Hekatombe: seitdem zittert jeder Ochs, so oft eine neue Wahrheit ent- deckt wird"; hier kann man den zitternden bildlichen Ochsen nicht unter- legen, als hätten sie sich im Irrthum über ihre Menschenwürde die eigentlichen Ochsen der Hekatombe zum Muster genommen. Daher bleibt beim Witze das getroffene Subject draußen stehen, denn es kann das nicht in sich aufnehmen, sich nicht als verborgene Wahrheit seines Be- wußtseyns sagen lassen, was der Witz herbeiholt.
2. Die angeführten Witze treffen. Der folgende §. wird auf den Witz, der trifft, d. h. der irgend eine Häßlichkeit strafend erfaßt, zu- rückkommen; die Untersuchung hat aber zunächst einen andern Witz in's Auge zu fassen oder richtiger das reine Wesen des Witzes. Wenn näm- lich der Witz, wie gezeigt, nicht innerlich eingeht in das Bewußtseyn des Irrenden, sondern ihn, wenn er ihn auch trifft, getroffen stehen läßt, so sitzt sein eigentliches Wesen offenbar gar nicht in diesem Zu- sammengehen mit dem verlachten Subjecte, und dies zeigt sich am reinsten darin, daß er sein Spiel ausüben kann ganz ohne etwas oder etwen zu treffen. Die Schrift des Verf. über d. Erh. u. Kom. hat (S. 196 u. 202) vom Witze überhaupt ausgesagt, er habe keinen eigentlichen Sinn, es sey nur der methodische Zusammenhang, die Location der Begriffe, womit er spiele, und nur subjective Nebenbeziehungen geben ihm den sogenannten Gehalt. Bohtz (über d. Kom. und d. Komödie S. 93) hat dies angegriffen. Der Punkt ist schwierig. J. Paul schwankt; das Einemal (z. B. a. a. O. §. 53) sagt er, es müsse ge- standen werden, daß "bloser" Witz "als solcher" nur abmattend er- götze, sobald er auf seinen bunten Spielkarten nicht etwas Wesentliches z. B. Empfindung, Bemerkung u. s. w. zu gewinnen gebe; allein §. 54 sagt er ganz allgemein, der Witz sey von Natur ein Geister- und Götter- Läugner, der an keinem Wesen Antheil nehme, sondern nur an dessen Verhältnissen. Dies stimmt nur dann zusammen, wenn man hinzusetzt, daß der Witz freilich einen Gegenstand treffen und so einen Gehalt haben müsse, daß dies aber äußerlich hinzukomme, nicht noth- wendig im Wesen des Witzes liege, und dies eben ist die richtige Ansicht, wie der folg. §. zeigen wird. Die Aeußerungen in der genannten Schrift des Verf. haben nur den Mangel, daß sie blos andeuten und nicht bestimmt untersuchen, wie sich dieser sogenannte Gehalt im Witz verhalte, ob organisch, oder nur äußerlich hinzukommend, und daß Beispiele ange- führt werden (S. 197), welche allerdings treffenden Gehalt haben und von welchen nicht hätte gesagt werden sollen, sie haben keinen Sinn,
Hekatombe: ſeitdem zittert jeder Ochs, ſo oft eine neue Wahrheit ent- deckt wird“; hier kann man den zitternden bildlichen Ochſen nicht unter- legen, als hätten ſie ſich im Irrthum über ihre Menſchenwürde die eigentlichen Ochſen der Hekatombe zum Muſter genommen. Daher bleibt beim Witze das getroffene Subject draußen ſtehen, denn es kann das nicht in ſich aufnehmen, ſich nicht als verborgene Wahrheit ſeines Be- wußtſeyns ſagen laſſen, was der Witz herbeiholt.
