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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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nicht allmählich sich gegeneinander bewegen, denn sonst würden sie nicht vonein-
ander abstechen, weil der in §. 169 geforderte Schein einer unendlichen Kluft
nicht eintreten würde. Sie müssen vielmehr plötzlich aufeinander stoßen und
dieser Zusammenstoß erscheint als das Aufblitzen einer Helle, wodurch das
Dunkel des Erhabenen (vergl. §. 87) zu seinem Nachtheile deutlich wird,
indem ein geschärftes Sehen seine Schwächen, das heißt die Unlösbarkeit der
Idee von der Grenze, erkennt.

1. Das Komische wurde von der älteren Aesthetik, insbesondere der-
jenigen, welche aus der Wolffischen Schule hervorging, durchgängig aus
einem Contraste (von Vollkommenheiten mit Unvollkommenheiten u. dgl.)
erklärt. Anführungen wären überflüssig. Außer dem Mangel in dieser
ganzen Bestimmung, den der folg. §. aufzeigen wird, fehlte auch der
Bestimmung selbst die Schärfe. Man sprach von einer Zusammenstellung
ungleichartiger Dinge. Allein das Ungleichartige genügt nicht, es muß
Gegensatz seyn, das heißt, die Seiten müssen sich so entgegenstehen,
daß die eine gerade das enthält, was die andere durch ihren Begriff
ausschließt, wie Weisheit und Thorheit, Freiheit und Unfreiheit. Ferner:
sie müssen zusammengestellt seyn und zwar ästhetisch, d. h. in Eine An-
schauung vereinigt, und dies erst nennt man Contrast. Beattie ist es,
der dies nicht übersehen hat, wenn er zum Komischen eine ungewöhn-
liche Mischung von Verhältniß und Gegensatz fordert, die in derselben
Combination
verbunden seyn müssen (Neue philos. Vers. Uebers. Leipzig
1780. B. 2, S. 33. 173). Combination ist nur noch ganz äußerlich
und formal, wie Zusammenstellung. Hier zeigt sich eben der Mangel
der ganzen Bestimmung.

2. Das Plötzliche war ein fragliches Moment im Erhabenen
(vergl. §. 86). Man hat immer ein Gefühl, als wolle das Band,
das die Idee mit ihrem sinnlichen Gefäße zusammenhält, reißen; es
kommt aber nicht nothwendig zu einem wirklichen Riß. Dagegen eben-
dieser Schein des Reißens reißt plötzlich im Komischen; es nimmt mit
dem Ansehen, als werde die Idee das Endliche plötzlich überwachsen und
überfliegen, ein plötzliches Ende: ein Gefühl, wie wenn man meint,
im Steigen noch eine Staffel vor sich zu haben, und der gehobene Fuß
auf ebenen Boden herunterknickt. Es gibt nun zwar auch ruhende komische
Gegenstände in Menge, z. B. jede Gestalt, die auf komische Weise häß-
lich ist auch ohne eine Bewegung, Sancho in der Schwabe, der einen
Abgrund unter sich zu haben meint u. dergl. Allein dann übernimmt das

nicht allmählich ſich gegeneinander bewegen, denn ſonſt würden ſie nicht vonein-
ander abſtechen, weil der in §. 169 geforderte Schein einer unendlichen Kluft
nicht eintreten würde. Sie müſſen vielmehr plötzlich aufeinander ſtoßen und
dieſer Zuſammenſtoß erſcheint als das Aufblitzen einer Helle, wodurch das
Dunkel des Erhabenen (vergl. §. 87) zu ſeinem Nachtheile deutlich wird,
indem ein geſchärftes Sehen ſeine Schwächen, das heißt die Unlösbarkeit der
Idee von der Grenze, erkennt.

1. Das Komiſche wurde von der älteren Aeſthetik, insbeſondere der-
jenigen, welche aus der Wolffiſchen Schule hervorging, durchgängig aus
einem Contraſte (von Vollkommenheiten mit Unvollkommenheiten u. dgl.)
erklärt. Anführungen wären überflüſſig. Außer dem Mangel in dieſer
ganzen Beſtimmung, den der folg. §. aufzeigen wird, fehlte auch der
Beſtimmung ſelbſt die Schärfe. Man ſprach von einer Zuſammenſtellung
ungleichartiger Dinge. Allein das Ungleichartige genügt nicht, es muß
Gegenſatz ſeyn, das heißt, die Seiten müſſen ſich ſo entgegenſtehen,
daß die eine gerade das enthält, was die andere durch ihren Begriff
ausſchließt, wie Weisheit und Thorheit, Freiheit und Unfreiheit. Ferner:
ſie müſſen zuſammengeſtellt ſeyn und zwar äſthetiſch, d. h. in Eine An-
ſchauung vereinigt, und dies erſt nennt man Contraſt. Beattie iſt es,
der dies nicht überſehen hat, wenn er zum Komiſchen eine ungewöhn-
liche Miſchung von Verhältniß und Gegenſatz fordert, die in derſelben
Combination
verbunden ſeyn müſſen (Neue philoſ. Verſ. Ueberſ. Leipzig
1780. B. 2, S. 33. 173). Combination iſt nur noch ganz äußerlich
und formal, wie Zuſammenſtellung. Hier zeigt ſich eben der Mangel
der ganzen Beſtimmung.

