Erkennen ist aber wesentlich auch ein Begreifen, daß das verhüllte Denken ein unfreies sey, d. h. eine Naturnothwendigkeit, die das ent- hüllte und enthüllende Denken im Subjecte nicht zur Freiheit umschaffen, nicht in die Macht seiner Willkühr bekommen kann. Nur dieß postulirt die Philosophie, daß das freie Denken, da es in der verhüllten Form nicht sich selbst entspricht, nothwendig in allen Zeiten auch als ent- hüllendes Denken müsse dagewesen seyn und bleiben, d. h. daß nie eine Zeit seyn konnte und könne, wo keine selbstbewußte Wesen existirten. Wohl aber ist Weiße und der formalistische Verstand überhaupt die Antwort auf die Frage noch schuldig, wie es denn komme, daß das Erkennen und das Erkannte zusammenstimme. Die Erkenntniß soll wahr seyn und doch nur ein Abbild des Gedachten. Wer bürgt denn, daß diese zwei Uhren so gleich gerichtet sind? Der Glaube bürgt, sagt Weiße selbst, der Glaube des speculativen Bewußtseyns an eine ihm im Jenseits bleibende Wahrheit! Und dazu, um beim Glauben anzukommen, braucht es alle diese Anstalten? Dazu die Phi- losophie, um sich selbst aufzuheben? Weiße kommt auf die prästabilirte Harmonie zurück. Der Meister, der die Uhren zusammenrichtet, der "die Beziehung zwischen dem Erkennen und seinem Gegenstande Hervor- rufende ist Gott". Zu der Idee der Gottheit nämlich geht die philoso- phische Erkenntniß dialektisch sich verneinend und aufhebend über sich selbst hinaus fort. Hier wird der Gegenstand ein jenseitiger, "über- schwenglicher", das Wissen ein Glauben. Nunmehr hat es aber auch mit der vorher eingeräumten Einheit des Denkens und Seyns überhaupt ein Ende, denn dieser Gott wird jetzt als Schöpfer geglaubt, er "befreit auch die Totalität der Natur und des endlichen Geistes von jener ihrer bindenden Einheit und gibt ihnen ein selbstständiges Daseyn", und von diesem Gesichtspunkt aus ließe sich "vielleicht" auch Jakobi's Sprachge- brauch rechtfertigen, der auch für das Bestehen der sinnlichen und natür- lichen Dinge den Glauben fordert. -- Ehe sich diese Aufhebung aller Philosophie als ein Fortschritt über Hegel hinaus behaupten darf, soll sie uns Alles das widerlegen, was die Phänomenologie und die Logik in der Auflösung der Kategorieen der Sinnlichkeit und des Verstandes geleistet hat, denn solche und nichts Anderes liegen diesem sinnlich trennenden und ausschließenden Denken zu Grunde. Das Seyn, das jenseits des Denkens bleiben soll, mag es Gott oder Natur heißen, ist gar nichts als eine vorgestellte Materie, ein verlornes, in der Dialektik jener Kategorieen neben durchgeschlüpftes Stück sinnlichen Dunkels, und für die tiefe Trivia-
Erkennen iſt aber weſentlich auch ein Begreifen, daß das verhüllte Denken ein unfreies ſey, d. h. eine Naturnothwendigkeit, die das ent- hüllte und enthüllende Denken im Subjecte nicht zur Freiheit umſchaffen, nicht in die Macht ſeiner Willkühr bekommen kann. Nur dieß poſtulirt die Philoſophie, daß das freie Denken, da es in der verhüllten Form nicht ſich ſelbſt entſpricht, nothwendig in allen Zeiten auch als ent- hüllendes Denken müſſe dageweſen ſeyn und bleiben, d. h. daß nie eine Zeit ſeyn konnte und könne, wo keine ſelbſtbewußte Weſen exiſtirten. Wohl aber iſt Weiße und der formaliſtiſche Verſtand überhaupt die Antwort auf die Frage noch ſchuldig, wie es denn komme, daß das Erkennen und das Erkannte zuſammenſtimme. Die Erkenntniß ſoll wahr ſeyn und doch nur ein Abbild des Gedachten. Wer bürgt denn, daß dieſe zwei Uhren ſo gleich gerichtet ſind? Der Glaube bürgt, ſagt Weiße ſelbſt, der Glaube des ſpeculativen Bewußtſeyns an eine ihm im Jenſeits bleibende Wahrheit! Und dazu, um beim Glauben anzukommen, braucht es alle dieſe Anſtalten? Dazu die Phi- loſophie, um ſich ſelbſt aufzuheben? Weiße kommt auf die präſtabilirte Harmonie zurück. Der Meiſter, der die Uhren zuſammenrichtet, der „die Beziehung zwiſchen dem Erkennen und ſeinem Gegenſtande Hervor- rufende iſt Gott“. Zu der Idee der Gottheit nämlich geht die philoſo- phiſche Erkenntniß dialektiſch ſich verneinend und aufhebend