Diese Erhabenheit ist nun in Einem und demselben Subjecte mit dem unendlich Kleinen behaftet. Es ist zunächst gleichgültig, ob dieser Druck ein besonders empfindlicher ist, wie er durch die Last einer dem innern Adel wider- sprechenden Erscheinung, durch ärmliche Lage, widerwärtige Zufälle, kleinliche Schwächen für das edle Subject sich gestaltet, oder ob er nur Gefühl der all- gemeinen menschlichen Schwäche und Abhängigkeit bei geringem Maße der eigenen ist. Denn einestheils ist in dieser Form der Komik die sinnlich helle Beobachtung der Posse und das geschärfte Auge des Witzes für jeden Anstoß erhalten, anderntheils wird diese Schärfe noch gesteigert durch die Tiefe und Reinheit des Gefühlslebens, welches, im Erhabenen heimisch, für den Druck des unendlich Kleinen im höchsten Grade empfindlich wird. Daher wird jeder Anstoß zu einem unendlichen Schmerzgefühle und da das Leben eine Reihe von solchen ist, so schwebt die Grundstimmung zwischen dem Genuß jener reinen Erhebung und der tiefsten Trauer und Entrüstung über diese unendlichen Hem- mungen.
Die humoristische Persönlichkeit braucht kein Gottwalt im dünnen Nankingröckchen, kein armer Dorfschulmeister, auch kein grundliederlicher Falstaff zu seyn. Katarrh und Hühneraugen reichen hin, eine Natur, wie sie der Humor fordert, unendlich unglücklich zu machen, denn sie hat die geistige Organisation, zu fühlen, was das heißen will, in der Aus- führung der reinsten Zwecke gehindert, in den schönsten Augenblicken ge- stört zu seyn durch Husten, Schnäuzen, Spucken, Niesen, Hinken. Sie ist darin so empfindlich wie nacktes Fleisch in einer Wunde, sie ist ein schaalloses Ei. Wir werden weiter unten von der Hypochondrie des Humoristen besonders reden. Ebenso macht er sich über den kleinsten sittlichen Flecken die grausamsten Vorwürfe. Der Humor setzt daher, da die Hemmungen beider Art endlos fortgehen, das tiefste Unglück des Bewußtseyns voraus.
§. 209.
1
So ist die seyende Persönlichkeit bestimmt, in welcher sich zunächst die Reflexion des Witzes ausgelöscht hat; aus diesem Seyn aber befreit sich der Humor durch die Bewegung einer zweiten, auf das eigene Subject zurückgehenden,
§. 208.
Dieſe Erhabenheit iſt nun in Einem und demſelben Subjecte mit dem unendlich Kleinen behaftet. Es iſt zunächſt gleichgültig, ob dieſer Druck ein beſonders empfindlicher iſt, wie er durch die Laſt einer dem innern Adel wider- ſprechenden Erſcheinung, durch ärmliche Lage, widerwärtige Zufälle, kleinliche Schwächen für das edle Subject ſich geſtaltet, oder ob er nur Gefühl der all- gemeinen menſchlichen Schwäche und Abhängigkeit bei geringem Maße der eigenen iſt. Denn einestheils iſt in dieſer Form der Komik die ſinnlich helle Beobachtung der Poſſe und das geſchärfte Auge des Witzes für jeden Anſtoß erhalten, anderntheils wird dieſe Schärfe noch geſteigert durch die Tiefe und Reinheit des Gefühlslebens, welches, im Erhabenen heimiſch, für den Druck des unendlich Kleinen im höchſten Grade empfindlich wird. Daher wird jeder Anſtoß zu einem unendlichen Schmerzgefühle und da das Leben eine Reihe von ſolchen iſt, ſo ſchwebt die Grundſtimmung zwiſchen dem Genuß jener reinen Erhebung und der tiefſten Trauer und Entrüſtung über dieſe unendlichen Hem- mungen.