2. Die angeführten Witze treffen. Der folgende §. wird auf den Witz, der trifft, d. h. der irgend eine Häßlichkeit ſtrafend erfaßt, zu- rückkommen; die Unterſuchung hat aber zunächſt einen andern Witz in’s Auge zu faſſen oder richtiger das reine Weſen des Witzes. Wenn näm- lich der Witz, wie gezeigt, nicht innerlich eingeht in das Bewußtſeyn des Irrenden, ſondern ihn, wenn er ihn auch trifft, getroffen ſtehen läßt, ſo ſitzt ſein eigentliches Weſen offenbar gar nicht in dieſem Zu- ſammengehen mit dem verlachten Subjecte, und dies zeigt ſich am reinſten darin, daß er ſein Spiel ausüben kann ganz ohne etwas oder etwen zu treffen. Die Schrift des Verf. über d. Erh. u. Kom. hat (S. 196 u. 202) vom Witze überhaupt ausgeſagt, er habe keinen eigentlichen Sinn, es ſey nur der methodiſche Zuſammenhang, die Location der Begriffe, womit er ſpiele, und nur ſubjective Nebenbeziehungen geben ihm den ſogenannten Gehalt. Bohtz (über d. Kom. und d. Komödie S. 93) hat dies angegriffen. Der Punkt iſt ſchwierig. J. Paul ſchwankt; das Einemal (z. B. a. a. O. §. 53) ſagt er, es müſſe ge- ſtanden werden, daß „bloſer“ Witz „als ſolcher“ nur abmattend er- götze, ſobald er auf ſeinen bunten Spielkarten nicht etwas Weſentliches z. B. Empfindung, Bemerkung u. ſ. w. zu gewinnen gebe; allein §. 54 ſagt er ganz allgemein, der Witz ſey von Natur ein Geiſter- und Götter- Läugner, der an keinem Weſen Antheil nehme, ſondern nur an deſſen Verhältniſſen. Dies ſtimmt nur dann zuſammen, wenn man hinzuſetzt, daß der Witz freilich einen Gegenſtand treffen und ſo einen Gehalt haben müſſe, daß dies aber äußerlich hinzukomme, nicht noth- wendig im Weſen des Witzes liege, und dies eben iſt die richtige Anſicht, wie der folg. §. zeigen wird. Die Aeußerungen in der genannten Schrift des Verf. haben nur den Mangel, daß ſie blos andeuten und nicht beſtimmt unterſuchen, wie ſich dieſer ſogenannte Gehalt im Witz verhalte, ob organiſch, oder nur äußerlich hinzukommend, und daß Beiſpiele ange- führt werden (S. 197), welche allerdings treffenden Gehalt haben und von welchen nicht hätte geſagt werden ſollen, ſie haben keinen Sinn,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0439"n="425"/>
Hekatombe: ſeitdem zittert jeder Ochs, ſo oft eine neue Wahrheit ent-<lb/>
deckt wird“; hier kann man den zitternden bildlichen Ochſen nicht unter-<lb/>
legen, als hätten ſie ſich im Irrthum über ihre Menſchenwürde die<lb/>
eigentlichen Ochſen der Hekatombe zum Muſter genommen. Daher bleibt<lb/>
beim Witze das getroffene Subject draußen ſtehen, denn es kann das<lb/>
nicht in ſich aufnehmen, ſich nicht als verborgene Wahrheit ſeines Be-<lb/>
wußtſeyns ſagen laſſen, was der Witz herbeiholt.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">2. Die angeführten Witze treffen. Der folgende §. wird auf den<lb/>
Witz, der trifft, d. h. der irgend eine Häßlichkeit ſtrafend erfaßt, zu-<lb/>
rückkommen; die Unterſuchung hat aber zunächſt einen andern Witz in’s<lb/>
Auge zu faſſen oder richtiger das reine Weſen des Witzes. Wenn näm-<lb/>
lich der Witz, wie gezeigt, nicht innerlich eingeht in das Bewußtſeyn<lb/>
des Irrenden, ſondern ihn, wenn er ihn auch trifft, getroffen ſtehen<lb/>
läßt, ſo ſitzt ſein eigentliches Weſen offenbar gar nicht in dieſem Zu-<lb/>ſammengehen mit dem verlachten Subjecte, und dies zeigt ſich am reinſten<lb/>
darin, daß er ſein Spiel ausüben kann ganz ohne etwas oder etwen<lb/>
zu treffen. Die Schrift des Verf. über d. Erh. u. Kom. hat (S. 196<lb/>
u. 202) vom Witze überhaupt ausgeſagt, er habe keinen eigentlichen<lb/>
Sinn, es ſey nur der methodiſche Zuſammenhang, die Location der<lb/>
Begriffe, womit er ſpiele, und nur ſubjective Nebenbeziehungen geben<lb/>
ihm den ſogenannten Gehalt. <hirendition="#g">Bohtz</hi> (über d. Kom. und d. Komödie<lb/>
S. 93) hat dies angegriffen. Der Punkt iſt ſchwierig. J. <hirendition="#g">Paul</hi><lb/>ſchwankt; das Einemal (z. B. a. a. O. §. 53) ſagt er, es müſſe ge-<lb/>ſtanden werden, daß „<hirendition="#g">bloſer</hi>“ Witz „<hirendition="#g">als ſolcher</hi>“ nur abmattend er-<lb/>
