der ganzen Lehre vom Zufall im ersten Theile, der Unterschied des äußern und innern Zufalls, der schon in den §§. 166 und 168 auftauchte, nicht weiter begründet zu werden, als in den Anm. zu diesen §§. schon geschehen ist. Die Idee, wie sie in ihrer Verwirklichung als bestimmte Idee sich in die Gegensätze des Endlichen auseinanderlegt, stößt theils äußerlich auf Existenzen einer andern Idee oder Gattung, theils ist ihre eigene Existenz als subjectives Leben mit der Grenze und dem Dunkel der sinnlichen Bestimmtheit innerlich behaftet. Dieser Unterschied bereitet im Komischen eine Schwierigkeit. Wenn Einer eine Feder lange sucht, die er hinter dem Ohre stecken hat, oder fehltritt und fällt, weil er nicht Acht gab, so ist dies etwas Anders, als wenn z. B. J. Paul im Titan eine sentimentale Scene zwischen Albano und Liane dadurch komisch aufhebt, daß er uns in der Entfernung den Erzieher Schoppe zeigt, der aus dem Fenster sieht und einen soliden Blick auf einen Pflasterstein heftet, den er mit Anspucken zu treffen sucht. Jene beiden können darum nicht wissen, daß dieser Anblick ihrer wartet, daher auch nicht erwägen, daß sie in einer Welt, wo es solche kleine Momente gibt, ihre Gefühle von ihrer Ueberschwenglichkeit billig etwas herab- stimmen sollten. Dieser Unterschied der Fälle nöthigt, auf das dritte Moment in der Erklärung des Komischen, wodurch beide Glieder erst in Einheit zusammengefaßt werden sollen, überzugehen, wo sich zeigen wird, ob beide Fälle sich unter Einen Standpunkt zusammenbringen lassen. Dahin drängt aber überhaupt die ganze bisherige Entwicklung; wie es schwer ist, jedes der beiden Glieder getrennt darzustellen, ebenso groß ist die Schwierigkeit, sie beide darzustellen in ihrer Trennung vom dritten Momente, dem Acte der Zusammenfassung. Es mußte daher durchgängig schon die Andeutung dessen, was derselbe enthält, hervortreten. Dennoch ist diese Trennung nothwendig; ohne sie kann in den verwickelten Gegen- stand keine Klarheit kommen.
Zusammenfassung beider Glieder zu widersprechender Einheit.
§. 173.
Die dargestellten beiden Glieder bilden einen Gegensatz und dieser heißt,1 wenn dieselbe ästhetische Beleuchtung zwei gegensätzlich gespannte Erscheinungen zugleich trifft, Contrast. Soll aber Contrast entstehen, so dürfen die Glieder2
der ganzen Lehre vom Zufall im erſten Theile, der Unterſchied des äußern und innern Zufalls, der ſchon in den §§. 166 und 168 auftauchte, nicht weiter begründet zu werden, als in den Anm. zu dieſen §§. ſchon geſchehen iſt. Die Idee, wie ſie in ihrer Verwirklichung als beſtimmte Idee ſich in die Gegenſätze des Endlichen auseinanderlegt, ſtößt theils äußerlich auf Exiſtenzen einer andern Idee oder Gattung, theils iſt ihre eigene Exiſtenz als ſubjectives Leben mit der Grenze und dem Dunkel der ſinnlichen Beſtimmtheit innerlich behaftet. Dieſer Unterſchied bereitet im Komiſchen eine Schwierigkeit. Wenn Einer eine Feder lange ſucht, die er hinter dem Ohre ſtecken hat, oder fehltritt und fällt, weil er nicht Acht gab, ſo iſt dies etwas Anders, als wenn z. B. J. Paul im Titan eine ſentimentale Scene zwiſchen Albano und Liane dadurch komiſch aufhebt, daß er uns in der Entfernung den Erzieher Schoppe zeigt, der aus dem Fenſter ſieht und einen ſoliden Blick auf einen Pflaſterſtein heftet, den er mit Anſpucken zu treffen ſucht. Jene beiden können darum nicht wiſſen, daß dieſer Anblick ihrer wartet, daher auch nicht erwägen, daß ſie in einer Welt, wo es ſolche kleine Momente gibt, ihre Gefühle von ihrer Ueberſchwenglichkeit billig etwas herab- ſtimmen ſollten. Dieſer Unterſchied der Fälle nöthigt, auf das dritte Moment in der Erklärung des Komiſchen, wodurch beide Glieder erſt in Einheit zuſammengefaßt werden ſollen, überzugehen, wo ſich zeigen wird, ob beide Fälle ſich unter Einen Standpunkt zuſammenbringen laſſen. Dahin drängt aber überhaupt die ganze bisherige Entwicklung; wie es ſchwer iſt, jedes der beiden Glieder getrennt darzuſtellen, ebenſo groß iſt die Schwierigkeit, ſie beide darzuſtellen in ihrer Trennung vom dritten Momente, dem Acte der Zuſammenfaſſung. Es mußte daher durchgängig ſchon die Andeutung deſſen, was derſelbe enthält, hervortreten. Dennoch iſt dieſe Trennung nothwendig; ohne ſie kann in den verwickelten Gegen- ſtand keine Klarheit kommen.
