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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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Das Häßliche hat seinen Ort zwischen dem Furchtbaren und Lächer-
lichen, so daß es Alles, was positiv an ihm ist, an die eine oder andere
dieser Sphären abgibt, während ihm selber nichts bleibt, als dieses Ab-
geben, diese Bewegung des Zergehens, so daß es, wie man zu sagen
pflegt, zwischen zwei Stühlen niedersitzt. Es ist Lessing, der dies zuerst
ausgesprochen hat in derselben Stelle, deren einer Theil schon §. 98 an-
geführt ist, (Laok. Abschn. 23): "was der Dichter für sich selbst nicht
nutzen kann, nutzt er als ein Ingrediens, um gewisse vermischte Em-
pfindungen hervorzubringen und zu verstärken, mit welchen er uns in
Ermangelung rein angenehmer Empfindungen unterhalten muß. Diese
vermischten Empfindungen sind das Lächerliche und das Schreckliche. --
Wenn unschädliche Häßlichkeit lächerlich werden kann, so ist schädliche
Häßlichkeit allezeit schrecklich." In der Mitte, wo es nicht mehr schrecklich,
aber noch nicht komisch ist, hat Aristoteles in seiner bekannten Be-
griffsbestimmung der Komödie das Häßliche ergriffen und es so bereits
als das Komische zu fassen gemeint. Dies ist der Mangel der Aristo-
telischen Bestimmung. (Poet. 5). E de komodia esi mimesis
phauloteron men, ou mentoi kata pasan kakian, alla tou aiskhrou esi
to geloion morion. to gar geloion esin amartema ti kai aiskhos
anodunon kai 'ou phthartikon. Das 'ou mentoi kata pasan kakian
(das Schlechte, aber nicht nach dem ganzen Umfange der Bosheit, oder,
wie wir §. 150 sagten, nicht in seiner drohenden Spitze als Böses)
enthält schon den weiteren Satz, der zweierlei ausdrückt: das Häßliche,
wenn es lächerlich seyn soll, darf nicht zerstörend, furchtbar (phthartikhon)
seyn und auch dem häßlichen Subjecte selbst nicht ernstliche Schmerzen
bereiten (anodunon). Wir werden dies an seinem Orte noch einmal
auffassen. Wir wissen nun, was das Häßliche, um sich in das aufzu-
heben, was wir als das Lächerliche zwar sonst kennen, was uns aber
hier wissenschaftlich noch nicht entstanden ist, nicht seyn darf, aber nicht,
was es seyn muß, wenn es in dies Andere übergehen soll. Dieses
Andere ist jedoch der Möglichkeit nach bereits in dem Widerspruche des
Häßlichen selbst enthalten, dessen objective und subjective Seite der §.
hervorstellt. Zugleich hat aber der §. zur ausdrücklichen Bestimmung
erhoben, was schon zu §. 52, 1, um einer Irrung im dortigen Zu-
sammenhange vorzubeugen, bemerkt wurde. Vom störenden Zufalle
wurde dort gesagt, daß er sich im Schönen anders aufheben müsse, als
außer dem Schönen; daran konnte man irre werden durch einen vor-
läufigen Ausblick auf das Komische. Daher wurde sogleich angedeutet,

Das Häßliche hat ſeinen Ort zwiſchen dem Furchtbaren und Lächer-
lichen, ſo daß es Alles, was poſitiv an ihm iſt, an die eine oder andere
dieſer Sphären abgibt, während ihm ſelber nichts bleibt, als dieſes Ab-
geben, dieſe Bewegung des Zergehens, ſo daß es, wie man zu ſagen
pflegt, zwiſchen zwei Stühlen niederſitzt. Es iſt Leſſing, der dies zuerſt
ausgeſprochen hat in derſelben Stelle, deren einer Theil ſchon §. 98 an-
geführt iſt, (Laok. Abſchn. 23): „was der Dichter für ſich ſelbſt nicht
nutzen kann, nutzt er als ein Ingrediens, um gewiſſe vermiſchte Em-
pfindungen hervorzubringen und zu verſtärken, mit welchen er uns in
Ermangelung rein angenehmer Empfindungen unterhalten muß. Dieſe
vermiſchten Empfindungen ſind das Lächerliche und das Schreckliche. —
Wenn unſchädliche Häßlichkeit lächerlich werden kann, ſo iſt ſchädliche
Häßlichkeit allezeit ſchrecklich.“ In der Mitte, wo es nicht mehr ſchrecklich,
aber noch nicht komiſch iſt, hat Ariſtoteles in ſeiner bekannten Be-
griffsbeſtimmung der Komödie das Häßliche ergriffen und es ſo bereits
als das Komiſche zu faſſen gemeint. Dies iſt der Mangel der Ariſto-
teliſchen Beſtimmung. (Poet. 5). Ἡ δὲ κωμῳδία ἐςὶ μίμησις
φαυλοτέρων μέν, ȣ μέντοι κατὰ πᾶσαν κακίαν, ἀλλὰ τȣ͂ αἰσχρȣ͂ ἐςὶ
τὸ γελοῖον μόριον. τὸ γὰρ γελοῖόν ἐςιν ἁμάρτημά τι καὶ αἰσχος
ἀνώδυνον καὶ ᾿ȣ φϑαρτικὸν. Das ᾿ȣ μέντοι κατὰ πᾶσαν κακίαν
(das Schlechte, aber nicht nach dem ganzen Umfange der Bosheit, oder,
wie wir §. 150 ſagten, nicht in ſeiner drohenden Spitze als Böſes)
enthält ſchon den weiteren Satz, der zweierlei ausdrückt: das Häßliche,
wenn es lächerlich ſeyn ſoll, darf nicht zerſtörend, furchtbar (φϑαρτιχὸν)
ſeyn und auch dem häßlichen Subjecte ſelbſt nicht ernſtliche Schmerzen
bereiten (ανώδυνον). Wir werden dies an ſeinem Orte noch einmal
auffaſſen. Wir wiſſen nun, was das Häßliche, um ſich in das aufzu-
heben, was wir als das Lächerliche zwar ſonſt kennen, was uns aber
hier wiſſenſchaftlich noch nicht entſtanden iſt, nicht ſeyn darf, aber nicht,
was es ſeyn muß, wenn es in dies Andere übergehen ſoll. Dieſes
Andere iſt jedoch der Möglichkeit nach bereits in dem Widerſpruche des
Häßlichen ſelbſt enthalten, deſſen objective und ſubjective Seite der §.
hervorſtellt. Zugleich hat aber der §. zur ausdrücklichen Beſtimmung
erhoben, was ſchon zu §. 52, 1, um einer Irrung im dortigen Zu-
ſammenhange vorzubeugen, bemerkt wurde. Vom ſtörenden Zufalle
wurde dort geſagt, daß er ſich im Schönen anders aufheben müſſe, als
außer dem Schönen; daran konnte man irre werden durch einen vor-
läufigen Ausblick auf das Komiſche. Daher wurde ſogleich angedeutet,

