieſe Erfahrung iſt
noch zu unmittelbar real, um völlige Freiheit des Humors zuzulaſſen, ſie
belächelt den Schmerz, an deſſen ſchamhafter Schönheit ſie ſich zugleich
weidet, ſie iſt in ihn verliebt, denn er iſt das eingehüllte Bild des Ge-
liebten, und ſie ſehnt ſein Ende herbei, ſie verbirgt ihn und ſie verräth
ihn mit der Anmuth der unſchuldigen Koketterie, und Alles dies mit
ſprudelndem Witz und Scherz, der zwiſchen Thränen lächelt und in der
eigenen Qual noch Zeit hat, den Geliebten ſelbſt und jedermann zu
necken. Dieſe Naturen im Zuſtande des Leidens ſind doch zu unfrei, ſie
ſind noch zu unglücklich, um ſie dem reinen und vollen Humor zuzutheilen,
und wie weit ſie ſich befreien, dies iſt ſelbſt wieder ebenſoſehr und noch
mehr Geſchenk der von Hauſe aus ſchönen Natur, als ein Werk erarbeiteten
innerlichen Lebens. Was aber dieſe Form dem gebrochenen Humor zuweist,
iſt dies, daß ſie, je mehr allerdings ſchon innerlich und gebildet, deſto
tiefer auch das Unglück ihres Bruches fühlt und deſto weniger es völlig
aufzulöſen vermag. Die anmuthige Natur, die es freilich nicht zu vollem
innerlichem Bewußtſeyn kommen läßt, erleichtert dieſen Bruch, aber eben
weil ſie blos Natur iſt, erſchwert ſie auch die Befreiung wieder, denn das
Schickſal kommt über ſie und ſie kann nicht ſeiner ganz Herr werden, wenn
es nicht durch die Gunſt des Zufalls eine glückliche Wendung nimmt. Es gibt
freilich auch im Elemente ſchöner, glücklich organiſirter Weiblichkeit höhere
Naturen, die mehr Charakter zu nennen ſind und in ihrer ſittlichen
Feſtigkeit eine ſo ſichere Bürgſchaft haben, ſelbſt die trübſten Verwicklungen
zu löſen, daß ſie mitten in ihrer Verſtrickung die innere Freiheit behaupten
und das Widerwärtigſte mit leichtem Scherze entwirren. Ein ſolches
Weſen iſt Porzia im Kaufm. v. Venedig, deren herrlicher Humor dieſe
männliche Grundlage mit der Anmuth des flüſſigen Scherzes umkleidet..
Naturen dieſer Art können weder blos dem naiven Humor, noch auch der
dritten Stufe desſelben, wie ſich aus ihrer Darſtellung ergeben wird,
zugetheilt werden, und da doch ihr Humor nichts weniger als gebrochen
genannt werden kann, ſo ſcheint unſere Eintheilung für eine weſentliche
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/478>, abgerufen am 25.11.2024.
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