Zuſammenfaſſung beider Glieder zu widerſprechender Einheit.
§. 173.
Die dargeſtellten beiden Glieder bilden einen Gegenſatz und dieſer heißt,1 wenn dieſelbe äſthetiſche Beleuchtung zwei gegenſätzlich geſpannte Erſcheinungen zugleich trifft, Contraſt. Soll aber Contraſt entſtehen, ſo dürfen die Glieder2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0393"n="379"/>
der ganzen Lehre vom Zufall im erſten Theile, der Unterſchied des äußern<lb/>
und innern Zufalls, der ſchon in den §§. 166 und 168 auftauchte,<lb/>
nicht weiter begründet zu werden, als in den Anm. zu dieſen §§. ſchon<lb/>
geſchehen iſt. Die Idee, wie ſie in ihrer Verwirklichung als beſtimmte<lb/>
Idee ſich in die Gegenſätze des Endlichen auseinanderlegt, ſtößt theils<lb/>
äußerlich auf Exiſtenzen einer andern Idee oder Gattung, theils iſt ihre<lb/>
eigene Exiſtenz als ſubjectives Leben mit der Grenze und dem Dunkel<lb/>
der ſinnlichen Beſtimmtheit innerlich behaftet. Dieſer Unterſchied bereitet<lb/>
im Komiſchen eine Schwierigkeit. Wenn Einer eine Feder lange ſucht,<lb/>
die er hinter dem Ohre ſtecken hat, oder fehltritt und fällt, weil er<lb/>
nicht Acht gab, ſo iſt dies etwas Anders, als wenn z. B. J. <hirendition="#g">Paul</hi><lb/>
im Titan eine ſentimentale Scene zwiſchen Albano und Liane dadurch<lb/>
komiſch aufhebt, daß er uns in der Entfernung den Erzieher Schoppe<lb/>
zeigt, der aus dem Fenſter ſieht und einen ſoliden Blick auf einen<lb/>
Pflaſterſtein heftet, den er mit Anſpucken zu treffen ſucht. Jene beiden<lb/>
können darum nicht wiſſen, daß dieſer Anblick ihrer wartet, daher auch<lb/>
nicht erwägen, daß ſie in einer Welt, wo es ſolche kleine Momente<lb/>
gibt, ihre Gefühle von ihrer Ueberſchwenglichkeit billig etwas herab-<lb/>ſtimmen ſollten. Dieſer Unterſchied der Fälle nöthigt, auf das dritte<lb/>
Moment in der Erklärung des Komiſchen, wodurch beide Glieder erſt<lb/>
in Einheit zuſammengefaßt werden ſollen, überzugehen, wo ſich zeigen<lb/>
wird, ob beide Fälle ſich unter Einen Standpunkt zuſammenbringen<lb/>
laſſen. Dahin drängt aber überhaupt die ganze bisherige Entwicklung; wie<lb/>
es ſchwer iſt, jedes der beiden Glieder getrennt darzuſtellen, ebenſo groß iſt<lb/>
die Schwierigkeit, ſie beide darzuſtellen in ihrer Trennung vom dritten<lb/>
Momente, dem Acte der Zuſammenfaſſung. Es mußte daher durchgängig<lb/>ſchon die Andeutung deſſen, was derſelbe enthält, hervortreten. Dennoch<lb/>
iſt dieſe Trennung nothwendig; ohne ſie kann in den verwickelten Gegen-<lb/>ſtand keine Klarheit kommen.</hi></p></div></div><lb/><divn="4"><head><hirendition="#g">Zuſammenfaſſung beider Glieder zu widerſprechender Einheit</hi>.</head><lb/><divn="5"><head>§. 173.</head><lb/><p><hirendition="#fr">Die dargeſtellten beiden Glieder bilden einen Gegenſatz und dieſer heißt,<noteplace="right">1</note><lb/>
