Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

begnügen könnte, in dem Grade verschwindet, in welchem der Gedanken-Aus-
druck nicht ein sinnlich Einzelnes zum Gegenstande hat, sondern etwas Allge-
meines ausspricht, so wird von dieser Gattung des Witzes mit Bestimmtheit eine
treffende Spitze (§. 195) verlangt.

1. Das Reich ist unendlich; nur wenige Beispiele. Declination:
Begriff des Genitivs: statua statuae. Genus: Spiele mit: der Mensch
und das Mensch. Bindewort: und -- Schillers Witz von den Minne-
sängern, hier sey ewig nur der Frühling, der kommt, der Winter, der
geht, und die lange Weile, die bleibt. Subject und Prädikat: Lichten-
bergs
zweischläfriger Kirchstuhl. Theil mit seinem sprachlichen Ausdruck:
zu den redenden Künsten gehört die schweigende. Thätigkeitswort: Witz
der Mad. Düdeffant von dem Maschinen-Meister Vaucanson: ich wette,
er hat sich selbst gemacht. Zweck mit seinem Ausdruck in der Conjunction:
er macht sich einen Denkzettel, um es zu vergessen. Negative Steigerung
in Siebenkäs, der versichert, ein Buch nicht recensiren, geschweige denn
lesen zu können u. s. w. u. s. w. Auch Zahlen-Verhältnisse: zum Kriege
gehört erstens Geld, zweitens Geld, drittens Geld; Wirthsrechnung:
dreimal vier ist zwanzig u. s. w. u. s. w.

2. Bei dem Wortwitze kann man sich, wenn er auch keine treffende
Spitze hat, noch immer des reinen Spiels erfreuen, weil Sinnliches, ein
Anklang, ein inneres Hören darin ist; man stellt sich vor, wie dem
Wunderlichen, der das erfunden, wohl das verwandte Wort im Ohre
gesummt haben mag. Im reinen Reflexions-Witz geht Absichtslosigkeit
noch am leichtesten, wenn ein sinnliches Dieses bezeichnet wird, wie das
obige Messer aus Lichtenbergs Auction: man versucht, sich das Messer,
das sich unter dem Vorstellen vielmehr aufhebt, doch vorzustellen und
dies ergötzt. Ist aber der Satz allgemein, so muß er einen Sinn
haben, der den Gegenstand strafend faßt, sonst entsteht kindische Plattheit,
reiner Unsinn.

b.
Der bildliche Witz.
§. 199.

Hiedurch ist aber der Witz von der Bodenlosigkeit des freien Spiels in
die andere Einseitigkeit der Anwendung seines Spiels als unselbständigen Mittels

begnügen könnte, in dem Grade verſchwindet, in welchem der Gedanken-Aus-
druck nicht ein ſinnlich Einzelnes zum Gegenſtande hat, ſondern etwas Allge-
meines ausſpricht, ſo wird von dieſer Gattung des Witzes mit Beſtimmtheit eine
treffende Spitze (§. 195) verlangt.

1. Das Reich iſt unendlich; nur wenige Beiſpiele. Declination:
Begriff des Genitivs: statua statuae. Genus: Spiele mit: der Menſch
und das Menſch. Bindewort: und — Schillers Witz von den Minne-
ſängern, hier ſey ewig nur der Frühling, der kommt, der Winter, der
geht, und die lange Weile, die bleibt. Subject und Prädikat: Lichten-
bergs
zweiſchläfriger Kirchſtuhl. Theil mit ſeinem ſprachlichen Ausdruck:
zu den redenden Künſten gehört die ſchweigende. Thätigkeitswort: Witz
der Mad. Düdeffant von dem Maſchinen-Meiſter Vaucanſon: ich wette,
er hat ſich ſelbſt gemacht. Zweck mit ſeinem Ausdruck in der Conjunction:
er macht ſich einen Denkzettel, um es zu vergeſſen. Negative Steigerung
in Siebenkäs, der verſichert, ein Buch nicht recenſiren, geſchweige denn
leſen zu können u. ſ. w. u. ſ. w. Auch Zahlen-Verhältniſſe: zum Kriege
gehört erſtens Geld, zweitens Geld, drittens Geld; Wirthsrechnung:
dreimal vier iſt zwanzig u. ſ. w. u. ſ. w.