Die humoriſtiſche Perſönlichkeit braucht kein Gottwalt im dünnen Nankingröckchen, kein armer Dorfſchulmeiſter, auch kein grundliederlicher Falſtaff zu ſeyn. Katarrh und Hühneraugen reichen hin, eine Natur, wie ſie der Humor fordert, unendlich unglücklich zu machen, denn ſie hat die geiſtige Organiſation, zu fühlen, was das heißen will, in der Aus- führung der reinſten Zwecke gehindert, in den ſchönſten Augenblicken ge- ſtört zu ſeyn durch Huſten, Schnäuzen, Spucken, Nieſen, Hinken. Sie iſt darin ſo empfindlich wie nacktes Fleiſch in einer Wunde, ſie iſt ein ſchaalloſes Ei. Wir werden weiter unten von der Hypochondrie des Humoriſten beſonders reden. Ebenſo macht er ſich über den kleinſten ſittlichen Flecken die grauſamſten Vorwürfe. Der Humor ſetzt daher, da die Hemmungen beider Art endlos fortgehen, das tiefſte Unglück des Bewußtſeyns voraus.
§. 209.
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So iſt die ſeyende Perſönlichkeit beſtimmt, in welcher ſich zunächſt die Reflexion des Witzes ausgelöſcht hat; aus dieſem Seyn aber befreit ſich der Humor durch die Bewegung einer zweiten, auf das eigene Subject zurückgehenden,
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§. 208.
Dieſe Erhabenheit iſt nun in Einem und demſelben Subjecte mit dem
unendlich Kleinen behaftet. Es iſt zunächſt gleichgültig, ob dieſer Druck ein
beſonders empfindlicher iſt, wie er durch die Laſt einer dem innern Adel wider-
ſprechenden Erſcheinung, durch ärmliche Lage, widerwärtige Zufälle, kleinliche
Schwächen für das edle Subject ſich geſtaltet, oder ob er nur Gefühl der all-
gemeinen menſchlichen Schwäche und Abhängigkeit bei geringem Maße der
eigenen iſt. Denn einestheils iſt in dieſer Form der Komik die ſinnlich helle
Beobachtung der Poſſe und das geſchärfte Auge des Witzes für jeden Anſtoß
erhalten, anderntheils wird dieſe Schärfe noch geſteigert durch die Tiefe und
Reinheit des Gefühlslebens, welches, im Erhabenen heimiſch, für den Druck
des unendlich Kleinen im höchſten Grade empfindlich wird. Daher wird jeder
Anſtoß zu einem unendlichen Schmerzgefühle und da das Leben eine Reihe von
ſolchen iſt, ſo ſchwebt die Grundſtimmung zwiſchen dem Genuß jener reinen
Erhebung und der tiefſten Trauer und Entrüſtung über dieſe unendlichen Hem-
mungen.
Die humoriſtiſche Perſönlichkeit braucht kein Gottwalt im dünnen
Nankingröckchen, kein armer Dorfſchulmeiſter, auch kein grundliederlicher
Falſtaff zu ſeyn. Katarrh und Hühneraugen reichen hin, eine Natur,
wie ſie der Humor fordert, unendlich unglücklich zu machen, denn ſie hat
die geiſtige Organiſation, zu fühlen, was das heißen will, in der Aus-
führung der reinſten Zwecke gehindert, in den ſchönſten Augenblicken ge-
ſtört zu ſeyn durch Huſten, Schnäuzen, Spucken, Nieſen, Hinken. Sie
iſt darin ſo empfindlich wie nacktes Fleiſch in einer Wunde, ſie iſt ein
ſchaalloſes Ei. Wir werden weiter unten von der Hypochondrie des
Humoriſten beſonders reden. Ebenſo macht er ſich über den kleinſten
ſittlichen Flecken die grauſamſten Vorwürfe. Der Humor ſetzt daher, da
die Hemmungen beider Art endlos fortgehen, das tiefſte Unglück des
Bewußtſeyns voraus.
§. 209.
So iſt die ſeyende Perſönlichkeit beſtimmt, in welcher ſich zunächſt die
Reflexion des Witzes ausgelöſcht hat; aus dieſem Seyn aber befreit ſich der
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/462>, abgerufen am 22.11.2024.
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