wenn dieſelbe äſthetiſche Beleuchtung zwei gegenſätzlich geſpannte Erſcheinungen<lb/>
zugleich trifft, <hirendition="#g">Contraſt</hi>. Soll aber Contraſt entſtehen, ſo dürfen die Glieder<noteplace="right">2</note><lb/></hi></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[379/0393]
der ganzen Lehre vom Zufall im erſten Theile, der Unterſchied des äußern
und innern Zufalls, der ſchon in den §§. 166 und 168 auftauchte,
nicht weiter begründet zu werden, als in den Anm. zu dieſen §§. ſchon
geſchehen iſt. Die Idee, wie ſie in ihrer Verwirklichung als beſtimmte
Idee ſich in die Gegenſätze des Endlichen auseinanderlegt, ſtößt theils
äußerlich auf Exiſtenzen einer andern Idee oder Gattung, theils iſt ihre
eigene Exiſtenz als ſubjectives Leben mit der Grenze und dem Dunkel
der ſinnlichen Beſtimmtheit innerlich behaftet. Dieſer Unterſchied bereitet
im Komiſchen eine Schwierigkeit. Wenn Einer eine Feder lange ſucht,
die er hinter dem Ohre ſtecken hat, oder fehltritt und fällt, weil er
nicht Acht gab, ſo iſt dies etwas Anders, als wenn z. B. J. Paul
im Titan eine ſentimentale Scene zwiſchen Albano und Liane dadurch
komiſch aufhebt, daß er uns in der Entfernung den Erzieher Schoppe
zeigt, der aus dem Fenſter ſieht und einen ſoliden Blick auf einen
Pflaſterſtein heftet, den er mit Anſpucken zu treffen ſucht. Jene beiden
können darum nicht wiſſen, daß dieſer Anblick ihrer wartet, daher auch
nicht erwägen, daß ſie in einer Welt, wo es ſolche kleine Momente
gibt, ihre Gefühle von ihrer Ueberſchwenglichkeit billig etwas herab-
ſtimmen ſollten. Dieſer Unterſchied der Fälle nöthigt, auf das dritte
Moment in der Erklärung des Komiſchen, wodurch beide Glieder erſt
in Einheit zuſammengefaßt werden ſollen, überzugehen, wo ſich zeigen
wird, ob beide Fälle ſich unter Einen Standpunkt zuſammenbringen
laſſen. Dahin drängt aber überhaupt die ganze bisherige Entwicklung; wie
es ſchwer iſt, jedes der beiden Glieder getrennt darzuſtellen, ebenſo groß iſt
die Schwierigkeit, ſie beide darzuſtellen in ihrer Trennung vom dritten
Momente, dem Acte der Zuſammenfaſſung. Es mußte daher durchgängig
ſchon die Andeutung deſſen, was derſelbe enthält, hervortreten. Dennoch
iſt dieſe Trennung nothwendig; ohne ſie kann in den verwickelten Gegen-
ſtand keine Klarheit kommen.
Zuſammenfaſſung beider Glieder zu widerſprechender Einheit.
§. 173.
Die dargeſtellten beiden Glieder bilden einen Gegenſatz und dieſer heißt,
wenn dieſelbe äſthetiſche Beleuchtung zwei gegenſätzlich geſpannte Erſcheinungen
zugleich trifft, Contraſt. Soll aber Contraſt entſtehen, ſo dürfen die Glieder
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/393>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.