2. Bei dem Wortwitze kann man ſich, wenn er auch keine treffende
Spitze hat, noch immer des reinen Spiels erfreuen, weil Sinnliches, ein
Anklang, ein inneres Hören darin iſt; man ſtellt ſich vor, wie dem
Wunderlichen, der das erfunden, wohl das verwandte Wort im Ohre
geſummt haben mag. Im reinen Reflexions-Witz geht Abſichtsloſigkeit
noch am leichteſten, wenn ein ſinnliches Dieſes bezeichnet wird, wie das
obige Meſſer aus Lichtenbergs Auction: man verſucht, ſich das Meſſer,
das ſich unter dem Vorſtellen vielmehr aufhebt, doch vorzuſtellen und
dies ergötzt. Iſt aber der Satz allgemein, ſo muß er einen Sinn
haben, der den Gegenſtand ſtrafend faßt, ſonſt entſteht kindiſche Plattheit,
reiner Unſinn.

β.
Der bildliche Witz.
§. 199.

Hiedurch iſt aber der Witz von der Bodenloſigkeit des freien Spiels in
die andere Einſeitigkeit der Anwendung ſeines Spiels als unſelbſtändigen Mittels

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p> <hi rendition="#fr"><pb facs="#f0446" n="432"/>
begnügen könnte, in dem Grade ver&#x017F;chwindet, in welchem der Gedanken-Aus-<lb/>
druck nicht ein &#x017F;innlich Einzelnes zum Gegen&#x017F;tande hat, &#x017F;ondern etwas Allge-<lb/>
meines aus&#x017F;pricht, &#x017F;o wird von die&#x017F;er Gattung des Witzes mit Be&#x017F;timmtheit eine<lb/>
treffende Spitze (§. 195) verlangt.</hi> </p><lb/>
                  <p> <hi rendition="#et">1. Das Reich i&#x017F;t unendlich; nur wenige Bei&#x017F;piele. Declination:<lb/>
Begriff des Genitivs: <hi rendition="#aq">statua statuae.</hi> Genus: Spiele mit: der Men&#x017F;ch<lb/>
und das Men&#x017F;ch. Bindewort: und &#x2014; <hi rendition="#g">Schillers</hi> Witz von den Minne-<lb/>
&#x017F;ängern, hier &#x017F;ey ewig nur der Frühling, der kommt, der Winter, der<lb/>
geht, und die lange Weile, die bleibt. Subject und Prädikat: <hi rendition="#g">Lichten-<lb/>
bergs</hi> zwei&#x017F;chläfriger Kirch&#x017F;tuhl. Theil mit &#x017F;einem &#x017F;prachlichen Ausdruck:<lb/>
zu den redenden Kün&#x017F;ten gehört die &#x017F;chweigende. Thätigkeitswort: Witz<lb/>
der Mad. Düdeffant von dem Ma&#x017F;chinen-Mei&#x017F;ter Vaucan&#x017F;on: ich wette,<lb/>
er hat &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t gemacht. Zweck mit &#x017F;einem Ausdruck in der Conjunction:<lb/>
er macht &#x017F;ich einen Denkzettel, um es zu verge&#x017F;&#x017F;en. Negative Steigerung<lb/>
in Siebenkäs, der ver&#x017F;ichert, ein Buch nicht recen&#x017F;iren, ge&#x017F;chweige denn<lb/>
le&#x017F;en zu können u. &#x017F;. w. u. &#x017F;. w. Auch Zahlen-Verhältni&#x017F;&#x017F;e: zum Kriege<lb/>
gehört er&#x017F;tens Geld, zweitens Geld, drittens Geld; Wirthsrechnung:<lb/>
dreimal vier i&#x017F;t zwanzig u. &#x017F;. w. u. &#x017F;. w.</hi> </p><lb/>
                  <p> <hi rendition="#et">2. Bei dem Wortwitze kann man &#x017F;ich, wenn er auch keine treffende<lb/>
Spitze hat, noch immer des reinen Spiels erfreuen, weil Sinnliches, ein<lb/>
Anklang, ein inneres Hören darin i&#x017F;t; man &#x017F;tellt &#x017F;ich vor, wie dem<lb/>
Wunderlichen, der das erfunden, wohl das verwandte Wort im Ohre<lb/>
ge&#x017F;ummt haben mag. Im reinen Reflexions-Witz geht Ab&#x017F;ichtslo&#x017F;igkeit<lb/>
noch am leichte&#x017F;ten, wenn ein &#x017F;innliches Die&#x017F;es bezeichnet wird, wie das<lb/>