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[344/0358] Das Häßliche hat ſeinen Ort zwiſchen dem Furchtbaren und Lächer- lichen, ſo daß es Alles, was poſitiv an ihm iſt, an die eine oder andere dieſer Sphären abgibt, während ihm ſelber nichts bleibt, als dieſes Ab- geben, dieſe Bewegung des Zergehens, ſo daß es, wie man zu ſagen pflegt, zwiſchen zwei Stühlen niederſitzt. Es iſt Leſſing, der dies zuerſt ausgeſprochen hat in derſelben Stelle, deren einer Theil ſchon §. 98 an- geführt iſt, (Laok. Abſchn. 23): „was der Dichter für ſich ſelbſt nicht nutzen kann, nutzt er als ein Ingrediens, um gewiſſe vermiſchte Em- pfindungen hervorzubringen und zu verſtärken, mit welchen er uns in Ermangelung rein angenehmer Empfindungen unterhalten muß. Dieſe vermiſchten Empfindungen ſind das Lächerliche und das Schreckliche. — Wenn unſchädliche Häßlichkeit lächerlich werden kann, ſo iſt ſchädliche Häßlichkeit allezeit ſchrecklich.“ In der Mitte, wo es nicht mehr ſchrecklich, aber noch nicht komiſch iſt, hat Ariſtoteles in ſeiner bekannten Be- griffsbeſtimmung der Komödie das Häßliche ergriffen und es ſo bereits als das Komiſche zu faſſen gemeint. Dies iſt der Mangel der Ariſto- teliſchen Beſtimmung. (Poet. 5). Ἡ δὲ κωμῳδία ἐςὶ μίμησις φαυλοτέρων μέν, ȣ μέντοι κατὰ πᾶσαν κακίαν, ἀλλὰ τȣ͂ αἰσχρȣ͂ ἐςὶ τὸ γελοῖον μόριον. τὸ γὰρ γελοῖόν ἐςιν ἁμάρτημά τι καὶ αἰσχος ἀνώδυνον καὶ ᾿ȣ φϑαρτικὸν. Das ᾿ȣ μέντοι κατὰ πᾶσαν κακίαν (das Schlechte, aber nicht nach dem ganzen Umfange der Bosheit, oder, wie wir §. 150 ſagten, nicht in ſeiner drohenden Spitze als Böſes) enthält ſchon den weiteren Satz, der zweierlei ausdrückt: das Häßliche, wenn es lächerlich ſeyn ſoll, darf nicht zerſtörend, furchtbar (φϑαρτιχὸν) ſeyn und auch dem häßlichen Subjecte ſelbſt nicht ernſtliche Schmerzen bereiten (ανώδυνον). Wir werden dies an ſeinem Orte noch einmal auffaſſen. Wir wiſſen nun, was das Häßliche, um ſich in das aufzu- heben, was wir als das Lächerliche zwar ſonſt kennen, was uns aber hier wiſſenſchaftlich noch nicht entſtanden iſt, nicht ſeyn darf, aber nicht, was es ſeyn muß, wenn es in dies Andere übergehen ſoll. Dieſes Andere iſt jedoch der Möglichkeit nach bereits in dem Widerſpruche des Häßlichen ſelbſt enthalten, deſſen objective und ſubjective Seite der §. hervorſtellt. Zugleich hat aber der §. zur ausdrücklichen Beſtimmung erhoben, was ſchon zu §. 52, 1, um einer Irrung im dortigen Zu- ſammenhange vorzubeugen, bemerkt wurde. Vom ſtörenden Zufalle wurde dort geſagt, daß er ſich im Schönen anders aufheben müſſe, als außer dem Schönen; daran konnte man irre werden durch einen vor- läufigen Ausblick auf das Komiſche. Daher wurde ſogleich angedeutet,

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/358>, abgerufen am 23.11.2024.