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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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ganzen Reflexion. Durch diese begreift er sich als Ein Subject und setzt
die beiden Gegenglieder ineinander, so daß er seinem erhabenen Ich das un-
endlich kleine und diesem jenes unterschiebt ganz im Sinne von §. 174 ff., der
aber nun erst durch die Einheit des in sich gegangenen Subjects seine Erfüllung
findet. Das unendlich Kleine im eigenen Subject erkennt er nunmehr als
berechtigt und unendlich werthvoll, weil er es als Grund und Boden des
Erhabensten erfaßt, und auf dieses ist er nicht stolz, weil es jenes Bodens
nicht entbehren kann, und so geht der Widerspruch der sittlichen Größe und
Kleinheit, der Begeisterung und Verzweiflung in die reine Einheit der Selbst-
erhebung und Selbstverlachung auf: die Frucht eines selbsterlebten Kampfes,2
worin die Bewußtheit des Witzes in höherer Form als eine errungene
wiederkehrt.

1. J. Paul, dessen Bestimmungen über den Humor nach Grund-
lage und Ausgangspunkt hier noch nicht zu beurtheilen sind, hebt als
wesentliches Moment desselben die Selbstverlachung des Humoristen her-
vor, zwar, wie schon gesagt, in anderem Zusammenhange, so nämlich,
daß die Weltverlachung vorausgesetzt ist, zu der wir erst übergeben und
in welcher wir die Selbstverlachung als wesentlichen Theil allerdings
werden eingehen sehen. Ganz richtig aber stellt er auf, wovon wir
ausgi[n]gen, daß die Idee oder Unendlichkeit im Komischen des Humors
eine innere im Subjecte seyn müsse (a. a. O. §. 34); sonst kann ich
ihr, sagt er, den subjectiven Contrast nicht als objectiven unterlegen,
d. h. nicht mir vorstellen, als habe die unendliche Idee selbst wissentlich
gegen sich gehandelt, indem sie sich in die Widersprüche der Existenz
verstrickte. Widerspruch des Bewußtseyns mit sich kann die absolute Idee
nur seyn, wenn sie Subject ist. Nun fährt er fort: "folglich setze ich
mich selber in diesen Zwiespalt und zertheile mein Ich in den endlichen
und unendlichen Factor und lasse aus jenem diesen kommen".
Im Humor sind die Fehler des Menschen als liebenswürdig anerkannt
und zuerst findet der Humorist in sich selbst das unendlich Kleine als den-
selben Boden, worin das Höchste die Wurzel hat, das empirische Ich
als Basis und Erscheinung des reinen Ich. Wem dies Selbstliebe und
verwerfliche Selbstbeschönigung scheint, der vergißt, daß das Subject in
diesem Bewußtseyn sich wohl bescheidet, um des Hohen willen, was viel-
mehr der wahre Gegenstand der Selbstliebe ist, als wäre es etwas Reines
und Absolutes, über die Mängel und Fehler, womit es in derselben
Persönlichkeit behaftet ist, hinwegzusehen. Der Humorist erkennt sich

Vischer's Aesthetik. 1. Bd. 29

ganzen Reflexion. Durch dieſe begreift er ſich als Ein Subject und ſetzt
die beiden Gegenglieder ineinander, ſo daß er ſeinem erhabenen Ich das un-
endlich kleine und dieſem jenes unterſchiebt ganz im Sinne von §. 174 ff., der
aber nun erſt durch die Einheit des in ſich gegangenen Subjects ſeine Erfüllung
findet. Das unendlich Kleine im eigenen Subject erkennt er nunmehr als
berechtigt und unendlich werthvoll, weil er es als Grund und Boden des
Erhabenſten erfaßt, und auf dieſes iſt er nicht ſtolz, weil es jenes Bodens
nicht entbehren kann, und ſo geht der Widerſpruch der ſittlichen Größe und
Kleinheit, der Begeiſterung und Verzweiflung in die reine Einheit der Selbſt-
erhebung und Selbſtverlachung auf: die Frucht eines ſelbſterlebten Kampfes,2
worin die Bewußtheit des Witzes in höherer Form als eine errungene
wiederkehrt.