obige Me&#x017F;&#x017F;er aus Lichtenbergs Auction: man ver&#x017F;ucht, &#x017F;ich das Me&#x017F;&#x017F;er,<lb/>
das &#x017F;ich unter dem Vor&#x017F;tellen vielmehr aufhebt, doch vorzu&#x017F;tellen und<lb/>
dies ergötzt. I&#x017F;t aber der Satz allgemein, &#x017F;o muß er einen Sinn<lb/>
haben, der den Gegen&#x017F;tand &#x017F;trafend faßt, &#x017F;on&#x017F;t ent&#x017F;teht kindi&#x017F;che Plattheit,<lb/>
reiner Un&#x017F;inn.</hi> </p>
                </div>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head><hi rendition="#i">&#x03B2;</hi>.<lb/>
Der bildliche Witz.</head><lb/>
                <div n="6">
                  <head>§. 199.</head><lb/>
                  <p> <hi rendition="#fr">Hiedurch i&#x017F;t aber der Witz von der Bodenlo&#x017F;igkeit des freien Spiels in<lb/>
die andere Ein&#x017F;eitigkeit der Anwendung &#x017F;eines Spiels als un&#x017F;elb&#x017F;tändigen Mittels<lb/></hi> </p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[432/0446] begnügen könnte, in dem Grade verſchwindet, in welchem der Gedanken-Aus- druck nicht ein ſinnlich Einzelnes zum Gegenſtande hat, ſondern etwas Allge- meines ausſpricht, ſo wird von dieſer Gattung des Witzes mit Beſtimmtheit eine treffende Spitze (§. 195) verlangt. 1. Das Reich iſt unendlich; nur wenige Beiſpiele. Declination: Begriff des Genitivs: statua statuae. Genus: Spiele mit: der Menſch und das Menſch. Bindewort: und — Schillers Witz von den Minne- ſängern, hier ſey ewig nur der Frühling, der kommt, der Winter, der geht, und die lange Weile, die bleibt. Subject und Prädikat: Lichten- bergs zweiſchläfriger Kirchſtuhl. Theil mit ſeinem ſprachlichen Ausdruck: zu den redenden Künſten gehört die ſchweigende. Thätigkeitswort: Witz der Mad. Düdeffant von dem Maſchinen-Meiſter Vaucanſon: ich wette, er hat ſich ſelbſt gemacht. Zweck mit ſeinem Ausdruck in der Conjunction: er macht ſich einen Denkzettel, um es zu vergeſſen. Negative Steigerung in Siebenkäs, der verſichert, ein Buch nicht recenſiren, geſchweige denn leſen zu können u. ſ. w. u. ſ. w. Auch Zahlen-Verhältniſſe: zum Kriege gehört erſtens Geld, zweitens Geld, drittens Geld; Wirthsrechnung: dreimal vier iſt zwanzig u. ſ. w. u. ſ. w. 2. Bei dem Wortwitze kann man ſich, wenn er auch keine treffende Spitze hat, noch immer des reinen Spiels erfreuen, weil Sinnliches, ein Anklang, ein inneres Hören darin iſt; man ſtellt ſich vor, wie dem Wunderlichen, der das erfunden, wohl das verwandte Wort im Ohre geſummt haben mag. Im reinen Reflexions-Witz geht Abſichtsloſigkeit noch am leichteſten, wenn ein ſinnliches Dieſes bezeichnet wird, wie das obige Meſſer aus Lichtenbergs Auction: man verſucht, ſich das Meſſer, das ſich unter dem Vorſtellen vielmehr aufhebt, doch vorzuſtellen und dies ergötzt. Iſt aber der Satz allgemein, ſo muß er einen Sinn haben, der den Gegenſtand ſtrafend faßt, ſonſt entſteht kindiſche Plattheit, reiner Unſinn. β. Der bildliche Witz. §. 199. Hiedurch iſt aber der Witz von der Bodenloſigkeit des freien Spiels in die andere Einſeitigkeit der Anwendung ſeines Spiels als unſelbſtändigen Mittels

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/446
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/446>, abgerufen am 21.11.2024.