g. Der in seinen Gegenstand eingehende Witz oder die Ironie.
§. 201.
Soll die Aeußerlichkeit des Witzes, wie sie in der Trennung des an- schauenden Subjects von dem angeschauten ihren Grund hat und in dem Aus- einanderfallen von Gehalt und Form zu Tage kommt, verschwinden, so ist das anschauende Subject genöthigt, in das angeschaute wirklich einzugehen und das Fortschweifen nach einer entlegenen zweiten Vorstellung, das aus dem Fürsich- bleiben seiner reflectirenden Stellung floß, aufzugeben. Es läßt sich mit diesem ein, knüpft an die Möglichkeit der Besinnung an, die in ihm als verirrtem Subjecte schlummert, legt ihm seine eigene wirkliche Besinnung in demselben Punkte, worin es irrt, also mit Verzichten auf die weit hergeholte zweite Vor- stellung unter, stellt es dar, als wäre es selbst besonnen, und statt es zu tadeln, lobt es dasselbe zum Scheine, aber nicht zu auffallend, sondern fein und mit ansich- haltender Mäßigung. So entsteht eine ansteigende Linie, welche sich immer mehr dem Punkte nähert, wo plötzlich der Widerspruch zwischen der Häßlichkeit des Dargestellten, in welcher die Besinnung nur als mögliche schlummert, und der untergelegten wirklichen Besinnung in der Darstellung hervorspringt: dies ist die Ironie.
Die Darstellung der Ironie gehört zu dem Besten in J. Pauls Vor- schule der Aesthetik. Zunächst zwar bestimmt er sie als den epischen Humor, und nicht nur diese Ueberweisung an eine bestimmte Kunstgattung müssen wir für eine falsche Einschränkung erklären, sondern überhaupt daran erinnern, daß diese Form wie alle andern auch außer und vor aller Kunst vorkommt. Statt episch sagen wir objectiv und nehmen daher für unsern Zweck J. Pauls weitere Bestimmung auf, es sey die Form des Komischen, worin blos der objective Contrast oder die objective Maxime hervorgehoben und der subjective Contrast verborgen wird. Daß aber die Ironie noch nicht Humor, sondern nur der Uebergang zu diesem ist, dies wird sich aus ihrer Darstellung ergeben. -- Unsere Untersuchung nun kommt von dem bildlichen Witze her, hat die Mängel aufgedeckt, an denen auch er leidet, und sie darin gefunden, daß noch das lachende außerhalb und über dem verlachten Subjecte stehen bleibt und ebenso die zweite Vorstellung,
γ. Der in ſeinen Gegenſtand eingehende Witz oder die Ironie.
§. 201.
Soll die Aeußerlichkeit des Witzes, wie ſie in der Trennung des an- ſchauenden Subjects von dem angeſchauten ihren Grund hat und in dem Aus- einanderfallen von Gehalt und Form zu Tage kommt, verſchwinden, ſo iſt das anſchauende Subject genöthigt, in das angeſchaute wirklich einzugehen und das Fortſchweifen nach einer entlegenen zweiten Vorſtellung, das aus dem Fürſich- bleiben ſeiner reflectirenden Stellung floß, aufzugeben. Es läßt ſich mit dieſem ein, knüpft an die Möglichkeit der Beſinnung an, die in ihm als verirrtem Subjecte ſchlummert, legt ihm ſeine eigene wirkliche Beſinnung in demſelben Punkte, worin es irrt, alſo mit Verzichten auf die weit hergeholte zweite Vor- ſtellung unter, ſtellt es dar, als wäre es ſelbſt beſonnen, und ſtatt es zu tadeln, lobt es daſſelbe zum Scheine, aber nicht zu auffallend, ſondern fein und mit anſich- haltender Mäßigung. So entſteht eine anſteigende Linie, welche ſich immer mehr dem Punkte nähert, wo plötzlich der Widerſpruch zwiſchen der Häßlichkeit des Dargeſtellten, in welcher die Beſinnung nur als mögliche ſchlummert, und der untergelegten wirklichen Beſinnung in der Darſtellung hervorſpringt: dies iſt die Ironie.