2. Das Plötzliche war ein fragliches Moment im Erhabenen
(vergl. §. 86). Man hat immer ein Gefühl, als wolle das Band,
das die Idee mit ihrem ſinnlichen Gefäße zuſammenhält, reißen; es
kommt aber nicht nothwendig zu einem wirklichen Riß. Dagegen eben-
dieſer Schein des Reißens reißt plötzlich im Komiſchen; es nimmt mit
dem Anſehen, als werde die Idee das Endliche plötzlich überwachſen und
überfliegen, ein plötzliches Ende: ein Gefühl, wie wenn man meint,
im Steigen noch eine Staffel vor ſich zu haben, und der gehobene Fuß
auf ebenen Boden herunterknickt. Es gibt nun zwar auch ruhende komiſche
Gegenſtände in Menge, z. B. jede Geſtalt, die auf komiſche Weiſe häß-
lich iſt auch ohne eine Bewegung, Sancho in der Schwabe, der einen
Abgrund unter ſich zu haben meint u. dergl. Allein dann übernimmt das

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[380/0394] nicht allmählich ſich gegeneinander bewegen, denn ſonſt würden ſie nicht vonein- ander abſtechen, weil der in §. 169 geforderte Schein einer unendlichen Kluft nicht eintreten würde. Sie müſſen vielmehr plötzlich aufeinander ſtoßen und dieſer Zuſammenſtoß erſcheint als das Aufblitzen einer Helle, wodurch das Dunkel des Erhabenen (vergl. §. 87) zu ſeinem Nachtheile deutlich wird, indem ein geſchärftes Sehen ſeine Schwächen, das heißt die Unlösbarkeit der Idee von der Grenze, erkennt. 1. Das Komiſche wurde von der älteren Aeſthetik, insbeſondere der- jenigen, welche aus der Wolffiſchen Schule hervorging, durchgängig aus einem Contraſte (von Vollkommenheiten mit Unvollkommenheiten u. dgl.) erklärt. Anführungen wären überflüſſig. Außer dem Mangel in dieſer ganzen Beſtimmung, den der folg. §. aufzeigen wird, fehlte auch der Beſtimmung ſelbſt die Schärfe. Man ſprach von einer Zuſammenſtellung ungleichartiger Dinge. Allein das Ungleichartige genügt nicht, es muß Gegenſatz ſeyn, das heißt, die Seiten müſſen ſich ſo entgegenſtehen, daß die eine gerade das enthält, was die andere durch ihren Begriff ausſchließt, wie Weisheit und Thorheit, Freiheit und Unfreiheit. Ferner: ſie müſſen zuſammengeſtellt ſeyn und zwar äſthetiſch, d. h. in Eine An- ſchauung vereinigt, und dies erſt nennt man Contraſt. Beattie iſt es, der dies nicht überſehen hat, wenn er zum Komiſchen eine ungewöhn- liche Miſchung von Verhältniß und Gegenſatz fordert, die in derſelben Combination verbunden ſeyn müſſen (Neue philoſ. Verſ. Ueberſ. Leipzig 1780. B. 2, S. 33. 173). Combination iſt nur noch ganz äußerlich und formal, wie Zuſammenſtellung. Hier zeigt ſich eben der Mangel der ganzen Beſtimmung. 2. Das Plötzliche war ein fragliches Moment im Erhabenen (vergl. §. 86). Man hat immer ein Gefühl, als wolle das Band, das die Idee mit ihrem ſinnlichen Gefäße zuſammenhält, reißen; es kommt aber nicht nothwendig zu einem wirklichen Riß. Dagegen eben- dieſer Schein des Reißens reißt plötzlich im Komiſchen; es nimmt mit dem Anſehen, als werde die Idee das Endliche plötzlich überwachſen und überfliegen, ein plötzliches Ende: ein Gefühl, wie wenn man meint, im Steigen noch eine Staffel vor ſich zu haben, und der gehobene Fuß auf ebenen Boden herunterknickt. Es gibt nun zwar auch ruhende komiſche Gegenſtände in Menge, z. B. jede Geſtalt, die auf komiſche Weiſe häß- lich iſt auch ohne eine Bewegung, Sancho in der Schwabe, der einen Abgrund unter ſich zu haben meint u. dergl. Allein dann übernimmt das

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/394>, abgerufen am 23.11.2024.