götze, ſobald er auf ſeinen bunten Spielkarten nicht etwas Weſentliches<lb/>
z. B. Empfindung, Bemerkung u. ſ. w. zu gewinnen gebe; allein §. 54<lb/>ſagt er ganz allgemein, der Witz ſey von Natur ein Geiſter- und Götter-<lb/>
Läugner, der <hirendition="#g">an keinem Weſen Antheil nehme, ſondern nur an<lb/>
deſſen Verhältniſſen</hi>. Dies ſtimmt nur dann zuſammen, wenn man<lb/>
hinzuſetzt, daß der Witz freilich einen Gegenſtand treffen und ſo einen<lb/>
Gehalt haben müſſe, daß dies aber äußerlich hinzukomme, nicht noth-<lb/>
wendig im Weſen des Witzes liege, und dies eben iſt die richtige Anſicht,<lb/>
wie der folg. §. zeigen wird. Die Aeußerungen in der genannten Schrift<lb/>
des Verf. haben nur den Mangel, daß ſie blos andeuten und nicht<lb/>
beſtimmt unterſuchen, wie ſich dieſer ſogenannte Gehalt im Witz verhalte,<lb/>
ob organiſch, oder nur äußerlich hinzukommend, und daß Beiſpiele ange-<lb/>
führt werden (S. 197), welche allerdings treffenden Gehalt haben und<lb/>
von welchen nicht hätte geſagt werden ſollen, ſie haben keinen Sinn,<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[425/0439]
Hekatombe: ſeitdem zittert jeder Ochs, ſo oft eine neue Wahrheit ent-
deckt wird“; hier kann man den zitternden bildlichen Ochſen nicht unter-
legen, als hätten ſie ſich im Irrthum über ihre Menſchenwürde die
eigentlichen Ochſen der Hekatombe zum Muſter genommen. Daher bleibt
beim Witze das getroffene Subject draußen ſtehen, denn es kann das
nicht in ſich aufnehmen, ſich nicht als verborgene Wahrheit ſeines Be-
wußtſeyns ſagen laſſen, was der Witz herbeiholt.
2. Die angeführten Witze treffen. Der folgende §. wird auf den
Witz, der trifft, d. h. der irgend eine Häßlichkeit ſtrafend erfaßt, zu-
rückkommen; die Unterſuchung hat aber zunächſt einen andern Witz in’s
Auge zu faſſen oder richtiger das reine Weſen des Witzes. Wenn näm-
lich der Witz, wie gezeigt, nicht innerlich eingeht in das Bewußtſeyn
des Irrenden, ſondern ihn, wenn er ihn auch trifft, getroffen ſtehen
läßt, ſo ſitzt ſein eigentliches Weſen offenbar gar nicht in dieſem Zu-
ſammengehen mit dem verlachten Subjecte, und dies zeigt ſich am reinſten
darin, daß er ſein Spiel ausüben kann ganz ohne etwas oder etwen
zu treffen. Die Schrift des Verf. über d. Erh. u. Kom. hat (S. 196
u. 202) vom Witze überhaupt ausgeſagt, er habe keinen eigentlichen
Sinn, es ſey nur der methodiſche Zuſammenhang, die Location der
Begriffe, womit er ſpiele, und nur ſubjective Nebenbeziehungen geben
ihm den ſogenannten Gehalt. Bohtz (über d. Kom. und d. Komödie
S. 93) hat dies angegriffen. Der Punkt iſt ſchwierig. J. Paul
ſchwankt; das Einemal (z. B. a. a. O. §. 53) ſagt er, es müſſe ge-
ſtanden werden, daß „bloſer“ Witz „als ſolcher“ nur abmattend er-
götze, ſobald er auf ſeinen bunten Spielkarten nicht etwas Weſentliches
z. B. Empfindung, Bemerkung u. ſ. w. zu gewinnen gebe; allein §. 54
ſagt er ganz allgemein, der Witz ſey von Natur ein Geiſter- und Götter-
Läugner, der an keinem Weſen Antheil nehme, ſondern nur an
deſſen Verhältniſſen. Dies ſtimmt nur dann zuſammen, wenn man
hinzuſetzt, daß der Witz freilich einen Gegenſtand treffen und ſo einen
Gehalt haben müſſe, daß dies aber äußerlich hinzukomme, nicht noth-
wendig im Weſen des Witzes liege, und dies eben iſt die richtige Anſicht,
wie der folg. §. zeigen wird. Die Aeußerungen in der genannten Schrift
des Verf. haben nur den Mangel, daß ſie blos andeuten und nicht
beſtimmt unterſuchen, wie ſich dieſer ſogenannte Gehalt im Witz verhalte,
ob organiſch, oder nur äußerlich hinzukommend, und daß Beiſpiele ange-
führt werden (S. 197), welche allerdings treffenden Gehalt haben und
von welchen nicht hätte geſagt werden ſollen, ſie haben keinen Sinn,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/439>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.