Die Darſtellung der Ironie gehört zu dem Beſten in J. Pauls Vor- ſchule der Aeſthetik. Zunächſt zwar beſtimmt er ſie als den epiſchen Humor, und nicht nur dieſe Ueberweiſung an eine beſtimmte Kunſtgattung müſſen wir für eine falſche Einſchränkung erklären, ſondern überhaupt daran erinnern, daß dieſe Form wie alle andern auch außer und vor aller Kunſt vorkommt. Statt epiſch ſagen wir objectiv und nehmen daher für unſern Zweck J. Pauls weitere Beſtimmung auf, es ſey die Form des Komiſchen, worin blos der objective Contraſt oder die objective Maxime hervorgehoben und der ſubjective Contraſt verborgen wird. Daß aber die Ironie noch nicht Humor, ſondern nur der Uebergang zu dieſem iſt, dies wird ſich aus ihrer Darſtellung ergeben. — Unſere Unterſuchung nun kommt von dem bildlichen Witze her, hat die Mängel aufgedeckt, an denen auch er leidet, und ſie darin gefunden, daß noch das lachende außerhalb und über dem verlachten Subjecte ſtehen bleibt und ebenſo die zweite Vorſtellung,
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Der in ſeinen Gegenſtand eingehende Witz oder die Ironie.
§. 201.
Soll die Aeußerlichkeit des Witzes, wie ſie in der Trennung des an-
ſchauenden Subjects von dem angeſchauten ihren Grund hat und in dem Aus-
einanderfallen von Gehalt und Form zu Tage kommt, verſchwinden, ſo iſt das
anſchauende Subject genöthigt, in das angeſchaute wirklich einzugehen und das
Fortſchweifen nach einer entlegenen zweiten Vorſtellung, das aus dem Fürſich-
bleiben ſeiner reflectirenden Stellung floß, aufzugeben. Es läßt ſich mit dieſem
ein, knüpft an die Möglichkeit der Beſinnung an, die in ihm als verirrtem
Subjecte ſchlummert, legt ihm ſeine eigene wirkliche Beſinnung in demſelben
Punkte, worin es irrt, alſo mit Verzichten auf die weit hergeholte zweite Vor-
ſtellung unter, ſtellt es dar, als wäre es ſelbſt beſonnen, und ſtatt es zu tadeln,
lobt es daſſelbe zum Scheine, aber nicht zu auffallend, ſondern fein und mit anſich-
haltender Mäßigung. So entſteht eine anſteigende Linie, welche ſich immer
mehr dem Punkte nähert, wo plötzlich der Widerſpruch zwiſchen der Häßlichkeit
des Dargeſtellten, in welcher die Beſinnung nur als mögliche ſchlummert, und
der untergelegten wirklichen Beſinnung in der Darſtellung hervorſpringt: dies iſt
die Ironie.
Die Darſtellung der Ironie gehört zu dem Beſten in J. Pauls Vor-
ſchule der Aeſthetik. Zunächſt zwar beſtimmt er ſie als den epiſchen Humor,
und nicht nur dieſe Ueberweiſung an eine beſtimmte Kunſtgattung müſſen wir
für eine falſche Einſchränkung erklären, ſondern überhaupt daran erinnern,
daß dieſe Form wie alle andern auch außer und vor aller Kunſt vorkommt.
Statt epiſch ſagen wir objectiv und nehmen daher für unſern Zweck
J. Pauls weitere Beſtimmung auf, es ſey die Form des Komiſchen,
worin blos der objective Contraſt oder die objective Maxime hervorgehoben
und der ſubjective Contraſt verborgen wird. Daß aber die Ironie noch
nicht Humor, ſondern nur der Uebergang zu dieſem iſt, dies wird ſich aus
ihrer Darſtellung ergeben. — Unſere Unterſuchung nun kommt von
dem bildlichen Witze her, hat die Mängel aufgedeckt, an denen auch er
leidet, und ſie darin gefunden, daß noch das lachende außerhalb und
über dem verlachten Subjecte ſtehen bleibt und ebenſo die zweite Vorſtellung,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/450>, abgerufen am 22.11.2024.
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