1. J. Paul, deſſen Beſtimmungen über den Humor nach Grund-
lage und Ausgangspunkt hier noch nicht zu beurtheilen ſind, hebt als
weſentliches Moment deſſelben die Selbſtverlachung des Humoriſten her-
vor, zwar, wie ſchon geſagt, in anderem Zuſammenhange, ſo nämlich,
daß die Weltverlachung vorausgeſetzt iſt, zu der wir erſt übergeben und
in welcher wir die Selbſtverlachung als weſentlichen Theil allerdings
werden eingehen ſehen. Ganz richtig aber ſtellt er auf, wovon wir
ausgi[n]gen, daß die Idee oder Unendlichkeit im Komiſchen des Humors
eine innere im Subjecte ſeyn müſſe (a. a. O. §. 34); ſonſt kann ich
ihr, ſagt er, den ſubjectiven Contraſt nicht als objectiven unterlegen,
d. h. nicht mir vorſtellen, als habe die unendliche Idee ſelbſt wiſſentlich
gegen ſich gehandelt, indem ſie ſich in die Widerſprüche der Exiſtenz
verſtrickte. Widerſpruch des Bewußtſeyns mit ſich kann die abſolute Idee
nur ſeyn, wenn ſie Subject iſt. Nun fährt er fort: „folglich ſetze ich
mich ſelber in dieſen Zwieſpalt und zertheile mein Ich in den endlichen
und unendlichen Factor und laſſe aus jenem dieſen kommen“.
Im Humor ſind die Fehler des Menſchen als liebenswürdig anerkannt
und zuerſt findet der Humoriſt in ſich ſelbſt das unendlich Kleine als den-
ſelben Boden, worin das Höchſte die Wurzel hat, das empiriſche Ich
als Baſis und Erſcheinung des reinen Ich. Wem dies Selbſtliebe und
verwerfliche Selbſtbeſchönigung ſcheint, der vergißt, daß das Subject in
dieſem Bewußtſeyn ſich wohl beſcheidet, um des Hohen willen, was viel-
mehr der wahre Gegenſtand der Selbſtliebe iſt, als wäre es etwas Reines
und Abſolutes, über die Mängel und Fehler, womit es in derſelben
Perſönlichkeit behaftet iſt, hinwegzuſehen. Der Humoriſt erkennt ſich

Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 29
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[449/0463] ganzen Reflexion. Durch dieſe begreift er ſich als Ein Subject und ſetzt die beiden Gegenglieder ineinander, ſo daß er ſeinem erhabenen Ich das un- endlich kleine und dieſem jenes unterſchiebt ganz im Sinne von §. 174 ff., der aber nun erſt durch die Einheit des in ſich gegangenen Subjects ſeine Erfüllung findet. Das unendlich Kleine im eigenen Subject erkennt er nunmehr als berechtigt und unendlich werthvoll, weil er es als Grund und Boden des Erhabenſten erfaßt, und auf dieſes iſt er nicht ſtolz, weil es jenes Bodens nicht entbehren kann, und ſo geht der Widerſpruch der ſittlichen Größe und Kleinheit, der Begeiſterung und Verzweiflung in die reine Einheit der Selbſt- erhebung und Selbſtverlachung auf: die Frucht eines ſelbſterlebten Kampfes, worin die Bewußtheit des Witzes in höherer Form als eine errungene wiederkehrt. 1. J. Paul, deſſen Beſtimmungen über den Humor nach Grund- lage und Ausgangspunkt hier noch nicht zu beurtheilen ſind, hebt als weſentliches Moment deſſelben die Selbſtverlachung des Humoriſten her- vor, zwar, wie ſchon geſagt, in anderem Zuſammenhange, ſo nämlich, daß die Weltverlachung vorausgeſetzt iſt, zu der wir erſt übergeben und in welcher wir die Selbſtverlachung als weſentlichen Theil allerdings werden eingehen ſehen. Ganz richtig aber ſtellt er auf, wovon wir ausgingen, daß die Idee oder Unendlichkeit im Komiſchen des Humors eine innere im Subjecte ſeyn müſſe (a. a. O. §. 34); ſonſt kann ich ihr, ſagt er, den ſubjectiven Contraſt nicht als objectiven unterlegen, d. h. nicht mir vorſtellen, als habe die unendliche Idee ſelbſt wiſſentlich gegen ſich gehandelt, indem ſie ſich in die Widerſprüche der Exiſtenz verſtrickte. Widerſpruch des Bewußtſeyns mit ſich kann die abſolute Idee nur ſeyn, wenn ſie Subject iſt. Nun fährt er fort: „folglich ſetze ich mich ſelber in dieſen Zwieſpalt und zertheile mein Ich in den endlichen und unendlichen Factor und laſſe aus jenem dieſen kommen“. Im Humor ſind die Fehler des Menſchen als liebenswürdig anerkannt und zuerſt findet der Humoriſt in ſich ſelbſt das unendlich Kleine als den- ſelben Boden, worin das Höchſte die Wurzel hat, das empiriſche Ich als Baſis und Erſcheinung des reinen Ich. Wem dies Selbſtliebe und verwerfliche Selbſtbeſchönigung ſcheint, der vergißt, daß das Subject in dieſem Bewußtſeyn ſich wohl beſcheidet, um des Hohen willen, was viel- mehr der wahre Gegenſtand der Selbſtliebe iſt, als wäre es etwas Reines und Abſolutes, über die Mängel und Fehler, womit es in derſelben Perſönlichkeit behaftet iſt, hinwegzuſehen. Der Humoriſt erkennt ſich Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 29

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/463>, abgerufen am 22.11.2024.