über ſich ſelbſt hinaus fort. Hier wird der Gegenſtand ein jenſeitiger, „über- ſchwenglicher“, das Wiſſen ein Glauben. Nunmehr hat es aber auch mit der vorher eingeräumten Einheit des Denkens und Seyns überhaupt ein Ende, denn dieſer Gott wird jetzt als Schöpfer geglaubt, er „befreit auch die Totalität der Natur und des endlichen Geiſtes von jener ihrer bindenden Einheit und gibt ihnen ein ſelbſtſtändiges Daſeyn“, und von dieſem Geſichtspunkt aus ließe ſich „vielleicht“ auch Jakobi’s Sprachge- brauch rechtfertigen, der auch für das Beſtehen der ſinnlichen und natür- lichen Dinge den Glauben fordert. — Ehe ſich dieſe Aufhebung aller Philoſophie als ein Fortſchritt über Hegel hinaus behaupten darf, ſoll ſie uns Alles das widerlegen, was die Phänomenologie und die Logik in der Auflöſung der Kategorieen der Sinnlichkeit und des Verſtandes geleiſtet hat, denn ſolche und nichts Anderes liegen dieſem ſinnlich trennenden und ausſchließenden Denken zu Grunde. Das Seyn, das jenſeits des Denkens bleiben ſoll, mag es Gott oder Natur heißen, iſt gar nichts als eine vorgeſtellte Materie, ein verlornes, in der Dialektik jener Kategorieen neben durchgeſchlüpftes Stück ſinnlichen Dunkels, und für die tiefe Trivia-
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[27/0041]
Erkennen iſt aber weſentlich auch ein Begreifen, daß das verhüllte
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hüllte und enthüllende Denken im Subjecte nicht zur Freiheit umſchaffen,
nicht in die Macht ſeiner Willkühr bekommen kann. Nur dieß poſtulirt
die Philoſophie, daß das freie Denken, da es in der verhüllten Form
nicht ſich ſelbſt entſpricht, nothwendig in allen Zeiten auch als ent-
hüllendes Denken müſſe dageweſen ſeyn und bleiben, d. h. daß nie eine
Zeit ſeyn konnte und könne, wo keine ſelbſtbewußte Weſen exiſtirten.
Wohl aber iſt Weiße und der formaliſtiſche Verſtand überhaupt die
Antwort auf die Frage noch ſchuldig, wie es denn komme, daß das
Erkennen und das Erkannte zuſammenſtimme. Die Erkenntniß ſoll wahr
ſeyn und doch nur ein Abbild des Gedachten. Wer bürgt denn, daß
dieſe zwei Uhren ſo gleich gerichtet ſind? Der Glaube bürgt, ſagt
Weiße ſelbſt, der Glaube des ſpeculativen Bewußtſeyns an
eine ihm im Jenſeits bleibende Wahrheit! Und dazu, um beim
Glauben anzukommen, braucht es alle dieſe Anſtalten? Dazu die Phi-
loſophie, um ſich ſelbſt aufzuheben? Weiße kommt auf die präſtabilirte
Harmonie zurück. Der Meiſter, der die Uhren zuſammenrichtet, der
„die Beziehung zwiſchen dem Erkennen und ſeinem Gegenſtande Hervor-
rufende iſt Gott“. Zu der Idee der Gottheit nämlich geht die philoſo-
phiſche Erkenntniß dialektiſch ſich verneinend und aufhebend über ſich
ſelbſt hinaus fort. Hier wird der Gegenſtand ein jenſeitiger, „über-
ſchwenglicher“, das Wiſſen ein Glauben. Nunmehr hat es aber auch
mit der vorher eingeräumten Einheit des Denkens und Seyns überhaupt
ein Ende, denn dieſer Gott wird jetzt als Schöpfer geglaubt, er „befreit
auch die Totalität der Natur und des endlichen Geiſtes von jener ihrer
bindenden Einheit und gibt ihnen ein ſelbſtſtändiges Daſeyn“, und von
dieſem Geſichtspunkt aus ließe ſich „vielleicht“ auch Jakobi’s Sprachge-
brauch rechtfertigen, der auch für das Beſtehen der ſinnlichen und natür-
lichen Dinge den Glauben fordert. — Ehe ſich dieſe Aufhebung aller
Philoſophie als ein Fortſchritt über Hegel hinaus behaupten darf, ſoll
ſie uns Alles das widerlegen, was die Phänomenologie und die Logik in
der Auflöſung der Kategorieen der Sinnlichkeit und des Verſtandes geleiſtet
hat, denn ſolche und nichts Anderes liegen dieſem ſinnlich trennenden und
ausſchließenden Denken zu Grunde. Das Seyn, das jenſeits des Denkens
bleiben ſoll, mag es Gott oder Natur heißen, iſt gar nichts als eine
vorgeſtellte Materie, ein verlornes, in der Dialektik jener Kategorieen
neben durchgeſchlüpftes Stück ſinnlichen Dunkels, und für die tiefe Trivia-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/41>, abgerufen am 21.11.2024.
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