Der reine Einklang des Schönen ist im Erhabenen durch die negative Stellung der Idee gegen das Bild zu dem Widerspruche eines Uebergreifens 1jener über dieses bei fortgesetzter Unzertrennlichkeit aufgehoben. Die Versöhnung am Schluße des Tragischen ist keine Herstellung, sondern nur eine täuschende Hinausschiebung der positiven Geltung des Bildes; diese behauptet aber ver- möge der im Begriffe des Schönen gesetzten reinen Durchdringung das Bild trotz der in §. 83 eingeräumten Unselbständigkeit, denn ungeachtet dieser sollen 2Bild und Idee einander vollständig decken. Das Wesen des Schönen selbst fordert daher eine Herstellung dieser Störung, eine völlige Genugthuung für das verkürzte Recht des Bilds, und diese kann nur in einem neuen Wider- spruche bestehen, nämlich in einer negativen Stellung, welche sich nun das Bild zur Idee gibt, indem es sich der Durchdringung mit der Idee widersetzt und ohne sie als das Ganze behauptet.
1. Die Versöhnung im Erhabenen war durchaus unvollkommen. Objectiv kam das Recht des begrenzten Gebildes im Schönen mit dem ganzen, ihm eingeräumten Reiche der Zufälligkeit (§. 30 ff.), subjectiv, das Recht des Bewußtseyns, sich in dieser Welt heimisch zu empfinden, immer zu kurz. Im Tragischen schloß zwar jede Form mit einer Ver- söhnung, die um so tiefer ging, je tiefer die Negation und der Schmerz. Allein diese Versöhnung war immer zu theuer erkauft. Sie schwebt über Leichen; Falstaff mag nicht "solche grinsende Ehre." In §. 138 Anm. 1; 139, 2 eröffnete sich ein Ausblick auf die Milderung der im
B. Das Komiſche.
§. 147.
Der reine Einklang des Schönen iſt im Erhabenen durch die negative Stellung der Idee gegen das Bild zu dem Widerſpruche eines Uebergreifens 1jener über dieſes bei fortgeſetzter Unzertrennlichkeit aufgehoben. Die Verſöhnung am Schluße des Tragiſchen iſt keine Herſtellung, ſondern nur eine täuſchende Hinausſchiebung der poſitiven Geltung des Bildes; dieſe behauptet aber ver- möge der im Begriffe des Schönen geſetzten reinen Durchdringung das Bild trotz der in §. 83 eingeräumten Unſelbſtändigkeit, denn ungeachtet dieſer ſollen 2Bild und Idee einander vollſtändig decken. Das Weſen des Schönen ſelbſt fordert daher eine Herſtellung dieſer Störung, eine völlige Genugthuung für das verkürzte Recht des Bilds, und dieſe kann nur in einem neuen Wider- ſpruche beſtehen, nämlich in einer negativen Stellung, welche ſich nun das Bild zur Idee gibt, indem es ſich der Durchdringung mit der Idee widerſetzt und ohne ſie als das Ganze behauptet.
1. Die Verſöhnung im Erhabenen war durchaus unvollkommen. Objectiv kam das Recht des begrenzten Gebildes im Schönen mit dem ganzen, ihm eingeräumten Reiche der Zufälligkeit (§. 30 ff.), ſubjectiv, das Recht des Bewußtſeyns, ſich in dieſer Welt heimiſch zu empfinden, immer zu kurz. Im Tragiſchen ſchloß zwar jede Form mit einer Ver- ſöhnung, die um ſo tiefer ging, je tiefer die Negation und der Schmerz. Allein dieſe Verſöhnung war immer zu theuer erkauft. Sie ſchwebt über Leichen; Falſtaff mag nicht „ſolche grinſende Ehre.“ In §. 138 Anm. 1; 139, 2 eröffnete ſich ein Ausblick auf die Milderung der im
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B.
Das Komiſche.
§. 147.
Der reine Einklang des Schönen iſt im Erhabenen durch die negative
Stellung der Idee gegen das Bild zu dem Widerſpruche eines Uebergreifens
jener über dieſes bei fortgeſetzter Unzertrennlichkeit aufgehoben. Die Verſöhnung
am Schluße des Tragiſchen iſt keine Herſtellung, ſondern nur eine täuſchende
Hinausſchiebung der poſitiven Geltung des Bildes; dieſe behauptet aber ver-
möge der im Begriffe des Schönen geſetzten reinen Durchdringung das Bild
trotz der in §. 83 eingeräumten Unſelbſtändigkeit, denn ungeachtet dieſer ſollen
Bild und Idee einander vollſtändig decken. Das Weſen des Schönen ſelbſt
fordert daher eine Herſtellung dieſer Störung, eine völlige Genugthuung für
das verkürzte Recht des Bilds, und dieſe kann nur in einem neuen Wider-
ſpruche beſtehen, nämlich in einer negativen Stellung, welche ſich nun das Bild
zur Idee gibt, indem es ſich der Durchdringung mit der Idee widerſetzt und
ohne ſie als das Ganze behauptet.
1. Die Verſöhnung im Erhabenen war durchaus unvollkommen.
Objectiv kam das Recht des begrenzten Gebildes im Schönen mit dem
ganzen, ihm eingeräumten Reiche der Zufälligkeit (§. 30 ff.), ſubjectiv,
das Recht des Bewußtſeyns, ſich in dieſer Welt heimiſch zu empfinden,
immer zu kurz. Im Tragiſchen ſchloß zwar jede Form mit einer Ver-
ſöhnung, die um ſo tiefer ging, je tiefer die Negation und der Schmerz.
Allein dieſe Verſöhnung war immer zu theuer erkauft. Sie ſchwebt über
Leichen; Falſtaff mag nicht „ſolche grinſende Ehre.“ In §. 138
Anm. 1; 139, 2 eröffnete ſich ein Ausblick auf die Milderung der im
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. [334]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/348>, abgerufen am 22.11.2024.
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